Hannoversche Allgemeine Zeitung: Herr Steinmeier, die Außenminister der USA und Russlands sitzen jetzt zusammen – ist das der Anfang vom Ende der Syrienkrise?

Steinmeier: Beide Großmächte haben einen Kompromiss erreicht, der jetzt gegenüber Syrien auch durchgesetzt werden muss. Das ist aber noch lange nicht das Ende des Bürgerkrieges. Es muss klar sein, dass eine rasche Friedenslösung nicht in Sicht ist. Wenn wir aber überlegen, wo wir vor anderthalb Wochen standen und ein Militärschlag stündlich möglich schien, ist es jetzt immerhin die erste Stufe einer wichtigen Deeskalation dieses gefährlichen Konflikts. Jetzt hat die Diplomatie wieder eine echte Chance.

Wie müssen die weiteren Stufen aussehen?

Syrien wird nun den Chemiewaffensperrvertrag unterzeichnen. In einem nächsten Schritt ist es notwendig, die syrischen Chemiewaffenlager unter internationale Kontrolle zu stellen. Drittens brauchen wir eine zweite Untersuchung durch UN-Inspekteure, die diesmal nicht nur untersuchen, dass ein Giftgaseinsatz stattgefunden hat, sondern auch Beweise sammeln, die Aufschluss über die Urheber der Vorgänge vom 21. August geben. Wenn dann viertens noch eine humanitäre Kampfpause von 72 Stunden zwischen den Assad-Truppen und den Rebellen erreicht werden kann, damit die notleidende Bevölkerung Hilfe erhalten kann, wäre angesichts der undurchsichtigen Lage in Syrien viel erreicht.

Diese Ursachenforschung hat Russland  bislang abgelehnt.

Entscheidend ist doch, dass Moskau bereit ist, seine Haltung zu überdenken.

Ist Wladimir Putin jetzt der Friedensengel?

In der Außenpolitik geht es zunächst immer um die Vertretung von Interessen. Wir haben als Europäer immer an Moskau appelliert, den Kurs im Syrienkonflikt zu überdenken. Mit seinem dauerhaften Nein zu allen jüngsten Vorschlägen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen war Russland weltpolitisch in eine Schmuddelecke geraten. Putin hat offenbar erkannt, das dies nicht im Interesse Russlands sein kann.

Bedeutet eine Entschärfung der Chemiewaffenkrise eine Beruhigung im Bürgerkrieg?

Eine Entschärfung wäre ein erster wichtiger Schritt, um das Risiko zu vermeiden, dass der Konflikt noch auf weitere Staaten übergreift und noch zusätzliche Flüchtlingsströme entstehen. Doch die Gewalt innerhalb Syriens wird damit nicht beendet. In Syrien erleben wird keinen reinen Bürgerkrieg zwischen Assads Truppen und den Rebellen. Es ist komplizierter. Syrien ist das Schlachtfeld über die Vorherrschaft in der arabischen Welt, es wird ein  Stellvertreterkrieg geführt zwischen Schiiten und Sunniten.

Deshalb müsste doch über mehr geredet werden als nur über Syrien. Gibt es jetzt, da USA und Russen verhandeln, nicht auch die Chance, die übrigen Konflikte gemeinsam zu entschärfen, vom Dauerstreit zwischen Israel und den Palästinensern bis zur Irankrise, vielleicht sogar in einer großen Nahostkonferenz?

Das Anliegen ist im Kern richtig. Aber man darf die Diplomatie jetzt nicht sofort überfordern. Russland und die USA müssen zunächst ihre neue Haltung einüben und lernen, dass sie miteinander in der Lage sind, politische Prozesse in Gang zu setzen, die am Ende auch neue Spielräume im Nahen Osten eröffnen.

Wie beurteilen Sie die Rolle von Bundeskanzlerin Angela Merkel in dem Konflikt?

Der Schlingerkurs in den letzten Wochen ist doch ein Zeichen dafür, dass diese Bundesregierung keine klare Position hat. Die Kanzlerin war zeitweilig für, dann gegen einen Militärschlag, und am Ende wurde sie von der Annäherung zwischen USA und Russland überrascht. Beim G-20-Gipfel war für jeden deutlich zu sehen, wohin sich die deutsche Außenpolitik entwickelt hat: Wir haben in den letzten Jahren massiv an Gewicht in Washington verloren – und wir haben parallel dazu auch einen Teil jener guten Kontakte nach Russland gekappt, die es früher gab. Traditionell hatte Deutschland immer die Aufgabe eines Übersetzers, wenn es zwischen den USA und Russland Verständigungsschwierigkeiten gab. Diese Rolle haben wir heute nicht mehr.

Deutschland nimmt 5000 syrische Flüchtlinge auf. Wird das reichen?

Ich war erst kürzlich in Jordanien, in einem Gebiet, in dem Wassermangel herrscht und in dem jetzt mehr als 150.000 syrische Flüchtlinge leben. Auch in viele andere Staaten sind Syrer geflohen. Wenn Deutschland in dieser Lage 5000 Menschen aufnimmt, ist das weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein. Es ist wichtig, dass wir zusätzlich zumindest Nachzugsmöglichkeiten für Verwandte und Familienangehörige schaffen. Man sollte an dieser Stelle die Hilfsbereitschaft und Offenheit der deutschen Bevölkerung angesichts der Not in Syrien nicht unterschätzen.