Frau Präsidentin! Vielen Dank. Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen!
Ich glaube, wir sind uns alle einig:
Wenn wir hier über die Türkei diskutieren, dann ist uns
sehr bewusst, dass das kein gewöhnlicher Partner ist. Die
Türkei ist ein Land, mit dem wir sehr viele Verbindungen
haben, aufgrund der kulturellen Bindungen, aufgrund der
familiären Bindungen, natürlich auch aufgrund der politischen
und der wirtschaftlichen Beziehungen. Ich gehe
davon aus, dass es Ihnen nicht viel anders geht als mir:
Wenn es innerhalb der Türkei zu Spannungen, zu politischen
Auseinandersetzungen kommt, dann findet das
für uns nicht irgendwo, weit weg, quasi im Fernsehen
statt. Das hat unmittelbar Auswirkungen auf die Lage in
Deutschland. Ich habe es in meinem Wahlkreis in Hamburg
mehrfach erlebt, dass es zum Teil innerhalb weniger
Stunden zu Demonstrationen gekommen ist, leider – das
muss ich an dieser Stelle auch sagen – auch zu gewalttä-
tigen Auseinandersetzungen zwischen nationalistischen,
türkischen Gruppierungen und kurdischen Gruppierungen.
Manchmal haben diese Gruppierungen in der Auseinandersetzung
auch Gewalt gegen Polizeibeamte angewandt.
Ich glaube, auch deswegen ist es gut, dass wir heute
über dieses Thema diskutieren. Ich bin den Grünen
dankbar, dass sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben.
Ich teile ausdrücklich all das, was zu den schrecklichen
Anschlägen gesagt worden ist, nicht nur zu dem grauenhaften
Anschlag in Ankara mit den vielen Toten – Frau
Dağdelen hat darauf hingewiesen, dass wir immer noch
nicht genau wissen, wie viele Menschen ihr Leben verloren
haben, wie viele verletzt worden sind –, sondern ausdrücklich
auch dazu – ich glaube, dass wir alle miteinander
in diesem Hause dies für vollkommen inakzeptabel
halten –, dass in der Türkei systematisch Gewalt gegen
oppositionelle Gruppierungen angewandt worden ist, vor
allem gegen Vertreterinnen und Vertreter der HDP, dass
die Büros angegriffen worden sind, dass sie niedergebrannt
worden sind. All das ist vor den Augen der türkischen
Sicherheitskräfte geschehen. Das ist inakzeptabel.
Deswegen bedarf es eines ganz klaren Signals an
Ankara: Der türkische Staat, der – davon bin ich überzeugt
– ein funktionsfähiger Staat ist, ist jetzt gefordert,
ordnungsgemäße Wahlen sicherzustellen. Er ist auch gefordert,
die Sicherheit der Kandidatinnen und Kandidaten
und Meinungsfreiheit in diesem Land zu garantieren.
Das ist das Mindeste, das wir erwarten können.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg.
Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])
Unsere Länder sind eng miteinander verbunden, und
es handelt sich eben nicht mehr um reine nationale Fragen
der Souveränität, bei denen man erwartet, dass man
sagt: Da mischen wir uns nicht ein. Es passiert übrigens
auf beiden Seiten. Es ist ja nicht nur so, dass wir heute im
Deutschen Bundestag über die innenpolitische Lage in
der Türkei diskutieren, sondern das passiert auch in der
Türkei. Staatspräsident Erdoğan macht hier in Deutschland
verkappte Wahlkampfveranstaltungen. Andere Kandidatinnen
und Kandidaten in der Türkei tun das auch.
Ich finde, das ist in Ordnung. Man muss aber auch sagen:
Wir haben ein klares Interesse daran, dass der Friedensprozess
mit der PKK wieder aufgenommen wird, weil
der Weg zur Versöhnung die einzige gangbare Option ist,
die diesem Land zur Verfügung steht.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg.
Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])
Deswegen fordern wir Staatspräsidenten Erdoğan, die
türkische Regierung auf, bei allen Schwierigkeiten und
auch bei aller inakzeptabler Gewaltanwendung vonseiten
der PKK gegen Vertreterinnen und Vertreter des türkischen
Staates – auch dies ist inakzeptabel –, diesen Weg
wieder zu beschreiten. Ich glaube, dass das ganz entscheidend
ist.
Ich will an dieser Stelle, weil diese Reise ein wenig
in der Kritik steht und auch hier von Ihnen, meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen, erwähnt worden
ist, dem deutschen Außenminister für seine Reise nach
Ankara ausdrücklich danken. Diese Reise hat zugegebenermaßen
während einer schwierigen innenpolitischen
Situation in der Türkei und einer außenpolitischen Lage,
wo wir hier häufig über den Krieg in Syrien miteinander
diskutiert haben, stattgefunden. Es ist ein Erfolg der
deutschen Außenpolitik, dass sich die türkische Regierung
bereit erklärt hat, jetzt einen bilateralen Dialog über
Migration zu führen und diesem Dialog auch im Rahmen
der Europäischen Union zugestimmt hat. Das ist ein
Erfolg der deutschen Außenpolitik. Ich glaube, es wird
jetzt sehr darauf ankommen, dass wir in den Details der
Vereinbarung einen ausgewogenen Interessenausgleich
organisiert bekommen. Ich bin zuversichtlich, dass das
gelingen kann.
Ich bin dem deutschen Außenminister auch aus einem
zweiten Grund dankbar. Ich will das hier mit einer Erwartung
an die Reise der Bundeskanzlerin verbinden, die
ich für ausdrücklich richtig halte, nämlich die Erwartung,
dass sie sich ein Beispiel an dem Terminkalender nimmt,
den Frank-Walter Steinmeier abgearbeitet hat. Ja, er hat
sich mit Premierminister Davutoglu getroffen.
(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Aber auch die Opposition!)
Er hat sich mit Staatspräsident Erdoğan getroffen, aber er
hat sich auch mit den Vertretern der Opposition, der sozialdemokratischen
Opposition, und auch mit Herrn Demirtas
getroffen, dem Vertreter und Präsidenten der HDP.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Schauen
wir einmal, was Merkel macht!)
Ich glaube, dass es ein gutes Zeichen wäre, eine ad-
äquate Form zu finden, deutlich zu machen, dass wir in
diesem Wahlkampf keine Partei sind,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
aber dass wir ein Interesse daran haben, dass es zu fairen
Wahlen kommt und die Pluralität der politischen Situation
in der Türkei das entsprechend widerspiegelt.
Wir warten jetzt auf die Ergebnisse der Untersuchung.
Ich will auch ganz offen sagen: Das, was ich heute aus
der Türkei gehört habe, dass sowohl der sogenannte
„Islamische Staat“ als auch die PKK verantwortlich
sein sollen, erschließt sich mir – so will ich es einmal
in meiner hanseatischen Art sagen – nicht unmittelbar;
denn das sind die beiden Gruppierungen, die sich in Syrien
bis aufs Blut bekämpfen. Ich hoffe sehr, dass es eine
unabhängige Untersuchung gibt, dass die Verantwortlichen
zur Rechenschaft gezogen werden und dass wir,
wenn wir das nächste Mal über die Lage in der Türkei
diskutieren, bessere Nachrichten haben, über die wir uns
austauschen können.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)