„Die zur Schau gestellte Einträchtigkeit zwischen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy bei einem Strandspaziergang vor einigen Monaten ist dahin“, stellte Steinmeier fest. Beide schafften es nicht einmal, einen Rat vorzubereiten. Die Zeit seit der Abstimmung im Bundestag sei nicht genutzt worden für die Ausarbeitung gemeinsamer Positionen. Dieses Vorgehen reiht sich nach Ansicht Steinmeiers nahtlos ein in die verwirrende und verwirrte Entscheidung der Koalition, vor der Bundestagswahl die Steuern zu senken – auf Pump. Nicht einmal eine halbe Stunde habe es gebraucht, bis aus München der Widerspruch dazu gekommen sei. Selbst die kleinste Absprache bekomme Schwarz-Gelb nicht mehr hin. „Alles spricht dafür, dass da nichts mehr zusammengeht“, bemerkte Steinmeier.
Hinweise zur Hebelung fehlen
Am Tag zuvor habe Merkel noch eine Regierungserklärung abgeben wollen, die dann vom Bundeskanzleramt zurückgezogen worden sei. Sogar Finanzminister Schäuble habe davon nichts gewusst und davon erst durch den Hinweis des SPD-Haushaltsexperten Carsten Schneider während der Beratung im Haushaltsausschuss erfahren. Eine größere Düpierung ist kaum denkbar. „Die Kanzlerin hat mich persönlich informiert, dass eine Regierungserklärung von ihr auf der Basis der jetzt vorliegenden Informationen zu den Leitlinien der EFSF keinen Sinn habe – es gibt ja keine“, sagte Steinmeier weiter. Die Regierungserklärung soll nun am 26. Oktober erfolgen, kurz vor dem Gipfel in Brüssel. Danach soll der Bundestag abstimmen. "Spät, aber nicht zu spät, hat Merkel nun erkannt, dass über die Hebelung des Rettungsschirms im Plenum des Bundestages vor den Augen der deutschen Steuerzahler entschieden werden muss", sagt Thomas Oppermann, Geschäftsführer der SPD-Fraktion. Er begrüße auch die Einsicht von Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) darüber.
Zur Hintergrund-Erklärung: In der Nacht vom 19. Oktober auf den 20. Oktober wurde dem Haushaltsausschuss ein 70-seitiges Papier zu den so genannten Guidelines des Rettungsfonds EFSF in deutscher Übersetzung zugestellt. Darin geht es um die Ausgestaltung dieser Leitlinien, die nicht sanderes als eine Geschäftsordnung sind. Im Prinzip sind die vier Instrumente gemeint, mit denen die EFSF (Europäische Finanzstabilitätsfazilität) arbeiten darf. Schäuble musste im Haushaltsausschuss einräumen, dass dieses Papier ein Vorentwurf eines Entwurfes ist. Es fehlen Hinweise zu der umstrittenen Hebelproblematik, um die es aber signifikant geht.
Für die SPD-Fraktion ist völlig klar, dass eine Vergrößerung des Risikos den Beschlüssen vom September im Bundestag zur EFSF entgegen steht – und somit einer neuen Abstimmung bedarf. Denn es geht, entgegen der Behauptungen der Union und FDP, nicht nur um die Haftungsobergrenze, sondern um das Ausfallrisiko. Selbst wenn es beim Haftungslimit von 211 Milliarden Euro bleibt, steigt durch die Möglichkeit einer Versicherung das Ausfallrisiko insgesamt. Es kommt dabei auf das Modell an, das der EU-Gipfel beschließen will. Doch dort sind, auch durch das Verschulden der deutschen Regierung, nicht mal Grundzüge einer Ratsposition erkennbar.
Es braucht demnach keine finanzpolitische Sachkunde, um zu erkennen, dass solch eine fundamental-materielle Entscheidung, wenn aus Milliarden Billionen werden könnten, der gesamte Bundestag beraten muss. Darin ist sich die SPD-Fraktion mit den Grünen völlig einig. Die haben am 21. Oktober kurzfristig einen interfraktionellen Antrag in den Bundestag eingebracht (Drs. 17/7410), der sich mit der Euro-Stabilisierung befasst und eben fordert, dass über diese Leitlinien der gesamte Bundestag entscheiden muss und nicht der Haushaltsausschuss oder ein neunköpfiges Geheimgremium. Denn natürlich bedeuten alle Möglichkeiten der Hebelung ein höheres Risiko für die Steuerzahler im Vergleich zur einfachen Kreditvergabe.
Diesen Antrag, dem die SPD-Fraktion zugestimmt hat, wollten die Koalitionsfraktionen zunächst verhindern. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, wies in der Debatte darauf hin, dass am gleichen Nachmittag der Haushaltsausschuss nach dem Willen des Finanzministers in geheimer, nichtöffentlicher Sitzung über die Leitlinien abstimmen solle. Auf diese Weise erhofft sich die Bundesregierung ein Plazet zu Verhandlungen beim EU-Gipfel, der nun am 26. Oktober beraten soll.
"Zu dieser Regierung darf man kein Vertrauen haben"
Oppermann stellte klar, dass es mit menschlichem Verstand nicht begreifbar und vermittelbar sei, dass über Milliardenhaftungen der gesamte Bundestag, über etwaige Billionen aber der Haushaltsausschuss nichtöffentlich befinden solle. „Zu dieser Regierung darf man kein Vertrauen haben, Sie nähren den Verdacht, dass Sie der Öffentlichkeit hier etwas unterjubeln wollen. Das muss vor den Augen der Bürgerinnen und Bürger beraten werden“, sagte Oppermann. In ihrer jetzigen Form seien die Leitlinien ein Torso, Wesentliches fehle. In Richtung CDU/CSU-Fraktion fragte er: „Können Sie das wirklich noch überblicken?“ Nicht in Sitzungssälen hinter zugezogenen Gardinen müsse debattiert werden, sondern im Plenum vor den Augen der Öffentlichkeit.
Angela Merkel habe alle Zeit der Welt gehabt, seriöse und detaillierte Arbeit zu leisten, stattdessen habe sie die Opposition beschimpft und Steuersenkungserklärungen zugelassen, die unverantwortlich seien.
SPD-Haushälter Carsten Schneider rief den Unionsabgeordneten in der Bundestagssitzung zu, dass sie von der SPD verlangten, der Kanzlerin den Rücken zu stärken. „Dabei sind Sie es doch, die ihr ständig in den Rücken fallen“, sagte Schneider. Die SPD werde nun auf die Nachreichung der Hebelabsichten in den Leitlinien warten und sie dann genau prüfen. Er erklärte das mit dem Hinweis, dass etwa die EZB vor allem deshalb Staatsanleihen aufkaufe, weil es ihr nicht ausdrücklich verboten sei. Auf solche Details komme es an. Zuviele Täuschungsmanöver lägen in der Luft. Schneider: „Wie soll man dieser Regierung noch vertrauen?“