Ministerium traditionell sozialdemokratisch geprägt
Am Freitag debattierte der Bundestag über die vor allem sozialdemokratisch geprägte Tradition der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Vor genau 50 Jahren, im Herbst 1961, wurde das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) mit der Absicht gegründet, die entwicklungspolitischen Aktivitäten der Bundesrepublik zu bündeln. Unter Willy Brandt wurde 1972 die Zuständigkeit für die finanzielle Zusammenarbeit mit Partnerländern und in internationalen Organisationen auf das BMZ übertragen.
Unter sozialdemokratischer Führung hat die Bundesrepublik eine wirklich eigenständige Entwicklungspolitik bekommen. Es sind sozialdemokratische Namen, die deutsche Entwicklungshilfe gestaltet und nachhaltig geprägt haben. Angefangen mit Hans-Jürgen Wischnewski während der ersten Großen Koalition Ende der sechziger Jahre über Erhard Eppler (´68-´74), Egon Bahr (`74-`76), Marie Schlei (´76-´78), Rainer Offergeld (´78-´82) bis hin zu Heidemarie Wieczorek-Zeul, die das Ministerium elf Jahre lang, zwischen 1998 und 2009 erfolgreich leitete und – wie sie in ihrer Rede vor dem Bundestag betonte - „dankbar“ dafür ist.
Ehemalige SPD-Minister als Ehrengäste vor Ort
Zwei der ehemaligen SPD-Bundesminister für Entwicklungszusammenarbeit, Erhard Eppler und Egon Bahr, waren auf Einladung der SPD-Bundestagsfraktion als besondere Gäste anwesend und verfolgten die Debatte live von der Besuchertribüne des Plenums aus. Beide wurden auch ausdrücklich vom Bundestagpräsidenten Norbert Lammert begrüßt, der ihnen für ihren Beitrag als Minister für Entwicklungszusammenarbeit dankte.
Auch die ehemalige Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul dankte in ihrer Rede ihren Vorgängern. Sie würdigte Erhard Eppler, der als Minister die „Bedürfnisse der Menschen“ in den Mittelpunkt stellte und dafür sorgte, dass sich mehr Kompetenzen im BMZ bündelten. Seine Arbeit sei „wegweisend“ gewesen für die heutige Entwicklungspolitik, so Wieczorek-Zeul. Auch Egon Bahr habe Herausragendes geleistet und seinen außenpolitischen Grundsatz des Wandels durch Annäherung auf den sich in den 70er-Jahren zuspitzenden Nord-Süd-Konflikt übertragen. Wieczorek-Zeul würdigte auch ihre anderen Vorgänger, vor allem Marie Schlei, die als erste Frau an der Spitze des Ministeriums die Notwendigkeit der Frauen in der Entwicklungspolitik erkannt und gestärkt hat. Ihr Dank ging schließlich auch an die Mitarbeiter, Kirchen und Gewerkschaften und alle anderen, die sich für das BMZ und die Unterstützung für die Ärmsten der Armen einsetzen. Sie alle haben das Ministerium in all den Jahren weiterentwickelt und sie mahnt: „Das Ministerium ist ein kostbares Gut, das es im Sinne von „soft power“ entschlossen zu verteidigen gilt.“
Daher ist es heute auch wichtig, einen kritischen Blick vor allem auf den heutigen Minister Dirk Niebel zu werfen: „Keiner der Vorgänger und Mitarbeiter hat es verdient, dass das BMZ von Niebel als Almosenministerium diffamiert wird“, so Wieczorek-Zeul. Niebel hat in seiner erst zweijährigen Amtszeit bereits eklatante Fehler begangen. Dazu gehören die Nationalisierung der deutschen Entwicklungspolitik und die starke Ausrichtung der Politik auf außenwirtschaftliche Interessen Deutschlands. Auch dass die Grenzen zwischen Militär und ziviler Entwicklungspolitik zunehmend verwischen, wird von der SPD-Fraktion kritisiert. Und nicht zuletzt ist zu bemängeln, dass der Haushalt des Ministeriums, trotz fraktionsübergreifender Forderungen, nicht wächst sondern stagniert.
Am Ende ihrer Rede formulierte Heidemarie Wieczorek-Zeul die sieben größten Herausforderungen, vor der die deutsche Entwicklungspolitik in den nächsten Jahren steht. Dazu gehört unter anderem, dass die Haushaltsmittel weiter aufgestockt werden müssen und dass die von uns geforderte Finanztransaktionssteuer auch für den Kampf gegen Armut in der Welt eingesetzt werden muss. Insgesamt muss Deutschland, auch vor dem Hintergrund der Globalisierung und der weltweiten Finanzkrise, globale Entwicklung mitgestalten: „Wir dürfen den Lauf der Welt nicht der ungebremsten Ökonomie und der Gewalt der Finanzmärkte überlassen“. Ihre Rede schloss Heidemarie Wieczorek-Zeul mit einem Zitat von Willy Brandt: „‘Entwicklungspolitik von Heute ist die Friedenspolitik von Morgen‘ hat Willy Brandt uns auf dem Weg gegeben. Die gilt gerade auch im 21. Jahrhundert.“
Rede Heidemarie Wieczorek-Zeul "50 Jahre deutsche Entwicklungszusammenarbeit" vom 30.09.2011
Respektlosigkeit von Niebel empörend
Auch Sascha Raabe, entwicklungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, übte deutliche Kritik an Niebel. Vor allem die Respektlosigkeit, mit der Niebel den vielen Helferinnen und Helfern, die sich oft unter Einsatz ihres eigenen Lebens und unter auch emotional schwierigen Bedingungen für die Armen der Welt einsetzen, ist untragbar und wird von uns entschieden zurückgewiesen. Die aktuelle Entwicklungspolitik des Ministers Niebel geht in eine falsche Richtung! „Ihr Credo Wirtschaft als Allheilmittel geht nicht auf. Wirtschaft alleine kann nicht für eine nachhaltige Entwicklungspolitik sorgen“, so Raabe in seiner Rede vor dem Bundestag. Wesentliche Aufgabe der deutschen Entwicklungspolitik ist es, soziale Standards und Sicherungssysteme in den Ländern durchzusetzen. Nicht Liberalisierung ist das Schlagwort, sondern Regeln für die Menschen, die z.B. für ein existenssicherndes Mindesteinkommen sorgen oder die Kinderarbeit verbieten. „Nur Länder, die sich solchen Regeln unterwerfen, nur diese dürfen mit Europa handeln“, fordert Raabe. Länder, die dies nicht aus eigener Kraft schaffen, müssen von uns Budgethilfen erhalten. Auch deswegen ist es unerlässlich, die Mittel für die Entwicklungspolitik zu erhöhen.
Rede Sascha Raabe "50 Jahre deutsche Entwicklungszusammenarbeit" vom 30.09.2011
Schwarz-Gelb sorgt für zerschlagenes Porzellan in der Entwicklungspolitik
Insgesamt ist der gute Ruf, den sich das Haus in vielen Jahrzehnten weltweit erworben hat, inzwischen stark gefährdet. Aus entwicklungspolitischer Sicht zieht Niebel eine Schneise der Verwüstung durch sein Ressort. Dort, wo Hilfe am sinnvollsten ist, werden die Mittel gekürzt, wie zum Beispiel beim Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria. Dieser Fonds hat in weniger als zehn Jahren 6,5 Millionen Menschen das Leben gerettet. Doch Niebel verweigert die Mittel – allein 100 Mio. Euro in diesem und 200 Mio. Euro im nächsten Jahr.
Und auch bei der Erreichung der Milleniumsziele für die globale Entwicklung bis 2015 versagt Niebel auf ganzer Linie. Trotz eingegangener internationaler Verpflichtungen, die öffentlichen Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit bis 2015 auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) zu erhöhen, spiegelt sich dies im Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2012 in keiner Weise. Niebel ignoriert nicht nur die Stimmen der Opposition, sondern auch die der Fachleute aus den Reihen der Koalition. Diese Ignoranz gegenüber den eigenen Kollegen und des Parlaments, nannte Raabe eine Schande und forderte Niebel auf: „Steuern Sie um!“
Noch nie in der 50-jährigen Geschichte des BMZ gab es eine solche Fehlbesetzung für die Aufgabe des Entwicklungshilfeministers. Aber wir sind uns sicher: Niebels Amtszeit wird eine kurze, unglückliche Episode in der Geschichte des Entwicklungsministeriums bleiben. Für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit werden wieder bessere, sozialdemokratische Tage kommen.