Die Beziehungen zu Polen vertiefen zu wollen ist richtig und wichtig. Aber dann sollte Bundeskanzlerin Merkel Frau Steinbach davon überzeugen, dauerhaft auf ihren Sitz im Rat der Stiftung “Flucht, Vertreibung und Versöhnung“ zu verzichten. Dieser Punkt ist ja zwischen Union und FDP nach wie vor strittig.
EU auf Wirtschaftsprojekt reduziert
Der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag gibt ein konservativ-marktradikales Bild der Europapolitik wieder. Der SPD war es im Koalitionsvertrag von 2005 gelungen, die soziale Dimension der EU fest zu verankern. Schwarz-Gelb schafft hinsichtlich der sozialen Ausrichtung der EU eine große Lücke. Bereits im ersten Satz des Kapitels zur Europapolitik im Koalitionsvertrag beschreiben Union und FDP die EU als „leistungsfähig und selbstbewusst“. Dahinter steckt die Konzentration von Schwarz-Gelb auf die EU als Wirtschaftsprojekt. So prägen auch die neoliberalen Themen wie Bürokratieabbau, Stärkung der Marktkräfte das Europakapitel. Konservativ gestaltet sind die Bereiche EU-Finanzen und die Erweiterungspolitik. Schwarz-Gelb ist im Zweifel eher gegen, als für mehr Europa.
Ablehnung des sozialen Europas
Das Soziale Europa wird mit dem Verweis auf die nationalstaatliche Zuständigkeit für die Sozialpolitik von der Koalition abgelehnt. Schwarz-Gelb leugnet damit die Bedeutung der EU in zahlreichen Fragen der sozialen Regelung. Als Begründung schieben die schwarz-gelben Koalitionäre den Schutz der „hohen deutschen Standards“ vor. In Bereichen, in denen die EU für eine Verbesserung der bestehenden Situation sorgen könnte, wird europäisches Engagement abgelehnt, z. B. bei der Weiterentwicklung des Antidiskriminierungsschutzes. Außerdem verweist der Koalitionsvertrag nicht auf soziale Mindeststandards oder auf Arbeitnehmerrechte. Ebenso tritt Schwarz-Gelb nicht für eine Folgenabschätzung von EU-Gesetzgebungsvorhaben auf soziale Konsequenzen ein, sondern nur auf Verhältnismäßigkeit und Bürgerfreundlichkeit.
Keine Klarheit in der Erweiterungspolitik
Schwarz-Gelb bricht mit der bisherigen Erweiterungspolitik der Bundesrepublik Deutschlands. Die EU-Erweiterungspolitik nimmt die Koalition als Gefahr wahr, statt die enormen Chancen für Stabilität, Frieden und Sicherheit in Europa zu erkennen. Diese sind aber in der bisherigen „Erfolgsgeschichte der EU-Erweiterung“ bewiesen. Wichtig ist es, den Koalitionären dagegen, mehrmals die bereits gültigen Kriterien für den Beitritt, darunter auch die Aufnahmefähigkeit der EU, zu unterstreichen. Es gibt auch kein Bekenntnis zu den von den Staats- und Regierungschefs einstimmig gegebenen Beitrittsperspektiven für die westlichen Balkanstaaten und die Türkei. Kroatien, dessen Beitritt als nächstes stattfinden könnte, findet keine Erwähnung, das gilt auch für Island.
Beim Thema Türkei scheinen sie Union und FDP bewusst keine Angriffsfläche bieten zu wollen, weshalb der Text des Koalitionsvertrages von 2005 nahezu übernommen wurde, bis auf die Unterstützung der Reformanstrengungen der Türkei.
Weniger Staat – nichts aus der Krise gelernt
Auch in den Bereichen, wo die Koalition europäisch handeln will – etwa im Bereich der Ban-kenaufsicht oder beim Bürokratieabbau – wird die Koalition ihrem Image gerecht. Bei der Bankenaufsicht will sie möglichst wenig, beim Bürokratieabbau möglichst viel tun. Hauptsache weniger Staat. So enthält der Koalitionsvertrag weder konkrete Aussagen zu der Höhe einer sinnvollen Eigenkapitalquote bei Banken noch zu wirksamen Mitteln im Kampf gegen Steueroasen und den notwendigen Transparenzregeln. Für den Bürokratieabbau schlägt die Koalition hingegen sogar die Einsetzung eines unabhängigen Rates für Bürokratieabbau bei der EU-Kommission nach dem Vorbild des Normenkontrollrats vor, dessen Nutzen bis heute umstritten bleibt.
Bei den Finanzen bleibt für die Klientel alles beim Alten
Ausschlaggebend für Schwarz-Gelb ist die eigene Klientel. So auch beim Thema EU-Finanzen: Trotz eines Lippenbekenntnisses zur Neustrukturierung des EU-Haushaltes hält die Koalition sowohl bei der Finanzierung als auch bei den wichtigen Ausgabenbereichen Agrar- und Strukturpolitik an den alten Strukturen fest. Dabei wird die Festlegung der Koalitionsparteien auf einen Beitrag der EU-Mitgliedstaaten zum Gemeinschaftshaushalt von einem Prozent ihres Bruttonationaleinkommens (BNE) den Herausforderungen nicht gerecht. Die Debatte über die zukünftige Gestalt des Haushalts der EU kommt ohne eine ehrliche Diskussion über die Aufgaben der EU nicht aus. Die Koalition fordert die Beschränkung der Ausgaben und zugleich mehr Engagement. Diese Rechnung kann nicht aufgehen. Auch für die EU gilt: Die Mittel müssen den Aufgaben entsprechen.