In seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag äußert sich Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der „United Nations Interim Force in Lebanon“ (UNIFIL). Er betont die Bedeutung der UN-Mission UNIFIL, welche maßgeblich zur Stabilität des Libanon beiträgt.

Einen schönen guten Abend, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, dass die Situation im Süden des Libanon heute relativ ruhig und stabil ist; denn noch 2006 war dieser Teil des Landes erbittert umkämpft. Das ist ein Verdienst von UNIFIL. Als nach dem Krieg zwischen Israel und der Hisbollah 2006 das UN-Mandat für UNIFIL verabschiedet wurde, konnte allerdings niemand von uns voraussehen, dass es zu einem brutalen Krieg in Syrien kommen würde, der mittlerweile ins fünfte Jahr geht und der den Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel so ein bisschen in Vergessenheit hat geraten lassen. Heute kämpfen wesentliche Teile der Hisbollah im syrischen Bürgerkrieg, und die Aufmerksamkeit für diesen Konflikt hat sich auch geografisch verschoben. Der Libanon leidet wie kein zweites Land unter den enormen Belastungen dieses Krieges. Wir haben auch in diesem Hause darüber diskutiert: 4,2 Millionen Einwohner beherbergen mittlerweile über 1 Million Flüchtlinge aus Syrien. Deshalb unterstützen wir den Libanon seit 2012 mit rund 250 Millionen Euro.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bekanntlich haben die libanesischen Behörden die Errichtung von neuen Flüchtlingslagern offiziell nicht zugelassen. Deswegen verteilen sich die Flüchtlinge heute auf private Unterkünfte und provisorische Zeltlager und leben dort unter schwierigen, zum Teil auch skandalösen hygienischen Bedingungen.

Die Hisbollah wiederum, die der große Protagonist dieses Krieges war, hat die Vereinbarung von Baabda aus dem Jahr 2012 gebrochen, die alle libanesischen Akteure auf eine Politik der Nichteinmischung in Syrien verpflichtete. Diese Politik der Nichteinmischung ist bis heute die offizielle Politik der libanesischen Regierung. Mit diesem Bruch der Vereinbarung stellt die Hisbollah nicht nur das labile, sehr schwierige und komplexe Gleichgewicht des Landes auf eine harte Bewährungsprobe, sie provoziert darüber hinaus sunnitische Extremisten, den Kampf in den Libanon hineinzutragen. Wer die Berichte verfolgt, weiß, dass dies keine theoretische Debatte ist. Vielmehr findet das wirklich statt. Im Libanon sterben fast täglich Menschen, und das Land leidet unter dieser Belastung.

Die Sicherheitslage insgesamt, nicht nur im Libanon, verschärft sich. Ich glaube, wir müssen auch in den nächsten Wochen und Monaten mit entsprechenden Vorfällen rechnen. So finden seit Mitte 2014 Kampfhandlungen in der Grenzregion zwischen Syrien und dem Libanon statt. Wir beobachten das sorgfältig und ausführlich. Insbesondere im Norden der Bekaa-Ebene hat sich die Lage zugespitzt. Das terroristische Bedrohungspotenzial ist seitdem deutlich gestiegen. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit bindet einen Großteil der Kräfte der libanesischen Armee, die dafür weiterhin die Unterstützung aller politischen Akteure in dem Land benötigt. Schätzungen gehen davon aus, dass die dschihadistischen Kräfte, von denen ich gesprochen habe, im Nordosten der Bekaa-Ebene etwa über 3 000 gut ausgerüstete und ausgebildete Kämpfer verfügen.

Gerade vor diesem Hintergrund muss man auch mit einer gewissen Genugtuung feststellen, dass es die libanesischen Streitkräfte in den letzten Jahren mit Unterstützung aller Parteien im Libanon geschafft haben, ihre Handlungsfähigkeit und Einsatzfähigkeit deutlich zu verbessern. Die immer wieder drohende Spaltung entlang konfessioneller Linien konnte bisher, meine sehr verehrten Damen und Herren, verhindert werden. Gleichwohl wissen wir – das muss man offen sagen –, dass das keine neutrale Armee ist. Sie ist nicht frei von politischen Einflüssen. Immer wieder gibt es auch Probleme bei der Benennung von wichtigen Kommandeuren; entsprechende Auseinandersetzungen werden auf höchster Regierungsebene im Libanon ausgetragen.

Vor zwei Jahren hat sich Saudi-Arabien bereit erklärt, zu einer wesentlichen militärischen Stärkung der libanesischen Streitkräfte beizutragen. Im April dieses Jahres traf die erste große Waffenlieferung ein. Sie hat dazu beigetragen, dass Sicherheitsoperationen erfolgreich durchgeführt wurden und die libanesische Armee weiterhin eine stabilisierende Funktion einnehmen kann. Und auch die Bundeswehr, meine Damen und Herren, leistet durch Ausbildung einen Beitrag dazu, dass die libanesischen Streitkräfte diese Aufgabe bewältigen können. Der Einsatz im Rahmen der militärischen Ausbildungshilfe ist deswegen keine technische, sondern eine hochpolitische Frage. Diese Hilfe findet statt, und sie ist ein wichtiger Teil des hier zu diskutierenden Mandates.

Trotz der Verlagerung der Kampfhandlungen an die syrisch-libanesische Grenze – ich habe davon gesprochen – bleibt die Stabilisierung der Waffenstillstandsvereinbarung zwischen der Hisbollah und Israel von allergrößter Bedeutung, auch in politischer Hinsicht. Wir erinnern uns vielleicht ein wenig an die Situation im Jahre 2006: Ein großer Teil der libanesischen Infrastruktur – nicht nur Infrastruktur der Hisbollah im Süden des Landes, sondern Infrastruktur im gesamten Land – ist ja von den israelischen Angriffen zerstört oder in Mitleidenschaft gezogen worden. Deswegen war die Waffenstillstandsvereinbarung für die Menschen im Libanon insgesamt von großer Bedeutung. Ohne UNIFIL hätten wir heute eine andere Situation.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Ohne UNIFIL hätten wir auch nicht das, was wir gemeinhin den Drei-Parteien-Mechanismus nennen, nämlich einen Streitschlichtungsmechanismus, bei dem zwar die beiden Seiten aus politischen Gründen – die beiden Staaten erkennen sich ja gegenseitig nicht an, und es gibt weiterhin einen Kriegszustand – nicht direkt, aber doch indirekt miteinander reden. Bei der Markierung der vereinbarten Waffenstillstandslinie, der sogenannten Blue Line – davon konnte ich mich persönlich überzeugen –, leistet die Bundeswehr, leisten die Soldatinnen und Soldaten hochprofessionelle Arbeit, ebenso wie in der Maritimen Task Force. Und für diese nicht nur komplexe, sondern auch gefährliche Arbeit gilt den Soldatinnen und Soldaten unser aller Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dennoch, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann sich aus den immer noch anhaltenden Spannungen jederzeit wieder ein Konflikt, möglicherweise sogar ein Krieg entwickeln. Wir haben im Januar einen Zwischenfall gehabt, als ein Hisbollah-Konvoi von den israelischen Streitkräften mit einer Rakete angegriffen wurde. Sechs Kämpfer und ein iranischer Offizier kamen dabei ums Leben. Zehn Tage später starben zwei israelische Soldaten nach einem Vergeltungsangriff, der wiederum mit Artilleriefeuer aus Israel beantwortet wurde. Ein spanischer UNIFIL-Soldat hat dort sein Leben verloren. Trotz dieser dramatischen Zuspitzung haben die Konfliktlösungsmechanismen der UNIFIL am Ende funktioniert. Damit sie auch in Zukunft funktionieren, meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte ich um Zustimmung für dieses Mandat. Eines sollte uns doch in dieser Debatte einen: Einen weiteren Krieg kann sich diese Region nicht leisten.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.