In seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag äußert sich Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-scher Streitkräfte an der EU Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias. Er betont die wichtige Rolle, die die Operation für die Stabilisierung der Region und für die Versorgung der Menschen spielt.

Sehr herzlichen Dank.  Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Der Deutsche Bundestag berät heute in erster Lesung die Verlängerung der EU-Anti-Piraterie-Operation Atalanta an der Küste Somalias und am Horn von Afrika, an der sich Deutschland seit 2008 durchgehend mit Schiffen und zeitweise auch mit Aufklärungsflugzeugen beteiligt. Aktuell beteiligen sich 20 EU-Mitgliedstaaten und zwei Drittstaaten an der Operation, die auf dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen sowie – das ist bekannt – auf mehreren Resolutionen des UN-Sicherheitsrates fußt. Hauptaufgabe von Atalanta bleibt der Schutz der Seewege und vor allem des Seetransports der Schiffe des Welternährungsprogramms und der Friedensmission der Afrikanischen Union sowie die Bekämpfung von Piraterie und bewaffneter Seeräuberei vor der Küste Somalias und am Golf von Aden.

Das alles klingt einigermaßen abstrakt. Aber wenn man sich einmal vergegenwärtigt, dass das Mandatsgebiet, das wir festgelegt haben, in etwa 24-mal die Fläche der Bundesrepublik Deutschland umfasst, bekommt man eine Ahnung von der Größe und der Komplexität der Aufgabe, die unsere Soldatinnen und Soldaten dort erfüllen. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle recht herzlich bedanken.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Lage in Somalia – das gehört zu einer solchen Debatte natürlich dazu; es würde auch gar keinen Sinn ergeben, darum herumzureden – hat sich nicht zu unserer Zufriedenheit entwickelt. Man kann auch sagen, dass sich die Sicherheitslage trotz des internationalen Engagements, der fortgesetzten Beteiligung auch deutscher Streitkräfte an der Überwachung im Rahmen der Operation Atalanta, aber auch trotz der beträchtlichen Friedensmission der Afrikanischen Union bisher nicht entscheidend verbessert hat. Ich muss Sie, glaube ich, nicht an die schrecklichen Bilder von fortgesetzten Anschlägen in Somalia erinnern. Al-Schabab, die größte und stärkste Terrormiliz, ist weiterhin in weiten Teilen des Landes aktiv. Sie ist zu Operationen fähig und führt sie auch aus.

Wir haben auch gesehen, dass es längst nicht mehr nur Somalia ist, sondern dass auch die Nachbarländer Opfer dieses Terrors werden. Wir alle haben die Bilder von dem schrecklichen Angriff auf die Universität sicherlich noch im Kopf.

Die Rahmenbedingungen für die Bekämpfung des Terrors und die Stabilisierung von Somalia bleiben ausgesprochen schwierig. Ich will einige Zahlen erwähnen: Im Jahre 2011 sind 250 000 Menschen in Somalia an Hunger gestorben. Rund 1 Million Menschen benötigen aktuell humanitäre Hilfe, davon allein 350 000 in der Hauptstadt. Hinzu kommen 1 Million Binnenvertriebene und schätzungsweise 1 Million somalische Flüchtlinge in den Nachbarländern.

Meine Damen und Herren, für die Versorgung der somalischen Bevölkerung mit Lebensmitteln bleibt die Operation Atalanta zentral; denn die Versorgung erfolgt überwiegend auf dem Seeweg. Deswegen muss man an dieser Stelle darauf hinweisen: Seit Beginn der Operation Atalanta sind alle Schiffe des Welternährungsprogramms sicher nach Somalia eskortiert worden. Auch die Transporte der EU-Mission AMISOM werden geschützt. Das ist bei aller Sorge über die Lage in Somalia, die wir, glaube ich, teilen, ein wichtiger Erfolg.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Auch in dem anderen Kernbereich der Mission sind Erfolge zu verzeichnen. Im Jahre 2009 mussten wir noch 117 Piratenangriffe und 46 Entführungen von Handelsschiffen registrieren. Die Zahl ist auf 4 versuchte Angriffe im Jahr 2014 gesunken. Entführungen konnten seit 2012 komplett verhindert werden. Aktuell befindet sich kein Schiff mehr in der Hand somalischer Piraten. Die Zurückdrängung der Piraterie ist nicht zuletzt auf das effektive Zusammenspiel von Schiffseignern und maritimer Präsenz von Atalanta zurückzuführen.

Trotzdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss uns klar sein: Natürlich kann sich die Lage wieder ändern, kann Piraterie am Horn von Afrika wieder aufflammen. Auch deswegen ist die weitere Präsenz unserer Schiffe dort notwendig. Dass dies so ist, dass Piraterie aufflackern kann und dass es eine fragile Stabilität ist, die wir erreicht haben, hat nicht nur mit dem bewaffneten Terrorismus, sondern auch mit den Rahmenbedingungen – mit Armut, mit Verzweiflung, mit der Destabilisierung der staatlichen Strukturen, mit der Abwesenheit von Staatlichkeit in Somalia – zu tun. Ohne eine langfristige Verbesserung der Lebens- und Einkommensverhältnisse vor Ort wird Somalia auch weiterhin Rekrutierungsgebiet und Basis für Terrorismus und Piraterie bleiben.

Auch vor diesem Hintergrund, meine Kolleginnen und Kollegen, hat Deutschland allein zwischen 2008 und 2013 313 Millionen Euro an Hilfsgeldern für Somalia zur Verfügung gestellt. Trotz dieser Hilfe wird man – das wissen wir, glaube ich, alle – nicht nur in den Gebieten, die jetzt von der al-Schabab befreit worden sind, sondern auch in den Nachbarstaaten, die unter der Last der Flüchtlinge leiden, mehr leisten müssen. Wir sind nicht so naiv, zu glauben, dass mit der Verlängerung der Operation Atalanta das Problem gelöst wäre. Aber ohne die Operation Atalanta würden uns die Rahmenbedingungen fehlen. Deswegen glaube ich, auch mit Blick auf die Krise in der gesamten Region – Stichwort „Jemen“; auch das muss man in der Debatte erwähnen – sagen zu können: Wir leisten einen Beitrag – nur einen, aber einen unverzichtbaren – zur Stabilisierung dieser Region, zur Versorgung der Menschen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind. Deswegen bitte ich um Zustimmung.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)