In seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag zu den Sanktionen gegen Russland betont Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, die Wichtigkeit der diplomatischen Instrumente und der Durchsetzung des Abkommens von Minsk. Die Rede ist eine Antwort auf einen Antrag der Linksfraktion. Niels Annen spricht sich gegen eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland aus.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss zugeben, dass der vorlie­gende Antrag der Linksfraktion mich ein bisschen ratlos stimmt. Denn er zeichnet sich in erster Linie durch Weg­lassungen aus, Herr Kollege Gehrcke. Er sagt nichts zu den Ursachen der aktuellen Krise in der Ukraine. Er sagt nichts zu der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und auch nichts zu den neuen Truppenkonzentrationen der russischen Armee. Er sagt auch nichts zu den soge­nannten Wahlen, die in Donezk und Luhansk von Sepa­ratisten abgehalten worden sind, übrigens eindeutig ge­gen die internationalen Vereinbarungen verstoßend. Er sagt auch nichts zu den von der OSZE und der NATO in­zwischen bestätigten Truppenbewegungen von unge­kennzeichneten Militärfahrzeugen über die russisch-ukrainische Grenze in Richtung Donbass, ein Manöver, das wir schon aus der Krim-Krise kennen. Herr Kollege Gehrcke, Ihr Antrag weist auch keinerlei ernsthafte Handlungsalternativen im Hinblick auf die sehr besorg­niserregende Entwicklung, die wir in Russland beobach­ten können, auf. Zu guter Letzt – auch das muss man der Vollständigkeit halber hier erwähnen – sind auch die Aussagen in Ihrem Antrag, auf den ich mich jetzt einmal konzentriere, zu den Äußerungen der neuen EU-Außen­beauftragten Mogherini nachweislich falsch.

(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das hat sie selber zu­rechtgerückt!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kritik der Linksfraktion an der Sanktionspolitik und ihre Forde­rung, diese Sanktionen aufzuheben – das ist eigentlich der Kernpunkt meiner Intervention –, sind doch im Kern inkonsequent. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, was Sie hier immer wieder vorgetragen haben, ist, dass Sie die Politik der Bundesregierung im Kern unterstützt haben, die da sagt – da sind wir uns im gesamten Hause einig –: Wir haben in diesem Konflikt keine militärische Option. – Wenn man das aber sagt, dann muss man auch die Frage beantworten, welche Instrumente uns zur Ver­fügung stehen.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Verhan­deln! Reden und verhandeln!)

Es sind die Instrumente der Diplomatie – die auch dafür sorgen müssen, dass wir eine klare Positionierung vor­nehmen –,

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!)

und es ist das politische Instrument der Sanktion. Inso­fern ist Ihre Haltung inkonsequent. Stattdessen gerieren Sie sich, Herr Gehrcke – das muss ich einmal sagen, nachdem Sie so stolz auf Ihre Besuche beim Ost-Aus­schuss der Deutschen Wirtschaft waren –, als Genosse der Bosse. Das hilft uns nun wirklich nicht weiter.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das war Ihr Chef, nicht ich!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Dreh- und Angelpunkt unserer Ukraine-Politik ist und bleibt das Abkommen von Minsk. Warum ist das so? Ganz einfach: weil es ein Abkommen bzw. ein Protokoll ist, das Russ­land mit verhandelt und unterzeichnet hat, ein Abkom­men, dessen Umsetzung wir aktiv unterstützen. Ich muss an dieser Stelle auch sagen, Frau Kollegin Beck: Diese Unterstützung ist auch eine Unterstützung der Regierung Poroschenko. Von „alleinegelassen“ kann da überhaupt nicht die Rede sein; darauf lege ich allergrößten Wert. Denn dieses Format basiert auf den unterschiedlichen Initiativen, die die Bundesregierung in den letzten Wochen und Monaten in mühsamer Kleinarbeit durch­gesetzt und umgesetzt hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine lieben Kollegen von der Linksfraktion, Sie schreiben in Ihrem Antrag, die Sanktionen hätten „die Eskalationsspirale weiter gedreht“; das ist ein Zitat aus Ihrem Antrag.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, rich­tig!)

In Wirklichkeit ist es aber genau umgekehrt: Doch nicht die EU hat die Eskalationsspirale weiter gedreht, son­dern die Russische Föderation hat die Eskalationsspirale weiter gedreht. Es gibt bis heute keinen belastbaren Waf­fenstillstand, obwohl er vereinbart war und diese Verein­barung auch von Russland unterzeichnet worden ist. Es gibt bis heute kein von der OSZE organisiertes Monito­ring an der Grenze – Kernbestandteil der Minsker Ver­einbarung, mit Russland ausgehandelt und von Russland unterschrieben. Das, Herr Kollege Gehrcke, hätten Sie an dieser Stelle durchaus erwähnen können,

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

weil es die Grundlage der Politik ist, die von der interna­tionalen Gemeinschaft unterstützt wird.

Stattdessen gibt es eine De-facto-Anerkennung des Ergebnisses illegaler Wahlen, die von den sogenannten Separatisten durchgeführt worden sind, obwohl im Minsker Abkommen geregelt wurde, dass es zwar Wahlen geben solle, aber nach ukrainischem Recht und an einem anderen Datum. Davon haben Sie hier kein Wort erwähnt. Die Friedensbemühungen, die wir auch weiter­hin gemeinsam tragen und die in diesem Parlament – da­rüber bin ich sehr froh – eine breite Mehrheit und große Unterstützung finden, sind von Russland in den letzten Wochen systematisch hintergangen und unterlaufen wor­den. Das führt dazu, dass wir heute vor einer wirklich schwierigen Situation stehen. Auch die OSZE hat dieses Verhalten mehrfach verurteilt. Die Vereinten Nationen haben diese Politik – ich zitiere – als ein „Hindernis für die Friedensverhandlungen“ bezeichnet. Ich glaube, das spricht für sich.

Wie lautet die Antwort, die uns von den Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion vorgeschlagen wird? Eine Aufhebung der Sanktionen. Ich bin nicht ganz si­cher, ob uns die polemische Art und Weise, in der wir diese Debatte – nicht nur heute, sondern an vielen Tagen –geführt haben, immer weiterhilft. Trotzdem muss man sagen: Das, was Sie vorschlagen, Herr Gehrcke, ist doch im Kern – darum kommt man nicht herum – eine Ermu­tigung des bisherigen Kurses von Wladimir Putin, eines Kurses, der uns und die internationale Gemeinschaft – an dieser Stelle bin ich mit der Kollegin Beck in der Tat einer Meinung – über die Ziele, die die Russische Föderation verfolgt, im Unklaren lässt. Ich sage nicht, dass eine klare Politik dazu führen würde, dass wir einer Meinung wären und uns automatisch einigen könnten. Aber die systematische Politik der Verunsicherung und der Täuschung, übrigens eine Politik, die mit chauvinis­tischen Elementen und der Aufheizung von nationalisti­schen Gefühlen arbeitet, ist etwas, mit dem wir uns klar auseinandersetzen müssen.

Am Ende ist es vielleicht sogar so, dass man sagen kann: Das, was Sie von der Bundesregierung fordern, tut die Bundesregierung. Sie arbeitet an der Aufhebung der Sanktionen. Aber dafür müssen die politischen Grundla­gen stimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNE)