10 Jahre nach der EU-Osterweiterung sehen wir, welches Erfolgsmodell die EU doch eigentlich ist. Die Bedenken von 2004 sind Makulatur. Das sollte uns darin bestärken, unser Versprechen an die Staaten des Westlichen Balkans einzuhalten, sie auf dem Weg in die Europäische Union zu unterstützen. Dafür müssen wir auf dem Westlichen Balkan für die Demokratie und ihre Werte eintreten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zehn Jahre nach der EU-Osterweiterung und fast 25 Jahre nach Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur haben wir in der Tat allen Grund zu feiern.
Vor zehn Jahren war die Skepsis allerdings groß. Warum haben wir dann trotz großer Bedenken in der Bevölkerung und im Parlament mehrheitlich für die EU-Osterweiterung gestimmt? Natürlich ging es uns nach 40 Jahren der Teilung Europas in zwei militärisch, alles vernichtende Maschinerien um Sicherheit und Frieden, einen Frieden durch europäische Solidarität, der auf der demokratischen Wertegemeinschaft beruht. Wir waren überzeugt, dass die Staaten Mitteleuropas die Werte der EU - das heißt: Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und vor allem auch soziale Gerechtigkeit - teilen und sich mit uns ernsthaft auf diesen Weg machen wollten. Wir glaubten daran, dass diese Werte die Grundlage für eine positive gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Entwicklung sind. Diese Hoffnung hat sich zu unserer Freude bewahrheitet. Es hat sich gezeigt, dass überall dort, wo die Demokratie funktioniert, die wirtschaftliche Entwicklung mit großen Schritten voranschreitet und damit Sicherheit und Wohlstand wachsen.
Die EU ist unmissverständlich ein Erfolgsmodell. 70 Jahre Frieden, gesichert durch die drei großen Projekte „gemeinsamer Binnenmarkt“, „gemeinsame innere Sicherheit“ und - trotz einiger Kritiker - „gemeinsame Währung“. Um den Frieden aber dauerhaft zu sichern, brauchen wir das vierte große Projekt, nämlich die soziale Sicherheit der Menschen in Europa.
Diese können wir in Europa aber nur gemeinsam durch die europäischen Institutionen verwirklichen. Dazu passt, dass wir in zwei Wochen Europawahlen haben. Das Europäische Parlament ist der höchste Ausdruck der europäischen Demokratie. Leider wird das Europäische Parlament von Bürgern und - noch schlimmer - von einigen politisch Verantwortlichen nicht ausreichend ernst genommen. Wenn wir uns den Herausforderungen der Zukunft erfolgreich stellen wollen, brauchen wir gerade diese demokratischen europäischen Institutionen anstelle von nationalstaatlichen Egoismen. Wenn wir wollen, dass Demokratie und Parlamentarismus zehn Jahre nach der EU-Osterweiterung weiterhin die Attraktivität der EU ausmachen, müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen und das Europäische Parlament stärken.
Kolleginnen und Kollegen, mir ist die europäische Demokratie auch als Außenpolitiker wichtig. Den Europagedanken und demokratische Werte können wir in der Ukraine oder auf dem Westbalkan nur vertreten und einfordern, wenn wir sie vorleben. Dazu zählt übrigens auch, dass wir unsere Versprechen ehrlich und rechtsstaatlich einhalten. Ich denke dabei an unser Versprechen gegenüber den Westbalkanstaaten, sie gemäß dem Vertrag von Thessaloniki in die EU aufzunehmen und sie auf dem Weg dorthin zu unterstützen.
Erlauben Sie mir, aus meiner Erfahrung als ehemaliger Jugoslawe ein paar Worte zu der Krise in der Ukraine zu sagen. Das Wichtigste für mich als Demokrat ist es, nicht zuzulassen, dass demokratische Grundwerte gegen das Völkerrecht auf nationale Selbstbestimmung ausgespielt werden. Die Prämisse ist: Individuelles Grundrecht muss vor nationalem Kollektivrecht geschützt werden, wenn wir Nationalismen verhindern wollen. Außerdem dürfen wir nicht zulassen, dass innenpolitische Schwächen der Akteure als außenpolitisches Ablenkungsmanöver zum Schaden der Ukraine genutzt werden.
Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass die Kriegsdynamik an die Stelle des diplomatischen Dialogs tritt. Dafür möchte ich dem gesamten Haus danken, der Bundesregierung und vor allem unserem Außenminister für seine Besonnenheit und Unnachgiebigkeit im unermüdlichen Einsatz für die friedliche Lösung des Konflikts in der Ukraine.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zehn Jahre nach der EU-Osterweiterung und zum Ende meiner Rede möchte ich sagen: Der europäische Gedanke ist mehr als die heutige Europäische Union. Frieden in Europa kann nur gesichert werden, wenn es unser Ziel ist, eines Tages eine gesamteuropäische Union zu schaffen. Die EU-Osterweiterung ist der Beweis, dass diese gesamteuropäische Vision möglich ist.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.