Die mörderische Organisation Islamischer Staat (IS) terrorisiert in einem nie dagewesenen Maße die Bevölkerung des Irak. Seit Juni dieses Jahres sind große Teile der sunnitischen Gebiete Iraks der Kontrolle der Zentralregierung entglitten. Der IS kämpft sich immer weiter vor, eroberte zeitweilig den Mosul-Staudamm. Auch Truppen der kurdischen Regionalregierung (Peschmerga) konnten dem IS keinen Einhalt gebieten. Mehr als 200.000 Menschen – darunter Christen, Turkmenen und Jesiden – mussten fliehen. 50.000 Jesiden flohen in die Sinjar-Berge und wurden eingekesselt von IS-Kämpfern. Andere wurden ermordet oder versklavt.

Die Vereinten Nationen (UN) schätzen, dass es mehr als 1 Million Binnenvertriebene im Irak gibt. Und der IS ist mächtig, finanziell sehr gut aufgestellt. Mit seinem Vorrücken ist die staatliche Einheit Iraks in Gefahr, Auswirkungen auf die Türkei sind nicht auszuschließen.

Vor diesem Hintergrund und in Absprache mit den europäischen Außenministern hat die Bundesregierung den Beschluss gefasst, neben humanitärer Hilfe auch militärisches Gerät an den Irak zu liefern. Es geht um eine Nothilfe, die dem Schutz von Leib und Leben dient. 

Gewissensentscheidung für Abgeordnete

Ein Bundestagsmandat ist für den Einsatz zwar nicht nötig, dennoch debattierten die Abgeordneten an diesem Montag über die humanitären Hilfen und Waffenlieferungen. In einem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen begrüßt der Deutsche Bundestag, dass die Bundesregierung zusammen mit den europäischen Partnern ein umfassendes Unterstützungspaket für die irakische Zentralregierung und die Regionalregierung Irak-Kurdistans beschlossen hat.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte vor der Plenarsitzung: „Die Gefahr, dass der Völkermord fortgesetzt und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Nordirak weitergehen, ist für mich größer als das Risiko, dass die Waffen in falsche Hände geraten“, sagte Oppermann. Die Abstimmung sei für jeden Abgeordneten aber ganz klar eine Gewissensentscheidung.

Besonders wichtig ist für die SPD-Fraktion, dass schnell und entschlossen humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge zur Verfügung gestellt wurde und dass die Bundesregierung diese Mittel gegebenenfalls weiter aufstocken wird.

Der Bundestag fordert die Regierung auf, sich weiterhin für die Bildung einer inklusiven Regierung im Irak einzusetzen und den politischen Prozess zur Einbindung aller Volksgruppen im Irak zu unterstützen.

Den Konflikt politisch lösen

Die Abgeordneten der SPD-Fraktion haben sich die Entscheidung, den Waffenlieferungen an den Nordirak zuzustimmen, nicht leichtgemacht. Einige betrachten dies mit großer Skepsis, da die Waffen möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt in einem innerirakischen Konflikt zwischen den drei großen Volksgruppen zum Einsatz gebracht werden könnten oder an andere Gruppen missbräuchlich gelangen könnten.

Trotz ihrer Skepsis erkennen die Abgeordneten jedoch an, dass der Schwerpunkt deutscher und internationaler Politik darauf liegt, dass der Konflikt insgesamt politisch gelöst werden muss.

Thomas Oppermann sagte vor dem Parlament, es sei „nicht angemessen“, angesichts der Situation im Irak, nur passiv zuzuschauen. Das „grausame Drama“ im Irak sei „ohne Beispiel“. Oppermann: „Wir müssen helfen!“ Im Vordergrund stehe die humanitäre Hilfe, die massiv ausgeweitet werden müsse. Die bis dato veranschlagten 50 Millionen Euro dafür würden steigen. „Die SPD-Fraktion wird darauf achten, dass die Summe für humanitäre Hilfe immer höher ist als für militärisches Gerät“, konstatierte Oppermann. Er bekundete Respekt für die Kurden, die sich den Terrormilizen mutig entgegenstellten. Oppermann wies darauf hin, dass es sich hier um eine Nothilfe handele und nicht um kommerziellen Kriegswaffenexport.

Letztlich gehe es hier um eine Abwägung, vollkommene Sicherheit – auch in Bezug auf Waffen – könne es nicht geben.

Die politischen Grundsätze für Rüstungsexporte blieben davon selbstverständlich unberührt. Auch weiterhin werde Deutschland keine Waffen in Kriegsgebiete liefern.

Auch deutsche Staatsbürger bedroht

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Niels Annen betonte, dass der IS-Konflikt auch Deutschland betreffe; auch deutsche Staatsbürger seien in Gefahr. Er wies auf die gigantischen Flüchtlingsströme hin, Deutschland müsse hier helfen. Mit Blick auf Waffenlieferungen sagte Annen: "Die Menschen im Irak benötigen ein sicheres Umfeld". Der IS sei nicht unbesiegbar. Dazu sei ein politischer Prozess vonnöten.
 

Frank Schwabe, menschenrechtspolitischer Sprecher, sagte im Plenum, die Menschen im Irak müssten die Chance bekommen, sich wehren zu können, darum stimme er den Waffenlieferungen zu. Schwabe machte zugleich deutlich, dass es nötig sei, die humanitären Hilfen zu verstärken und die Mittel zu erhöhen. Zudem müsse Deutschland bereit sein, mehr Flüchtlinge aufzunehmen.
 

"Diese Krise hat Europa und Deutschland längst erreicht", stellte der verteidigungspolitische Sprecher Rainer Arnold klar. Kein Land allein könne den islamistischen Terror besiegen, darum sei es wichtig, dass Deutschland verlässich sei. Das sei, so Arnold, nicht zuletzt im eigenen sicherheitspolitischen Interesse. "Die Region brennt sonst lichterloh." Die IS-Miliz sei so brutal, dass dies ein Weckruf für die Staatengemeinschaft sein müsse, den Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Es sei wichtig und richtig, die örtlichen Sicherheitsstrukturen im Irak zu unterstützen.
 

Die SPD-Bundestagsfraktion stimmte am Montag bei einigen Gegenstimmen den Hilfen für den Irak zu.

Deutschland liefert der Regierung der Autonomen Region Irakisch-Kurdistan Panzerabwehr-Raketen des Typs Milan, Maschinengewehre und Handgranaten, um sie im Kampf gegen die Extremistenmiliz Islamischer Staat im Nordirak zu unterstützen. Die Peschmerga sollten ausreichend Waffen erhalten, um einen Großverband von 4000 Soldaten auszustatten, erklärten Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Sonntagabend in Berlin. Die erste Teillieferung dürfte Deutschland nach Angaben des Verteidigungsministeriums voraussichtlich in zwei Wochen verlassen und über Bagdad nach Erbil geflogen werden.

Alexander Linden