Bis 1989 waren Wahlen in der DDR Scheinwahlen. Zur Wahl stand lediglich der Wahlvorschlag der Nationalen Front der Deutschen Demokratischen Republik. Die Einheitslisten umfassten zwar Vertreter unterschiedlicher Parteien und Massenorganisationen der DDR. Die SED verfügte jedoch zusammen mit den ihr angehörenden Vertretern der Massenorganisationen stets über eine absolute Mehrheit. Auf den Stimmzetteln gab es nichts abzustimmen und nichts anzukreuzen. Viele DDR-Bürger wussten gar nicht, dass und wie sie eine Nein-Stimme abgeben konnten.

Doch die Wahlen 1989 verliefen nicht so wie von der Partei- und Staatsführung geplant. Anders als bei früheren Wahlen benutzten die Bürger in einem bisher nicht gekannten Ausmaß beim Wahlgang die in den Wahllokalen aufgestellten Wahlkabinen. Als die Wahllokale um 18 Uhr schlossen, fanden sich vielerorts zahlreiche Bürger ein, um der Stimmauszählung beizuwohnen. Diese Möglichkeit war im Wahlgesetz der DDR vorgesehen, den Bürgerinnen und Bürgern aber kaum bekannt. Auf diese Art und Weise konnten die Bürgerinnen und Bürger den Wahlbetrug dokumentieren, führte die SPD-Abgeordnete Hiltrud Lotze aus. „Der laute Protest, der sich an diesem Wahlbetrug entzündete, war der erste Schritt zur Selbstbefreiung.“

Noch am Wahlabend demonstrierten in Leipzig rund 1000 Menschen gegen die Wahlmanipulationen. In Ostberlin und anderen Städten der DDR fanden in den Folgemonaten am 7. eines jeden Monats Protestkundgebungen gegen die vorgenommenen Wahlfälschungen statt. Bereits fünf Tage nach der Wahl erhoben Berliner Bürgerrechtler einen „Einspruch gegen die Gültigkeit der Kommunalwahlen“ beim Nationalrat der DDR. Insgesamt gab es rund 300 Wahlanfechtungen sowie zahlreiche Strafanzeigen wegen Wahlfälschung, auf die später Verurteilungen folgen sollten.

"Auf dem schmelzenden Eis des kalten Krieges" - die historische Rede von Erhard Eppler (SPD) im Juni 1989

Trotz dieser Ereignisse erkannten im Sommer 1989 nur wenige Politikerinnen und Politiker, wie fragil die Lage in der DDR wirklich war. Einer von ihnen war Erhard Eppler (SPD), Vorsitzender der SPD-Grundwertekommission (1975 - 1991) und Bundesminister a.D. für wirtschaftliche Zusammenarbeit (1968 - 1974). „Wir sehen ja ein, dass sich die SED auf dünnem Eis bewegt“, sagte er am 17. Juni 1989 in seiner Rede vor dem deutschen Bundestag in Bonn. "Aber hier handelt es sich nicht nur um dünnes, sondern um tauendes Eis, um das schmelzende Eis des Kalten Krieges. Und wer sich da nicht bewegt, aus Furcht, er könne einbrechen, dürfte dem kalten Wasser nicht entkommen." Er thematisierte als erster prominenter Politiker öffentlich die Frage einer ernsthaften gemeinsamen Perspektive beider deutscher Staaten - für ihn ein reales Problem der europäischen Ordnung, auf dessen Lösung niemand vorbereitet sei.

Eppler fand ungewöhnlich klare Worte und ermutigte die Bürgerinnen und Bürger der DDR sich "in die inneren Angelegenheiten ihres eigenen Staates" einzumischen, und zwar nicht so, wie die SED dies zuträglich fände oder wie es den Menschen in der BRD gefiele, sondern so, wie sie es selbst für richtig und nötig hielten.
 

Eine Lehre für die Zukunft unserer Demokratie

Die Kommunalwahlen vom Mai 1989 waren die letzten Wahlen in der DDR auf der Grundlage von Einheitslisten. Die ein Jahr später am 6. Mai 1990 durchgeführten Kommunalwahlen blieben zusammen mit den Volkskammerwahlen vom 18. März 1990 die einzig freien Wahlen in der Geschichte der DDR. Im Vorfeld der friedlichen Revolution in der DDR kommt den Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 daher eine herausragende Bedeutung zu.

Wolfgang Tiefensee verwies in der Debatte am Mittwoch im Plenum darauf, wie wichtig es auch heute sei – gerade in ländlichen Regionen – das zivilgesellschaftliche Engagement zu stärken.

Iris Gleicke, SPD-Abgeordnete und Parlamentarische Staatssekretärin, nannte die Debatte im Deutschen Bundestag eine Würdigung, der „mutigen Bürger der DDR, die sich nicht haben einschüchtern lassen“. Sie hätten die Wahlen als dreiste Fälschung und die DDR als lächerliche Diktatur entlarvt. Dazu gehörte Mut.

Jeder, der die gefälschten Wahlen in der DDR miterlebt habe oder heute nachlese, müsse den hohen Wert freier Wahlen in einer Demokratie begreifen, so Gleicke. „Ich bekenne offen, ich habe kein Verständnis dafür, dass Leute es schick finden, nicht wählen zu gehen. Ich will keine Neonazis im Europäischen Parlament haben, nicht im Bundestag und nicht im Landtag und in keinem einzigen Rathaus." Wer die Bürgerinnen und Bürger der DDR ehren wolle, die vor 25 Jahren darauf bestanden haben, richtige Wahlen zu haben, der gehe wählen. „Das ist das Erbe des 7. Mais 1989“, so Gleicke.