Herr Oppermann, wird es nach der Annäherung der Athener Regierung und ihren Geldgebern ein drittes Hilfspaket für Griechenland geben?

Die Vorschläge aus Griechenland klingen erstmals ernsthaft. Ob es für ein Hilfspaket reicht, müssen am Sonntag die Staats- und Regierungschefs entscheiden. Die griechische Regierung hat nach dem Referendum einen atemberaubenden Kurswechsel vollzogen. Und Alexis Tsipras schlägt jetzt Dinge vor, die sie vor einer Woche noch strikt abgelehnt hatte. Vertrauen erweckt das nicht. Deshalb müssen wir darauf bestehen, dass die Spielregeln in Europa eingehalten werden. Aber griechische Versprechen reichen mir nicht mehr aus, ich will Taten sehen. Nach dem Verhalten der griechischen Regierung in den letzten Wochen ist auch klar: Wir spielen nicht mehr auf Rasen, wir gehen jetzt auf Hartplatz.

Die Regierung Tsipras soll im Gegenzug für Reform- und Sparmaßnahmen offenbar weitere 53,5 Milliarden Euro bis 2018 sowie einen verdeckten Schuldenschnitt erhalten. Wie erklären Sie das den Wählern in Deutschland?

Einen klassischen Schuldenschnitt wird es nicht geben. Ob es Erleichterungen beim Schuldendienst, also einer Umschuldung mit längeren Laufzeiten der Kredite und niedrigen Zinsen geben soll, muss der Gipfel entscheiden. Klar ist: Griechenland muss auch die Chance haben, wirtschaftlich wieder auf die Beine zukommen. Sonst lassen wir es besser gleich.

Frage neu formuliert: Wie wollen Sie verhindern, dass weitere Hilfsmilliarden für Griechenland in anderen Ländern als Ermunterung verstanden werden, eigene Reformanstrengungen einzustellen?

Ich bin dafür, bei Griechenland jetzt sehr genau hinzuschauen, was vereinbart wird. Populistisches Taktieren und nationalistisches Verhalten darf sich nicht auszahlen. Am Ende müssen die Regeln eingehalten werden, wenn es neue Hilfen geben soll. Sonst wird in Europa ein beispielloser Siegeszug der Populisten von rechts und links beginnen, der das europäische Projekt zerstören kann.

Was bedeutet das konkret?

Ein neues Hilfsprogramm für Griechenland gibt es nur gegen die verbindliche Zusage von Reformen und eigenen Anstrengungen . Das heißt: Finanzielle Unterstützung darf nur  Zug um Zug und nur jeweils nach erbrachten Reformleistungen freigegeben werden. Deren Umsetzung muss permanent überwacht werden. Ein sozialdemokratischer Grundsatz lautet: Solidarität mit denen, die Hilfe brauchen und sich anstrengen. Ohne Bedingungen wird mit der SPD kein Geld fließen.

Wie soll ein Staat solche Auflagen erfüllen, der nicht einmal eine funktionierende Steuerverwaltung und kein verlässliches Katasteramt hat?

Man kann in Griechenland nicht innerhalb von drei Tagen einen handlungsfähigen Staat aus dem Boden stampfen. Das kann den Griechen nur mittel- und langfristig gelingen, und dabei helfen wir ihnen gerne. Die bisherigen Hilfspakete waren immer nur im Staatshaushalt fixiert. Europa hat zu wenig darauf gepocht, dass die strukturellen Probleme in Griechenland behoben werden. Auch deshalb ist die bisherige Rettungspolitik gescheitert

Und ausgerechnet der Regierung Tsipras trauen sie zu, diesen Kraftakt zu stemmen?

Griechenland muss einen Zustand überwinden, der gekennzeichnet ist von Schattenwirtschaft, Steuerhinterziehung und Korruption, Klientelismus und Vetternwirtschaft prägen das System. In diesem Land zählt nicht primär die Leistung des Einzelnen, sondern man muss über gute Beziehungen verfügen, wenn man etwas erreichen will. Deshalb sehen viele junge Menschen in diesem System keine Perspektive. Das Staatsversagen in Griechenland ist der wesentliche Grund für die wirtschaftliche Schwäche dieses Landes.

Das kann man aber nicht nur der gegenwärtigen griechischen Regierung anlasten …

Natürlich nicht. Wir haben es hier mit über Jahrzehnten gewachsenen Missständen zu tun. Aber die Regierung Tsipras hat sich in den ersten sechs Monaten überhaupt nicht an die Lösung der griechischen Probleme gemacht. Im Gegenteil: Die Reichen im eigenen Land wurden  verschont und  die Rentner haben am Ende kein Geld mehr bekommen. Gleichzeitig schürt Syriza in Griechenland linken Nationalismus.

Das müssen Sie uns erläutern …

Statt sich die privilegierten Oligarchen vorzuknöpfen oder wenigstens die Reichen daran zu hindern, täglich eine Milliarde Euro aus dem Land zu schaffen, zeigt Tsipras Partei mit dem Finger auf den angeblichen Feind von außen: auf Europa, auf die EU-Kommission, auf Deutschland. Das ist ein typisches Muster aggressiver nationalistischer Politik: Um das Volk zu einen, lenkt man von den Problemen im Inneren des Landes ab und projiziert alle Wut und allen Frust auf einen äußeren Feind. Ich kann nur sagen: Als Sozialdemokrat ist mir jede Form von Nationalismus zuwider – ob von links oder rechts.

Wie wollen Sie in der SPD-Fraktion eine Mehrheit für Verhandlungen um ein drittes Hilfsprogramm organisieren?

Uns geht es zuerst um die Menschen in Griechenland. Ihnen müssen wir helfen. Wir wollen nicht, dass sie zum Objekt einer ideologischen Schlacht werden. Syriza geht über die Menschen Griechenlands einfach hinweg und benutzt sie als Verhandlungsmasse. Das finde ich abstoßend. Trotzdem dürfen wir die Menschen in Griechenland nicht im Stich lassen.

In der SPD herrscht große Unruhe, weil Parteichef Sigmar Gabriel intern einem Grexit das Wort redet. Verrät er damit die europapolitischen Ideale der Sozialdemokratie?

Davon kann keine Rede sein. Ich glaube, Sie haben den SPD-Vorsitzenden falsch verstanden. Niemand wünscht sich einen Grexit. Denn die politischen Kosten sind unkalkulierbar. Aber wenn Tsipras meint, er könne machen, was er will, weil wir ihn auf Teufel komm raus im Euro halten, dann liegt er falsch. Die anderen Euro-Länder lassen sich nicht erpressen.

Ist Gabriels Verhalten in der Griechenland-Krise Teil eines Versuchs, die SPD neu in der politischen Landschaft zu positionieren?

Nein. Sigmar Gabriel und auch mir selber geht es um Fragen, die größer sind. Die Fliehkräfte in Europa sind immens, wir ringen um Griechenland, um die Lösung des Flüchtlingsproblems, um den Verbleib Großbritanniens in der EU. Radikale Parteien von links und rechts sind auf dem Vormarsch. Sollte die EU künftig nur noch aus einem losen Zusammenschluss nationaler Regierungen bestehen, so wäre das Projekt Europa am Ende. Dagegen wird sich die SPD mit aller Kraft stemmen.

Auch an anderer Stelle will Gabriel der SPD offenbar einen Kurswechsel verordnen. In einem Strategiepapier ist von Patriotismus, und Heimat die Rede und von den Sorgen der Menschen vor Überfremdung. Die SPD solle die Partei der Sicherheit sein. Steht die SPD vor einem Rechtsruck?

Das ist Unsinn. Wir fragen danach, wie sich unsere Gesellschaft entwickeln soll, wie wir unseren Wohlstand erhalten, wirtschaftliche Dynamik mit sozialen Aufstiegsmöglichkeiten verknüpfen und Millionen Einwanderer und Flüchtlinge integrieren, ohne dass der soziale Friede gefährdet wird. Das Strategiepapier ist übrigens vor seiner Veröffentlichung intern ausführlich diskutiert worden und wurde von allen unterstützt. Es ist Sigmar Gabriels Verdienst, diese Diskussion angeregt zu haben.

Wollen Sie der Union als „Law an Order“-Partei Konkurrenz machen?

Das Bedürfnis nach sozialer Sicherheit aber auch nach ausreichendem Schutz vor Gewalt und Kriminalität geht durch die ganze Gesellschaft. Nur wenige sind vermögend genug, um sich unabhängig vom Staat Sicherheit verschaffen zu können. Die meisten Menschen wollen und brauchen einen handlungsfähigen Staat, der sie schützt. Es gilt der Satz des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair: Law and Order is a Labour Issue.

Wenn die SPD den Begriff „Überfremdung“ in den Mund nimmt, gibt sie damit nicht denen recht, die beispielsweise in Freital gegen Asylbewerber demonstrieren?

Das ist eine abwegige Behauptung. Wir machen uns den Begriff auch nicht zu eigen. Mit Menschen, die gewalttätig auf Asylbewerber losgehen, gibt es keinen Dialog. Man muss klar unterscheiden. Wir wollen die mitnehmen, die unsicher sind und sich Sorgen machen. Wir haben aber nichts mit denjenigen zu schaffen, die Fremdenhass predigen und gegen Ausländer mobil machen. Dazu zählt auch die neue Führung der AfD. Mit Rassisten kann man keine Gespräche führen.

Wird Sigmar Gabriel als Parteichef Ende des Jahres wiedergewählt?

Ja. Sigmar Gabriel hat die SPD aus einer schweren Wahlniederlage in eine erfolgreiche Regierung geführt, in der viele sozialdemokratische Kernprojekte umgesetzt worden sind. Das alles ist sein Verdienst. Ich bin absolut sicher, dass das in unserer Partei große Anerkennung findet.

Neue Frage: Kann man von großem Rückhalt sprechen, wenn SPD-Mitglieder den Parteichef im Internet als Zick-Zack-Vorsitzenden verspotten und zur Wahl von Angela Merkel aufrufen?

Da hat jemand offensichtlich die politische Orientierung verloren. Die SPD ist eine diskussions- und meinungsfreudige Partei. Aber nach innen gerichtete Debatten helfen uns im Augenblick nicht weiter. Stattdessen sollten wir uns um die konkreten Probleme in der Gesellschaft und um die Sorgen der Menschen kümmern.

Herr Oppermann, Sie standen in den vergangenen Monaten unter erheblichem Druck - in der Affäre um Sebastian Edathy ging es auch um Ihre Glaubwürdigkeit. Jetzt ist die Beweisaufnahme im Untersuchungsausschuss abgeschlossen. Was ist Ihr Fazit?

Ein politisches Fazit wird der Untersuchungsausschuss in seinem Bericht ziehen. Dem will ich nicht vorgreifen. Klar ist: Der ganze Vorgang hat nicht nur Sebastian Edathy, sondern auch der SPD geschadet.

Es sind noch etwas mehr als zwei Jahre bis zur nächsten Bundestagswahl. Hat die SPD mit Mindestlohn, Rentenreform und Frauenquote eigentlich schon alles geliefert – oder kommt da noch was?

Wir sind noch lange nicht fertig. Nach der Sommerpause wollen wir den Missbrauch von Leih- und Zeitarbeit einschränken, Menschen mit Behinderungen eine gerechte Teilhabe ermöglichen und für Männer und Frauen gleichen Lohn  für gleiche Arbeit erreichen. Da liegt noch viel vor.

Das Gespräch führten Stephan Haselberger, Hans Monath und Christian Tretbar