Handelsblatt: Herr Oppermann, wie soll die Wirtschaft jedes Jahr Hunderttausende von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt integrieren?
Thomas Oppermann: Das Ziel ist, die Geschwindigkeit des Flüchtlingszuzugs zu reduzieren und mehr Ordnung in die Einreise zu bekommen. Trotzdem bleibt die Integration der Flüchtlinge eine gewaltige Aufgabe für die ganze Gesellschaft, auch für die Wirtschaft. Die Unternehmen sollten trotz der großen Herausforderung den Optimismus nicht aufgeben und pragmatisch sein.

Das ist leicht gesagt...
Das Engagement von vielen Unternehmen ist bereits jetzt vorbildlich. Es gibt zahlreiche Projekte, die Flüchtlinge unterstützen. Das kann aber nur ein Anfang sein. Wir brauchen einen Pakt für Arbeitssuchende und Flüchtlinge. Politik, Arbeitgeber und Gewerkschaften müssen sich so schnell wie möglich an einen Tisch setzen, um realistische Ziele für die kommenden Jahre zu formulieren. Wir werden die Wirtschaft nicht alleine lassen.

Was stellen Sie sich das konkret vor?
Erstmal das gemeinsame Verständnis aller Beteiligten, dass sie zusammen die Verantwortung für die Bewältigung der Flüchtlingskrise tragen. Die Flüchtlinge müssen aber auch wissen, dass sie nur über Leistung und eigene Anstrengung sich dieses Engagement verdienen können. Es wäre völlig verkehrt, sie sozialstaatlich überzubehüten. Ich bin auch sicher, dass sie hoch motiviert sind, ihren Teil beizutragen. Das sieht man schon an der Begeisterung in den Deutschkursen. Der Dreiklang muss lauten: Fördern, Fordern und Ordnung schaffen.

Wie kann das aussehen?
Schnupperpraktika sind sinnvoll, in denen getestet wird, ob Unternehmen und Jobsuchende zusammen passen. Ich will, dass vorhandene Qualifikationen schnell anerkannt werden. Wenn eine Ausbildung auf die deutschen Anforderungen nicht übertragbar ist, muss es Anpassungs-Qualifikation geben oder nachgeschult werden.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein gutes Beispiel ist das erfolgreiche Programm „Start in den Beruf“, das die Sozialpartner der Chemiebranche anbieten. Dort werden junge Leute mit Bewerbungsmängeln in einem vorgelagerten 4. Ausbildungsjahr fit gemacht für die normale Ausbildung. Das lässt sich auf andere Branchen übertragen und auch für Flüchtlinge nutzen.

Erleben wir nach der Willkommenseuphorie einen neuen Realismus in der Flüchtlingspolitik?
Hilfsbereitschaft und Realismus schließen einander nicht aus, im Gegenteil.

Wie sieht der neue Realismus für den Arbeitsmarkt aus?
Generell: Ein Ausspielen von Flüchtlingen gegen deutsche Arbeitssuchende darf es nicht geben. Zur Ehrlichkeit gehört, dass es unter den Flüchtlingen auch Ältere ohne Qualifikation gibt. Hinzu kommen Analphabeten, in die wir sehr viel investieren müssen, damit sie in den Arbeitsmarkt eingreifen können. Trotzdem sehe ich vor allem Chancen.

Welche?
Die Hälfte der Flüchtlinge ist jünger als 25 Jahre. In Deutschland ist nur ein Viertel in dieser Altersklasse. Wir brauchen angesichts des drohenden Fachkräftemangels die Jungen. Gerade für das Handwerk ist es eine riesige Chance. Hier sind fünf Millionen Menschen beschäftigt und die Betriebe suchen händeringend Nachwuchs. Nach eindeutigen Befunden der Migrationsforschung sind die Flüchtlinge meist hochmotiviert. Sie wollen sich auch oft selbständig machen und sind bereit, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen und dabei auch Risiken einzugehen.

Dazu braucht es aber eine konsequente Integrationspolitik.
Wir dürfen nicht die Fehler der 60er und 70er Jahre wiederholen, als wir in den Gastarbeitern nur sprachlose Fließbandarbeiter gesehen haben. Wir müssen jetzt klotzen statt kleckern. Halbe Sachen machen keinen Sinn.

Wer zahlt den Unternehmen die Kosten, die durch die Integration entstehen?
Zunächst einmal wirken die Ausgaben für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge wie ein kleines Konjunkturprogramm. Für die Ausbildung der Jungen zahlt die Wirtschaft, denn sie erntet ja auch die Früchte. Ich kann mir in dieser besonderen Situation aber auch Kooperationen zwischen Wirtschaft und Staat vorstellen. Zum Beispiel könnte der Staat das zuvor beschriebene vierte Ausbildungsjahr zur Hälfte finanzieren.

Können sich Sie sich Lohnzuschüsse vorstellen?
Am Ende brauchen wir wettbewerbsfähige Arbeitsplätze. Aber für Qualifizierungsmaßnahmen und andere Integrationshilfen sehe ich den Staat in der Verantwortung, Mittel bereitzustellen. Ich halte aber gar nichts davon, den Mindestlohn für die Flüchtlinge abzusenken.

Warum nicht?
Die SPD hat den Mindestlohn hart erkämpft. Diejenigen, die gerade erst die Lohnerhöhung auf den Mindestlohn bekommen haben, müssten doch um ihren Job bangen, wenn wir es zulassen, dass Flüchtlinge zu Dumpinglöhnen eingestellt werden. Das birgt gesellschaftspolitischen Sprengstoff. Das weiß auch die Wirtschaft.

 

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Anmerkung der Webredaktion der SPD-Bundestagsfraktion:

>> Diese gesetzlichen Maßnahmen hat der Bundestag bereits beschlossen.