"Die Spindoktoren der Bundesregierung mögen sich noch so sehr bemühen, den EU-Gipfel in einen Sieg für Frau Merkel umzudeuten. Es wird nicht gelingen. Frau Merkel hat sich mit ihren Forderungen weder in Deauville noch in Brüssel durchgesetzt: Das war ein Scheitern auf Raten.

Wenn so getan wird, als sei die Beteiligung der Gläubiger an der Krisenbewältigung ein deutscher Sieg, so muss man wissen: Dieser Grundsatz war innerhalb der EU nie umstritten. Dass es eine Anschlusslösung für den EU-Rettungsschirm geben muss, war auch immer Konsens unter den EU-Staaten. Allein Deutschland hat sich aus innerkoalitionären Gründen lange dagegen gesträubt.

Beim Entzug des Stimmrechts hat Frau Merkel die Backen aufgeblasen. Geblieben ist davon nichts als ein Prüfauftrag. Die für Merkel gesichtswahrende Vereinbarung über die Möglichkeit kleinerer Vertragsanpassungen schiebt die eigentliche Entscheidung auf den nächsten März. Ob es überhaupt dazu kommt, steht in den Sternen.

Einmal mehr hat die Bundesregierung versucht, die Probleme in der schwarz-gelben Koalition auf Kosten des europapolitischen Ansehens Deutschlands zu lösen. Gute Europapolitik sieht anders aus."

Vor dem Gipfel: unrealistische Forderungen

Vor dem EU-Gipfeltreffen am 28./29. Oktober, auf dem es u. a. um die Reform des Stabilitätspaktes geht, hatte die Bundesregierung sich wieder mit unrealistischen und einseitigen Sanktionsforderungen exponiert, nur um kurz vor dem Gipfel einzuknicken und mit einem deutsch-französischen Alleingang die kleineren Partnerländer zu brüskieren. Das hat die Europäische Union auseinander getrieben, wo wir maximale Einigkeit brauchen, um die Regulierung der Finanzmärkte voranzutreiben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer Regierungserklärung am 27. Oktober versucht zu erläutern, wie sie die in der vergangenen Woche gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten Sarkozy getroffene Vereinbarung umsetzen will. Wie immer war das unkonkret und nebulös.

Die Vereinbarung zwischen Merkel und Sarkozy wurde getroffen, ohne die übrigen Partnerländer vorab darüber zu informieren. Diese Aktion entspricht nicht nur einer Kehrtwende bei der bisherigen Positionierung Deutschlands, sondern schwächt Deutschlands Rolle in der EU. Darüber hinaus soll zur rechtlichen Absicherung eine Änderung des Vertrags von Lissabon vorgenommen werden, die innerhalb der EU sehr umstritten ist. Der EU-Gipfel am 28./29. Oktober steht unter Zeitdruck, weil der im Frühjahr von der EU und dem IWF aufgespannte Rettungsschirm im Jahr 2013 ausläuft. Die Bundesregierung muss ihre Vorstellungen für die Zeit nach 2013 darlegen.

Rede von Frank-Walter Steinmeier zur Regierungserklärung:

Steinmeier kritisierte in seiner Erwiderung auf die Regierungserklärung, dass Merkel entgegen dem rosaroten Bild, das sie gezeichnet habe, durch den „Deal von Deauville“ mit Sarkozy, die Hälfte der anderen EU-Länder gegen sich aufgebracht habe. Damit habe sie die Tür für eine Einigung nicht geöffnet, sondern die Einigung erschwert. Er warf der Kanzlerin vor, dass sie immer nach demselben Muster handele: „Erst die Backen aufblasen und dann kommt die Einsicht in die europäischen Realitäten.“ Wieder werden im Vorfeld vollmundig Maximalforderungen aufgestellt, aber im Konkreten wird dann eingeknickt. Wer immer wieder so handelt, der schädigt nicht nur die Glaubwürdigkeit im eigenen Land, sondern auch das Ansehen der deutschen Regierung in Brüssel.

Reform des Wirtschafts- und Stabilitätspakts notwendig

Herausragendes Thema auf der Tagung des Europäischen Rates vom 28./29. Oktober 2010 war der Abschlussbericht der sogenannten Van-Rompuy-Task-Force zur Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung , den die Staats- und Regierungschefs billigen und ein Mandat zur Weiterführung der Arbeit erteilen sollten. Der Abschlussbericht enthält zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts und zur Stärkung der makro-ökonomischen Überwachung im Wesentlichen die Vorschläge der Kommission von Ende September in etwas allgemeinen und punktuell abgeschwächten Formulierungen. Das Mandat zur Fortsetzung der Arbeit enthält eher vage - Arbeits- bzw. Prüfaufträge betreffend - zwei deutsche Forderungen nach Vertragsänderungen: Bis Frühjahr 2011 sollen Vorschläge für einen mittelfristig einzuführenden, robusten Krisenmechanismus vorgelegt und Optionen für einen Stimmrechtsentzug für nicht kooperierende Mitgliedstaaten geprüft werden.

Verursacher wirklich und nicht alibimäßig beteiligen

Die Finanzkrise hat zu einer schweren Belastungsprobe für die Währungsunion geführt. Das zögerliche Verhalten der Bundesregierung im Frühjahr 2010 gegenüber Griechenland führte zu einem drohenden Vertrauensverlust in die Handlungsfähigkeit der EU. Deutlich geworden ist, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt in seiner bisherigen Form nicht ausreicht, um Fehlentwicklungen entgegenzuwirken und für die Zukunft verlässliche Krisenbewältigungsmechanismen und -instrumente zu installieren. Die Gläubiger müssen an der Stabilisierung beteiligt werden. Die Bundesregierung soll auf ihre unsinnige Forderung nach einem temporären Entzug von Stimmrechten verzichten und eine sinnvolle Stärkung des präventiven Arms des Stabilitäts- und Wachstumspaktes durchsetzen. Dazu zählen Maßnahmen, die verhindern, dass der Finanzsektor gegen Staaten spekulieren kann und Ratingagenturen das Schicksal von Anleihezinsen bestimmen können. Dazu gehören die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, das Verbot spekulativer Geschäfte mit Kreditausfallversicherungen und die Regulierung des grauen Kapitalmarktes für Staatsschuldtitel.