Dr. Sascha Raabe (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Sascha, ganz ruhig!)
Es ist klar, dass wir zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele auch mehr Geld brauchen. Darüber haben wir schon bei der ersten Lesung diskutiert. Die eine oder der andere unter den Rednerinnen und Rednern hatte mir danach vorgeworfen: Wenn es um die Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele geht, darf man nicht laut werden, nicht emotional werden. Wir alle sind uns doch eigentlich einig. Das ist ein ernstes Thema.
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: „Polemisch“, das war es!)
Wissen Sie, wir sind hier nicht auf dem Kirchentag, sondern im Bundestag. Für die ärmsten Menschen in der Welt reicht es nicht, wenn wir in Sonntagsreden immer wieder sagen, dass wir Hunger und Armut überwinden müssen, aber dann, wenn es darum geht, auch die Mittel zur Verfügung zu stellen, das nicht leisten, so wie es bei dieser Bundesregierung der Fall ist, Herr Kollege Ruck.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Bist du eigentlich schon länger im Parlament, oder bist du das erste Mal hier?)
Sie haben mir vorhin, bevor ich hier überhaupt geredet habe, Polemik vorgeworfen. Es ging darum, dass wir als Opposition kritisieren, dass die Bundesregierung ihre Versprechen nicht einhält. Ich möchte Ihnen dazu in Erinnerung rufen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Regierungserklärung 2005 hier vor uns gesagt hat:
Wir haben uns deshalb dazu verpflichtet ... bis 2010 mindestens 0,51 Prozent und bis 2015 die ODA-Quote von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit aufzubringen. Ich weiß, was ich da sage.
Dann hat sie – Herr Kollege Ruck, hören Sie gut zu! – am 7. Juni 2007 im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesagt:Und wir fühlen uns und ich fühle mich den Zielenfür 2010 verpflichtet. Da wird abgerechnet. Herr Ruck,
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Wir sind doch beim Du! Christian heiße ich!)
wenn im Jahr 2010 anstatt 0,51 Prozent nur 0,4 Prozent da sind, dann stellt man nun einmal fest, dass eine Kluft vorhanden ist. Da ist ein Versprechen gebrochen worden. Das ist keine Polemik. Da muss man nur rechnen können. Herr Ruck, nehmen Sie einen Taschenrechner und reden Sie sich da nicht heraus.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christian Ruck [CDU/CSU])
Es ist nun so, Herr Kollege Ruck, lieber Christian,
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Danke!)
dass die Kanzlerin wesentlich weiter ist als du. Sie hat mir dieses Versprechen in vielen persönlichen Gesprächen immer wieder gegeben.
(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)
Ich habe sie vor wenigen Wochen im Rahmen der Debatte zum Haushalt 2010 angesprochen. Da hat sie mir gesagt: Ja, ich fühle mich sündig; ich habe da mein Versprechen gebrochen. – Ich als guter Katholik sage: Ich wäre bereit, einer Sünderin zu verzeihen. Aber das setzt aufrichtige Reue voraus. Angesichts der Tatsache, dass es im Haushaltsentwurf für 2011 keine Steigerung gibt und dass die Versprechen ganz klar aufgegeben werden, kann ich nur sagen: So können wir die Millenniumsziele nicht erreichen. Die Kanzlerin hat die Öffentlichkeit belogen und die ärmsten Menschen betrogen.
(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Quatsch! – Anette Hübinger [CDU/CSU]: Als Christ kommen Sie damit nicht durch!)
Das werden wir als Opposition Ihnen immer wieder sagen, ob es Ihnen gefällt oder nicht, Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin, ich bin gerne bereit, Effizienz und Wirksamkeit in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen, wie Sie es gefordert haben. Aber dass Sie, wie gestern in der Pressekonferenz groß angekündigt, die Zusammenführung der technischen Institutionen im Entwicklungsbereich als die große Lösung und den großen Wurf in der Effizienzdebatte bezeichnen, das ist doch wirklich sehr stark übertrieben.
Der DAC-Bericht, auf den Sie sich immer beziehen, fordert, die Trennung von technischer und finanzieller Zusammenarbeit zu überwinden.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schuster zu?
Dr. Sascha Raabe (SPD): Ja.
Marina Schuster (FDP):Herr Kollege Raabe, Sie haben in Ihren Ausführungen mehrmals auf die Quote Bezug genommen. Zum Schluss haben Sie die Effizienz angesprochen. Sind Sie bereit, anzuerkennen, dass es sehr wichtig ist, dafür zu sorgen, dass die Hilfe dort ankommt, wo sie benötigt wird? Ihre Ministerin hat auch solchen Staaten Budgethilfe zugesagt, von denen wir später wussten, dass diese Gelder in den Apparaten der jeweiligen Regime versickern und eben nicht den Ärmsten der Armen zur Verfügung gestellt werden.
(Zuruf von der SPD: Das ist eine faustdicke Lüge!)
Man muss auch einmal darüber diskutieren, wie man erreichen kann, dass das Geld da ankommt, wo es benötigt wird.
Ich möchte Sie ferner fragen: Sind Sie nicht auch der Meinung, dass die Reform der Durchführungsorganisationen notwendig ist? Von vielen, die in den Organisationen arbeiten, haben wir die Aufforderung vernommen: Packt es endlich an! – Wir wollten dies schon viele Jahre. Aber die damaligen Regierungen haben es nicht geschafft.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dr. Sascha Raabe (SPD):
Liebe Kollegin Schuster, ich möchte zunächst auf den zweiten Teil Ihrer Frage antworten. Was die Reform der Institutionen angeht, ist es so,
dass das Verhältnis von finanzieller zu technischer Hilfe, was ihr Haushaltsvolumen angeht, zwei zu eins beträgt. Wir geben also doppelt so viel Geld für die finanzielle Zusammenarbeit aus wie für die technische Zusammenarbeit. Natürlich ist es ein erster wichtiger Schritt, wenn man im technischen Bereich etwas zusammenführt. Aber es wäre wesentlich sinnvoller – da werden Sie mir sicherlich zustimmen –, dass man den Bereich, der ein doppelt so großes Volumen aufweist, auch in die Reform einbezieht. Tut man dies nicht, gibt es für die Menschen in den Partnerländern weiterhin zwei Ansprechpartner.
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Wollen Sie das etwa im Finanzministerium ansiedeln?)
Das ist doch gerade das, was im DAC-Bericht kritisiert wird. Die Ministerin hat in der letzten Legislaturperiode zu Recht gesagt: Erst einmal müssen wir die KfW-Ent-wicklungsbank mit der GTZ fusionieren. Dann reformieren wir den technischen Bereich. Denn nur auf diese Weise erhalten wir eine Lösung aus einem Guss. – Das steht auch, wie ich gerade schon ausgeführt habe, im DAC-Bericht der OECD.
Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich, dass Staatssekretär Beerfeltz gestern im Ausschuss und danach Minister Niebel im Rahmen der Regierungsbefragung gesagt haben, dass sie auch zukünftig die KfW Entwicklungsbank mit der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit nicht zusammenlegen wollen. Damit brechen Sie ein Versprechen, weil Sie anfangs gesagt hatten, diese Zusammenlegung sei der zweite Schritt. Herr Beerfeltz hat sogar noch eine Bestandsgarantie für die KfW Entwicklungsbank abgegeben.
Liebe Frau Kollegin Schuster, zu diesem Teil Ihrer Frage kann ich also ganz klar zusammenfassend sagen: Es ist zu kurz gesprungen. Sie müssen eine große Reform durchführen, wie sie von allen Experten gefordert wird. Nur dann ergibt sie einen Sinn.
Zum ersten Teil Ihrer Frage, Frau Kollegin Schuster, zur Budgethilfe. Da haben Sie einen schwerwiegenden Vorwurf erhoben. Sie haben gesagt, dass die alte Bundesregierung in Person der damaligen Entwicklungsministerin im Rahmen von Budgethilfe Geld an Länder gegeben hätte, welches dort versickert wäre. Das ist auch das Kernargument von Minister Niebel. Er sagt immer wieder, Frau Kollegin Schuster, dass er die Budgethilfe möglichst zurückfahren möchte. Dazu sage ich Ihnen: Das Problem ist, dass wir in manchen Ländern 120 bis 130 Geberländer oder verschiedene Ansprechpartner haben. Das heißt, die Italiener, die Spanier oder die Franzosen – wir hatten das Beispiel im Bildungsbereich – wollen Schulen bauen oder ein eigenes Lehrprogramm auflegen. Eine staatliche bzw. eine internationale Organisation gibt der nächsten die Klinke in die Hand. Das überfordert unsere Partnerländer. Das schwächt auch die Eigenverantwortung der Parlamente.
(Beifall bei der SPD – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Dafür gibt es die Basket-Finanzierung!)
Deswegen wollen wir Budgethilfe dann geben, Frau Kollegin, wenn sie mit einer klaren Rechenschaftspflicht verbunden ist, das heißt, es muss ein Rechnungshof vorhanden sein. Ich weise es daher zurück, dass wir jemals Budgethilfe irgendwo hingegeben hätten, ohne klare Kriterien festzulegen, dass die Parlamente dort zum Zuge kommen und das Vorgehen kontrolliert wird.
Frau Kollegin Schuster, ich zitiere keinen Sozialdemokraten, sondern einen liberalen Politiker, den ehemaligen EU-Entwicklungskommissar Louis Michel, der Ihrer Partei angehört.
(Harald Leibrecht [FDP]: Nein, nein! Das wäre mir neu!)
Er hat im Jahr 2008 im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Folgendes gesagt – ich zitiere –:
Die Frau Ministerin
– Heidemarie Wieczorek-Zeul –
und ich selbst kommen gerade zurück von der Konferenz in Accra ...
– Das war die Aid-Effectiveness-Conference. –
Ich bin der festen Überzeugung, dass das Instrument der Budgethilfe am besten geeignet ist, diese Prinzipien zur Erhöhung der Wirksamkeit in unserer Entwicklungszusammenarbeit zu verwirklichen.
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das war auch ein Schmarrn, was er gesagt hat!)
Budgethilfe verstärkt den demokratischen Prozess. Der Haushaltsplan entspricht der politischen Vision und spiegelt die sozialen und wirtschaftlichen Prioritäten der Regierung wider. Der Haushaltsplan fördert Transparenz und Rechenschaftspflicht durch die Einbeziehung und Kontrolle des Parlaments.
Am Haushaltsplan lässt sich auch ablesen, inwieweit die Regierung sich um die Verwirklichung der Millenniumsentwicklungsziele bemüht.
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das war ja auch Quatsch, was er erzählt hat!)
Budgethilfe unterstützt somit direkt die Entwicklungsstrategien der Partnerregierungen und nimmt sie gleichzeitig in die Verantwortung, diese Prioritäten umzusetzen und Resultate vorzuweisen.
Sie erhöht die Rechenschaftspflicht der Partnerländer
– das tut weh, stimmt’s? –
gegenüber ihren Bürgern und Parlamenten.
Ich könnte fortfahren. Für uns ist noch wichtig, dass er gesagt hat:
Die Auszahlung der Mittel – hören Sie gut zu, Frau Schuster, wir führen eine MDG-Debatte – wird vom Fortschritt beim Erreichen der Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) abhängig gemacht. Statt über die Verwendung jedes Euros mitzubestimmen (inputs), wie bei der Projekthilfe, wollen wir von der Regierung Resultate (outputs) sehen.
Darum geht es bei der Budgethilfe. Wenn der Staatssekretär Beerfeltz im Ausschuss dieses moderne Instrument der Entwicklungshilfe als Suppenschüsselsozialismus tituliert, dann frage ich mich, wer einen Sprung in der Schüssel hat.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das gerade Zitierte hat Ihr Entwicklungskommissar der EU gesagt. Ich finde, Sie sollten aufhören, Vorurteile an Stammtischen zu bedienen,
(Harald Leibrecht [FDP]: Wer hat das Geld verplempert?)
und so zu tun, als würden wir Geld verplempern. Nehmen Sie die Worte des ehemaligen Kommissars der Europäischen Union zur Kenntnis, der der Partei der Liberalen angehört.
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das war eine Flasche!)
In Wirklichkeit wollen Sie, Herr Minister – darum geht es Ihnen auch bei der Institutionenreform –, nicht gemeinsam mit anderen Ländern eine abgestimmte Ent
wicklungspolitik machen, indem wir multilateral mit vielen anderen Gebern gemeinsam eine vernünftige, einheitliche Entwicklungszusammenarbeit machen, sondern Sie wollen – das sagte Ihr Staatssekretär gestern im Ausschuss –, dass überall dort, wo Deutschland drin ist, auch Deutschland draufsteht. Sie wollen viele deutsche Fahnen auf möglichst vielen kleinteiligen Projekten sehen, anstatt gemeinsam mit den anderen Staaten dieser Erde eine moderne Entwicklungspolitik zu machen. Auf diese kleingeistige Kleinstaaterei lassen wir uns nicht mehr ein. Das wäre der Kernpunkt einer Debatte über Effizienz und nicht das, was Sie mit einer kleinen Institutionenreform machen, Herr Minister.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Dazu gehört auch, dass Sie im Koalitionsvertrag festgelegt haben – das muss man sich einmal überlegen –, dass nur noch ein Drittel der künftigen Entwicklungszusammenarbeit multilateral ausgegeben werden darf. Sie widersprechen hundertprozentig dem, was in Accra bei der Konferenz über Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit vereinbart wurde. Deswegen haben wir in unserem Antrag, den wir als Aktionsplan zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele geschrieben haben, ganz klar formuliert, dass wir gemeinsam mit anderen Ländern für eine moderne und wirksame Entwicklungspolitik stehen.
Zu den finanziellen Zusagen. Wir wollen Quantität und Qualität nicht gegeneinander ausspielen. Wir brauchen mehr Mittel. Wir brauchen eine abgestimmte Politik. Wir brauchen dort multilaterale, moderne Mittel wie die Budgethilfe, wo die Kriterien stimmen. Wir wollen vor allem, dass der Hunger in der Welt halbiert wird. Deswegen sind wir der Meinung, dass unser Antrag dieses Ziel befördern könnte. Ich bitte deshalb um Zustim-mung zu diesem Antrag.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)