(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD)
Bevor ich über die Staatsleistungen an die Kirchen spreche, möchte ich gerne über die Kirchenleistungen an den Staat sprechen. Es lohnt an dieser Stelle, den großen sozialdemokratischen Rechtsgelehrten Ernst Wolfgang Böckenförde zu zitieren, der gesagt hat: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Diesen Satz sollten wir uns alle in diesem Parlament gut merken.
(Volker Münz [AfD]: So ist es!)
Wir haben ganz konkret zu danken für jede Stunde Singen im Chor, für jede Stunde Besuchsdienst, häufig bei Menschen, die sonst überhaupt keine Ansprache mehr haben. Wir haben zu danken für ein Schiff, das auf dem Meer Leben rettet, da, wo die Staatsleistungen ein kompletter Ausfall sind.
(Beifall bei der SPD)
Für dieses Engagement haben wir den Kirchen zu danken. Unser Land wäre kälter, unser Land wäre ärmer ohne sie.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Ich sage das, weil wir zu unserem Thema immer wieder viel Post bekommen von Menschen, die mit Kirchen oder mit Religion nichts am Hut haben – das ist ihr gutes Recht –, die das aber in einer Weise betreiben, als wäre es eine Ersatzreligion, und dann alles Mögliche verrühren und zum Kirchenkampf aufrufen. Da will ich für meine Fraktion klar sagen: Wir sind kampferprobt, aber bei diesem Kampf muss man auf die SPD verzichten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Aber darum geht es doch nicht!)
Bei dem, was miteinander verrührt wird, ist dann auch immer die Rede von der Kirchensteuer. An dieser Stelle sei klar gesagt: Heute geht es nicht um die Kirchensteuer; die Kirchensteuer ist der Mitgliedsbeitrag, und der Staat hat den Kirchen nur angeboten, dass diese Mitgliedsbeiträge über die Steuer erhoben werden können,
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was er sich teuer bezahlen lässt!)
und kassiert dafür sogar Verwaltungsgebühren. Das ist nicht zu kritisieren. Die Kirchen selber müssen entscheiden, ob sie bei diesem Modell bleiben wollen. Aber ich erinnere an eine andere Debatte, die wir heute geführt haben: Da war die Frage, wie wir mit der Imam-Ausbildung weiterkommen. Das sage ich als ein Beispiel: Wenn wir wollen, dass Kirchen und Religion in diesem Land nicht dem Zugriff ausländischer Staaten unterliegen, dann müssen wir ihnen auch helfen, auf eigenen Füßen zu stehen, und möglicherweise ist die Kirchensteuer ein Modell, das auch für alle anderen Religionsgemeinschaften Pate stehen kann und mit dem wir werben können. Aber es geht hier um die Staatsleistungen an die Kirchen, etwa 500 Millionen Euro jedes Jahr. Auch hier ist gesagt worden: Wir haben einen Verfassungsauftrag, sie abzulösen. Aber gleichzeitig – und das sollten wir nicht vermengen – haben die Kirchen einen Anspruch auf diese Staatsleistungen. Es ist kein Privileg der Kirchen, dass sie Gelder bekommen, sondern sie erhalten diese Gelder aufgrund von Recht, weil sie im 19. Jahrhundert in Teilen enteignet worden sind, und in diesem Staat gilt selbstverständlich das Recht, auch in Richtung der Kirchen. Deswegen ist es auch keine so ganz einfache Sache, hier zu einer Lösung zu kommen. Wir haben Rechtsansprüche auf der einen Seite und das Gebot der Ablösung auf der anderen Seite.
Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Herr Kollege Castellucci, der Kollege Münz würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat doch gerade geredet! – Marianne Schieder [SPD]: Hat schon genug Unsinn erzählt!)
Das erlaube ich nicht. Hier möchte ich jetzt den drei Oppositionsparteien – der Linken, den Grünen und vor allem der FDP – danken. Denn ich glaube, wir sind durch die Vorlage Ihres Gesetzentwurfs tatsächlich weitergekommen – schauen wir mal, wie die Debatte heute noch weiter vonstattengeht –; denn zumindest in den genannten Parteien – CDU, CSU und wir – stellt niemand von uns mehr infrage, dass es diesen Anspruch gibt – ganz im Gegensatz zu dem, was wir von Herrn Münz gehört haben. Wenn jemand früher zur Miete wohnte und nach zehn Jahren Miete seinem Vermieter gesagt hätte: „Hör mal zu, ich zahle jetzt lange genug Miete, irgendwie reicht das jetzt; eigentlich habe ich das Recht, da zu wohnen, damit abgegolten“, dann hätte der mir doch auch gesagt: in Deutschland nicht. – Das gilt natürlich in Richtung Kirchen in gleicher Weise. Die Ablösung bedeutet, dass wir noch mal Geld in die Hand nehmen müssen, und nicht, dass bereits getilgt wäre. Über die Höhe, wie viel abgelöst werden muss, ist ja hier heute auch schon gesprochen worden. Dazu möchte ich sagen: Die Kirchen müssen mit dem Geld, das sie dann bekommen, in die Lage versetzt werden, die Einnahmen zu erzielen, die sie heute auch haben. Das nennt man Äquivalenzprinzip, und dieses Äquivalenzprinzip ist uns als Sozialdemokraten wichtig.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Dann zustimmen, Herr Kollege!)
Ich würde dieses Äquivalenzprinzip auch in einen Gesetzentwurf hineinschreiben und mich nicht als Bundesgesetzgeber aufmachen, eine konkrete Zahl – Faktor 18,9 – in so einem Verfahren hier festzulegen,
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätte, hätte, Fahrradkette! Wo ist denn Ihr Entwurf?)
sondern das ist aus meiner Sicht eine Aufgabe, die mit den Ländern verhandelt werden muss.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum denn?)
Das ist auch der Knackpunkt, warum wir heute nicht zustimmen können, und da spreche ich jetzt als Vertreter einer Partei, die immer noch die meisten Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten oder Regierenden Bürgermeister in diesem Land stellt. Von uns wird es selbstverständlich keine Gesetzgebung gegen die Bundesländer geben, sondern wir müssen bei diesem Gesetzgebungsvorhaben die Bundesländer mitnehmen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Bei Ihnen kommt es mir so vor, als ob Sie eine Lokalrunde schmeißen wollen, und wenn alle besoffen sind, dann merken Sie plötzlich: Die, die die Rechnung zahlen wollten, sind ja schon längst aus der Kneipe verschwunden, und Sie müssen die Rechnung selber bezahlen. Das funktioniert so nicht. Wir brauchen hier jetzt eine Abstimmung –
Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Herr Castellucci.
– und ein gutes Benehmen mit den Kirchen und mit den Bundesländern. Diese nächste Runde müssen wir miteinander noch drehen, und das wird dann auch die weiteren Beratungen nach sich ziehen. Ich danke für die Aufmerksamkeit.