Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Sie können noch so viel dementieren: Frau Merkel, die Bundesregierung und die schwarz-gelbe Koalition haben sich heillos in den zahllosen roten Linien verheddert. Auch Sie, verehrte Frau Hasselfeldt, können dieses Knäuel nicht entwirren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin gespannt – ich habe eigentlich erwartet, dass Sie das hier vorbringen –, wann der CSU-Sonderparteitag einberufen wird.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Herr Seehofer hat ja angekündigt: Wenn diese „rote Linie“ überschritten wird, dann muss die Basis, dann müssen die Delegierten der Christlich-Sozialen Union entscheiden. Wann findet der Sonderparteitag statt? Unter Wahrnehmung europapolitischer Verantwortung versteht Ihre Partei, die CSU, Europa abzulehnen und Europa schlechtzumachen. Insofern sind Sie ein denkbar schlechter Ratgeber.

(Beifall bei der SPD – Stefan Müller [Erlangen][CDU/CSU]: So ein Quatsch! Das ist unter Ihrem Niveau!)

Ich verstehe überhaupt nicht, dass Sie Ihre ganze Leidenschaft darauf verwenden, uns anzupampen. Ich dachte, Sie wollten noch etwas von uns, mit uns reden, mit uns verhandeln. Von ernsthaftem Bemühen habe ich in dieser ansonsten ziemlich mediokren Debatte wirklich wenig gespürt.

(Beifall bei der SPD – Axel Schäfer [Bochum][SPD]: Leider wahr!)

Nun könnte man ja sagen, dass wir uns darüber freuen können, dass das Vertrauen in die Kraft der Bundesregierung am Boden liegt. Das Schlimme an dem permanenten Hü und Hott von Frau Merkel ist aber, dass das Vertrauen in die Politik in Europa allgemein nachgelassen hat. Wir sitzen doch alle in einem Boot. Insofern sage ich: Sie haben sich an Europa versündigt, Frau Bundeskanzlerin. Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, haben sich versündigt. Selbstverständlich wissen wir, die wir uns aus den Klauen der Finanzmärkte befreien wollen, dass wir das nur schaffen, wenn wir Schulden abbauen und die Neuverschuldung

reduzieren. Deshalb sollten Sie mit Ihren 34 Milliarden Euro Neuverschuldung in diesem Jahr ganz ruhig und demütig sein, meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn die Finanzmärkte nicht reguliert werden,

(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Sie haben sie doch dereguliert! Es war doch die SPD, die dereguliert hat!)

wenn sie nicht unter strenge Aufsicht gestellt werden, dann sind die Finanzmärkte eher etwas für die geschlossene Psychiatrie. Insofern haben wir eine ganze Menge zu verrichten. Eines ist aber auch klar: Dieser Fiskalpakt, der uns auf den Tisch gelegt wurde, löst kurzfristig nicht die Krise. Nur Luxemburg und einige wenige skandinavische Partnerländer wären derzeit in der Lage, eine Schuldenbremse nach Vorbild des Fiskalpakts einzuhalten. Deutschland hätte allein im Haushaltsjahr 2011 20 Milliarden Euro zusätzlich einsparen müssen. Daran sehen wir doch, was für eine Riesenaufgabe vor uns liegt. Deshalb ist es gut, dass wir uns dafür hier im Bundestag sehr viel Zeit nehmen. Die Qualität des Fiskalpakts kann doch nicht ernsthaft daran bemessen werden, ob wir im Juni, im September oder im Oktober entscheiden. Qualität geht vor Schnelligkeit.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen einen echten Fiskalpakt. Es fehlt nicht an Konzepten, sondern es fehlt der Mut, diese Aufgabe anzupacken. Über Wachstum und Beschäftigung ist heute abstrakt gesprochen worden – auch von Rednern aus Ihren Reihen –, wir brauchen sie aber endlich konkret. Wenn Sie endlich aufhören würden, gegenüber der Opposition die Backen so aufzublasen, sondern endlich begreifen würden, dass der größte Skandal in Europa die Tatsache ist, dass die Hälfte der Jugendlichen in Griechenland und Spanien ohne Perspektive, ohne Job, ohne Qualifizierung ist! Darüber müssten wir uns gemeinsam empören. Dafür brauchen wir nicht 2014 eine konkrete Lösung, wir brauchen noch in diesem Jahr ein konkretes Angebot für diese Jugendlichen. Sie müssen mit Europa wieder Hoffnung und Zuversicht verbinden und nicht nur Abbau und Verluste.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen in Europa – das hat nicht zuletzt die berühmt-berüchtigte Lissabon-Strategie gezeigt – Verbindlichkeit. Wir brauchen Zielkorridore. Wir brauchen Mindeststandards für die Bereiche Steuern, Sozialabgaben, Beschäftigung, Bildung und Forschung. Es kann doch nicht angehen, dass einige Länder eine Flat Tax für die Unternehmen haben und gleichzeitig üppige Mittel aus den Kohäsions- und Strukturfonds erhalten. Das passt nicht zusammen. Wir brauchen mehr Fairness, auch bei der Steuerpolitik in der Europäischen Union.

(Beifall bei der SPD)

Selbstverständlich stehen auch wir in der Verantwortung. Wir haben in den letzten Monaten sehr oft den Zeigefinger in Richtung der Länder, die ein Leistungsbilanzdefizit haben, erhoben. Aber auch wir als Überschussland stehen in der Verantwortung. Derzeit laufen in Deutschland Tarifverhandlungen. Tun wir doch etwas zum Abbau der Leistungsbilanzen! Wir wollen nicht die Exporte in Deutschland drosseln, aber wenn die Krankenschwester in Deutschland wieder mehr verdient und wenn endlich flächendeckend in allen Branchen Mindestlöhne durchgesetzt werden, dann bauen wir auch die unfairen Vorteile ab, mit denen wir uns zulasten unserer Partnerländer in der Europäischen Union einen schlanken Fuß in Europa gemacht haben.

(Beifall bei der SPD)

Frau Merkel hat aus der Europäischen Union ein Europa der Regierungen gemacht. Wir, die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, streiten für ein Europa der Parlamente. Wir müssen, wenn es um die Abgabe nationaler Souveränität geht, neue Wege gehen, vor allem auch in der Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten. Wir brauchen eine ordentliche Parlamentsbeteiligung, wir brauchen aber keine Obstruktionspolitik. Wir als Deutscher Bundestag müssen darüber nachdenken, wie wir mehr Verantwortung in diesen schwierigen Bereichen übernehmen können.

Schlussendlich: Wir sollten – Kollege Carsten Schneider hat es schon angedeutet – genauso leidenschaftlich, wie wir über ökonomische Parameter streiten, endlich auch einmal darüber streiten, wie viel Europa uns wirklich wert ist. Europa steht für Freiheit. Europa steht für Frieden. Europa steht für Solidarität. Die Münze, mit der Sie Europa zu bezahlen trachten, ist ziemlich klein; Sie sind da verzagt. Das passt nicht. So wird Europa nicht zukunftsfähig. Deswegen wäre es gut, wenn Sie, liebe Damen und Herren der Bundesregierung, der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion, möglichst schnell aus der Verantwortung herausgehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

 

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