Sascha Raabe fordert größeren Einsatz von der Regierung, die in ihrem Antrag bislang nur private Wasseranbieter miteinbezieht. Er verweist zudem auf die geringen finanziellen Mittel die für die Entwicklungsarbeit zur Verfügung stehen, trotz der überparteilichen Forderung vieler Bundestagsabgeordneter die Finanzmittel in diesem Bereich bis 2015 auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern.

Dr. Sascha Raabe (SPD):
Die ständige Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser ist für uns in Deutschland eine absolute Selbstverständlichkeit. Jeder von uns verbraucht im Durchschnitt 127 Liter pro Tag. Davon nutzen wir nur den kleinsten Teil, nämlich etwa 5 Liter, zum Trinken und Kochen – also als Lebensmittel. Der weitaus größte Teil wird zum Duschen, Wäschewaschen, für die Toilettenspülung oder auch zum Blumengießen im Garten verwendet. Es ist so einfach: Wir drehen den Wasserhahn auf, und das Wasser ist da. Für rund 900 Millionen Menschen auf der Welt aber ist sauberes Wasser alles andere als Normalität. Für sie ist der tägliche Kampf ums Überleben auch ein täglicher Kampf um Trinkwasser. Noch weit größer ist die Zahl derer, die keinen Zugang zu sanitärer Grundversorgung haben.
Die Folgen sind dramatisch: dreckiges Trinkwasser und mangelnde sanitäre Ver- und Entsorgung verursachen Krankheiten bis hin zu Seuchen. Und es ist wie so oft: Es sind die Ärmsten der Armen, die unter der ungerechten Verteilung der wertvollen Ressource Wasser leiden. Während sich der weltweite Zugang zu sauberem Wasser grundsätzlich in den letzten Jahren stark verbessert hat, liegt die Versorgung in vielen Ländern Afrikas, insbesondere in den ländlichen Gebieten südlich der Sahara, noch immer erst bei 60 Prozent.
Nun haben wir uns sicher alle gefreut, als kürzlich UN-Generalsekretär Ban Ki-moon das siebte der Millenniumsentwicklungsziele hinsichtlich der Zielvorgabe, bis 2015 den Anteil der Menschen um die Hälfte zu senken, die keinen Zugang zu einwandfreiem Trinkwasser und grundlegenden sanitären Einrichtungen haben, schon jetzt für erfüllt erklärt hat. In der Tat hat sich die Versorgungslage insgesamt verbessert; aber die Lage in Afrika ist – obwohl auch hier Fortschritte erzielt werden konnten – nach wie vor besorgniserregend. Keinesfalls dürfen wir uns also auf dem bislang Erreichten ausruhen, sondern müssen weiter für jeden Tropfen sauberen Wassers kämpfen. Das Menschenrecht auf Trinkwasser wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nation 2010 offiziell anerkannt. Es darf kein Lippenbekenntnis bleiben.
So gesehen ist es sicherlich zu begrüßen, dass sich die Koalition des Problems in einem Antrag angenommen hat. Leider muss man sagen: Problem erkannt, aber mit den Forderungen, die die Koalition stellt, nicht gebannt. Der Problemaufriss ist in weiten Teilen richtig, die Schlussfolgerungen sind dürftig und bleiben leider zu oft unkonkret. Wenn es etwa in Punkt 15 heißt, Regelwerke im Wassersektor sollten weiterentwickelt werden, dann wäre es schon interessant, zu wissen, was damit konkret gemeint ist. Etwas mehr Mut im Forderungsteil hätte man sich schon gewünscht, zumal Deutschland im Wassersektor einen bis dato guten Ruf zu verteidigen hat.
Seit vielen Jahren schon ist der Wassersektor ein Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Das deutsche Engagement reicht dabei von Infrastrukturmaßnahmen bis hin zur Unterstützung bei der Ressourcenverwaltung. Im Wassersektor ist das umfassende integrierte Wasserressourcenmanagement schon seit langem das Leitbild. Insofern haben wir durch jahrelanges kontinuierliches Wirken in diesem Bereich wohl einen nicht unerheblichen Anteil an dem, was in unseren Partnerländern erreicht werden konnte. Es ist zu hoffen, dass die Bundesregierung den Weg weitergeht – und zwar nicht nur durch bi-, sondern auch durch multilaterale Zusammenarbeit.
Wichtig ist, dass wir Wasser als Gut der öffentlichen Daseinsvorsorge begreifen. Wasser ist Leben, und es ist erste Pflicht des Staates, seinen Bürgern ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Für das Lebensmittel Wasser heißt das, dass es in erster Linie bezahlbar sein muss, damit jeder die Möglichkeit hat, sich zu versorgen. Ob daher die Beschränkung auf private Versorger, wie von der Koalition vorgesehen, der Königsweg ist, muss bezweifelt werden. Knappe Ressourcen und gewinnorientierte Privatunternehmen auf der einen und der Kampf der Ärmsten ums Überleben auf der anderen Seite – das geht nicht zusammen. Mindestens ebenso wichtig wie regulierte Tarifsysteme für private Anbieter, wie von der Koalition vorgeschlagen, ist daher die Einbeziehung kommunaler Versorger und genossenschaftlicher Modelle.
Nicht nur an dieser Stelle bleibt der vorliegende Antrag hinter seinen Möglichkeiten zurück. Man würde sich insgesamt von der Koalition einen weiteren Blick auf die Dinge wünschen. Der Zugang zu Trinkwasser ist eben nur ein Glied in einer ganzen Kette von entwicklungspolitischen Maßnahmen, die zusammenwirken müssen. So wird etwa nur sehr am Rande die Problematik des Landgrabbing gestreift. Die aber lässt sich nicht von der Frage der Wasserknappheit abtrennen. Landgrabbing geht naturgemäß oft mit Watergrabbing einher, wenn riesige Ländereien bewirtschaftet und dementsprechend auch bewässert werden. Wenn Betriebe aus dem Ausland im großen Stil Ackerland nehmen und Wasser beanspruchen, bleiben für die lokale Landwirtschaft oft nur noch trockene, unbrauchbare Flächen. Hier brauchen wir in Zukunft strengere Regeln für die Nutzung sowohl von Land als auch von Wasser. Die FAO hat kürzlich einen Aufschlag gemacht und neue Leitlinien formuliert. Ich empfehle der Koalition, dort einmal hineinzuschauen.
Gleiches gilt übrigens auch für den Bereich der industriellen Produktion, der neben der Landwirtschaft der größte Wasserverbraucher ist. Es ist absolut enttäuschend, dass im Antrag keinerlei verbindliche Regeln für die Nutzung von Wasser durch die Industrie entworfen werden. Die Koalition vertraut stattdessen auf – wie es heißt – ein enges und vernetztes Zusammenspiel von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Allein auf freiwillige Selbstbeschränkung zu setzen, wird aber kaum reichen. Es ist naiv, das zu glauben.
Letztlich muss man festhalten: Der Antrag, den wir heute debattieren, hat wie die meisten seiner Vorgänger auch ein Glaubwürdigkeitsproblem. Sämtliche schwarz-gelben Anträge, all die schönen Strategiepapiere und Konzepte des Ministeriums, sie klingen gut – die Worte hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Wer es im Haushalt nicht schafft, für die nötigen Aufwüchse in der Entwicklungszusammenarbeit zu sorgen, der kann noch so viele Papiere schreiben, sie werden folgenlos bleiben. Die vielleicht gut gemeinten Ansätze bleiben auf der Strecke, wenn man nicht die Mittel hat, sie umzusetzen. Leider werden wir auch in diesem Jahr wieder erleben, dass die Bundesregierung nicht die erforderlichen Mittel in den Haushalt einstellen wird, die nötig wären. Von dem Versprechen, bis 2015 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungszusammenarbeiten bereitzustellen, ist Deutschland heute weiter entfernt denn je. Ich appelliere daher an die Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP: Stellen Sie die Mittel zur Verfügung, dann können wir weiterreden. Alles andere ist unglaubwürdig.
Was gute Entwicklungszusammenarbeit im Wassersektor bewirken kann, konnte ich mir erst kürzlich während einer Reise nach Äthiopien anschauen. An unter anderem durch die Welthungerhilfe eingerichteten Wasserkiosken wird zu fairen Preisen sauberes Trinkwasser an die Bevölkerung verkauft. Mussten früher die Frauen kilometerweit laufen, um mühselig Wasser zu besorgen, ist der Zugang nun wesentlich vereinfacht. Das bringt eine enorme zeitliche und damit wirtschaftliche Ersparnis für die Familien. Hinzu kommt, dass denen, die bislang in Tanklastern vorfuhren und zu völlig überteuerten Preisen eine dreckige Brühe als Trinkwasser verkauft haben, damit endlich das Handwerk gelegt ist.
Es sind solche Taten und nicht wohlfeile Worte, mit denen wir dazu beitragen, dass das Millenniumsziel „Wasser“ nicht nur statistisch erreicht ist, sondern auch spürbar bei den Menschen ankommt.