Am 9. Februar 2012 fand im Deutschen Bundestag die 2./3. Les. des Regierungs-Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. Oktober 2011 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung über den Sitz der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung.
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Manfred Zöllmer (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es muss schon ein wenig erstaunen, dass wir heute in diesem Hohen Haus über den Dienstsitz einer neuen Behörde debattieren sollen. Ich habe nichts dagegen, ein paar Minuten über die neue europäische Versicherungsaufsichtsbehörde mit Sitz in Frankfurt zu sprechen. Eigentlich könnte ich mich hier hinstellen und sagen: Frankfurt, Frankfurt, Frankfurt. Mehr steht in dem Gesetzentwurf nicht drin.
(Kathrin Vogler (DIE LINKE): Haben wir gerade Oberbürgermeisterwahlen?)
Mir und meinen Kolleginnen und Kollegen in der Opposition drängt sich allmählich der Eindruck auf, wir sollen jetzt eine halbe Stunde über Frankfurt am Main reden, weil die Koalition in ihrer permanenten Zerstrittenheit besonders beim Thema Regulierung kaum noch etwas entscheidet und das Problem hat, Debattenzeit zu füllen. Offensichtlich ist das in der Regierungskoalition aber niemandem mehr peinlich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Dies ist der verfassungsrechtliche Hintergrund. Deswegen müssen wir heute über diesen Gesetzentwurf abstimmen.
Der faktische, der ökonomische Hintergrund ist natürlich ein anderer. Die Finanzkrise 2007/2008 hat uns allen gezeigt, dass es erhebliche Defizite bei der Finanzaufsicht in Europa gab. Die Analyse belegte, dass es Mängel bei der Zusammenarbeit, der Koordinierung und der Kohärenz zwischen den Mitgliedstaaten beim nationalen Umgang mit den Praktiken der Finanzinstitute gab. Finanzmärkte und Banken agieren global; die Aufsicht war national. Die daraus resultierenden Defizite wurden in der Finanzmarktkrise offenkundig.
(Beifall bei der SPD)
Das Europäische Parlament hat daher eine Reform der europäischen Finanzaufsicht auf den Weg gebracht, die erstmals bisher ausschließlich nationale Befugnisse auf die europäische Ebene verlagert. Wir begrüßen diese Entwicklung ausdrücklich. Die Etablierung dieser Aufsichtsbehörden wird das Vertrauen fördern und das Risiko einer Destabilisierung des globalen Finanzsystems auch in Bezug auf das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung vermindern.
Ziel der europäischen Versicherungsaufsicht, der EIOPA das ist eine wirklich merkwürdige Abkürzung , ist die Wahrung der Stabilität und Effizienz des Finanzsystems. Sie wird sich die Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen, Finanzkonglomerate, Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung sowie die Versicherungsvermittler genauer ansehen und entsprechend kontrollieren. Gleichzeitig übernimmt die EIOPA Tätigkeiten im Bereich des Verbraucherschutzes, indem sie etwa Verbrauchertrends analysiert und passende Ausbildungsstandards für die Wirtschaft entwickelt. Das begrüßen wir sehr.
Die Struktur der EIOPA ist insgesamt sinnvoll. Sie ist durch gemeinsame Gremien mit den anderen europäischen Aufsichtsbehörden verknüpft. Hier seien der Gemeinsame Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden und der Beschwerdeausschuss der EIOPA genannt.
Die laufende Aufsicht über die Unternehmen verbleibt im Wesentlichen auf nationaler Ebene, in Deutschland bei der BaFin. Dies bedeutet, dass beide Einrichtungen kollegial zusammenarbeiten müssen. Das braucht notwendigerweise etwas Zeit und den Willen zur kollegialen Zusammenarbeit. Das ist nicht immer so ganz einfach, weil neue Institutionen entstehen, die dann Bereiche bereits bestehender Organisationen übernehmen. Ich bin mir aber sicher, dass dieser Wille zur kollegialen Zusammenarbeit bei der BaFin unter der Leitung ihrer neuen Chefin, Frau König, vorhanden ist. Ich habe auch sehr begrüßt, dass Frau König in einem Interview deutlich gemacht hat, dass man zwischen Banken und Versicherungen unterscheiden sollte und die Regeln, die für Banken sinnvoll und notwendig sind, nicht einfach eins zu eins auf Versicherungen übertragen sollte. Ich denke, das ist ein vernünftiger Ansatz.
Die Aufsichtsbehörden in Europa werden für die notwendige Harmonisierung und eine kohärentere Anwendung von Vorschriften auf Finanzinstitute und märkte der Europäischen Union sorgen. Für die neuen EU-Behörden bedeutet dies im Vergleich zu ihren Vorgängergremien einen erheblichen Aufgabenzuwachs.
Damit sind wir bei einem sehr aktuellen und wichtigen Thema aus dem Bereich der betrieblichen Altersversorgung, einem Thema, das eben auch von Staatssekretär Koschyk angesprochen wurde. Ich darf zu diesem Thema einfach einmal aus der Presse dieser Tage zitieren:
Die EU-Kommission betrachtet unser Betriebsrentensystem künftig als Versicherung. Daher müssten für sie auch die in Solvency II festgelegten strengen Eigenkapitalvorschriften von bis zu 40 % gelten.
Weiter heißt es: Folge: Vielen deutschen Pensionskassen droht die Pleite. Andere müssen ihre Rentenzahlungen drastisch kürzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann doch nicht sein, dass aus der Harmonisierungsnotwendigkeit ein Harmonisierungswahn und eine Zerstörung etablierter Strukturen deutscher betrieblicher Altersversorgung werden. Das deutsche Drei-Säulen-Modell staatlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge empfiehlt sich durchaus auch für Europa.
(Beifall bei der SPD)
Es hat sich bewährt, und es muss geschützt werden. Die Anwendung von Solvency II muss mit Augenmaß geschehen und sollte nicht dazu führen, dass die gut funktionierende betriebliche Altersversorgung hier in Deutschland zerstört wird.
Gleiches sollte in Europa gleich behandelt werden. Dafür braucht man gemeinsame Normen, Transparenz und Kennzahlen zur Bewertung. Die betriebliche Altersversorgung ist aber mit vielen nationalen Besonderheiten in Arbeits-, Sozial- und Steuerrecht verbunden. Sie ist nicht mit großen Versicherungskonzernen zu vergleichen. Eine undifferenzierte europaweite Vereinheitlichung hilft hier nicht weiter. In einer Stellungnahme an den Finanzausschuss hat das Bundesfinanzministerium deutlich gemacht, dass es Verhandlungslinie der BaFin sei, Solvency-II-Eigenkapitalvorschriften möglichst nicht bei der betrieblichen Altersversorgung anzuwenden. Staatssekretär Koschyk hat diese Position eben dankenswerterweise für die Bundesregierung bekräftigt. Wir begrüßen dies ausdrücklich, fordern die Bundesregierung aber auf, entsprechend tätig zu werden und dafür zu sorgen, dass das auch umgesetzt wird.
(Beifall bei der SPD)
Wir wünschen der neuen europäischen Aufsichtsbehörde einen guten Start und erfolgreiche Arbeit. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD - Holger Krestel (FDP): So kann man acht Minuten über nichts reden!)