Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gerne greife ich den Ball einiger meiner Vorrednerinnen und Vorredner auf.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das muss nicht sein!)

Lassen Sie uns noch einmal über Europa reden.

Die Bundeskanzlerin beklagte kürzlich die zwei Wirklichkeiten in der Krise. Sie sprach von der Wirk­lichkeit in Griechenland, Spanien und Italien, und sie sprach von der Wirklichkeit in Deutschland und davon, dass das alles nicht mehr zusammenpasse. Ich kann die­ser Regierung und der Bundeskanzlerin den Vorwurf nicht ersparen: Frau Merkel ist maßgeblich verantwort­lich für dieses Europa der zwei Wirklichkeiten. Sie be­treiben nämlich nicht nur eine schlechte Politik, sondern – darin kann man dem Herrn Bundespräsidenten nur zu­stimmen – Sie erklären Europa nicht. Sie betreiben eine dilettantische Kommunikation.

(Beifall bei der SPD)

Machen wir uns doch nichts vor: Meinungen und Stimmungen in der Bevölkerung, die uns angesichts der Tragweite der hier getroffenen Entscheidungen sorgen müssen, fallen doch nicht vom Himmel. Diese werden doch auch von der Politik konstruiert. Sie werden auch von uns und von den Aussagen einer Kanzlerin, eines Ministers oder einer Ministerin beeinflusst. Wofür steht diese Bundesregierung? Die Bundes­regierung erklärt, sie wolle Griechenland unbedingt in der Euro-Zone halten. Vizekanzler Rösler schwadroniert munter drauflos. Ich hoffe, dass Sie sich für die Herren Dobrindt und Söder so richtig schämen. Sie werden das hier sicherlich nicht zugeben. Aber so viel europapoliti­sches Porzellan, wie diese beiden Herren zerdeppert ha­ben, bekommt man gar nicht mehr zusammen.

(Beifall bei der SPD)

Das ist ein ziemlich jämmerliches Schauspiel à la Dr. Jekyll and Mr. Hyde. Die einen so, die anderen so – und nichts passt zusammen. Es gibt aber auch zwei Wirklichkeiten bei der Bun­deskanzlerin persönlich. Im Wahlkampf schimpft sie über die vermeintlich faulen Südeuropäer, die sich nur einmal richtig anstrengen müssten. Kürzlich zeigte sie dann Mitgefühl. Ich habe gelesen, dass der Bundeskanz­lerin angesichts der dramatischen Einschnitte in Südeu­ropa das Herz blute. Mit Verlaub, ich nehme Ihnen das Mitgefühl nicht ab. Sie, Frau Bundeskanzlerin, schauen zu, wie jeder zweite Jugendliche in Spanien und Grie­chenland ohne Job und Perspektive bleibt. Sie schauen zu, wie Kranke in Griechenland keine medizinische Be­handlung bekommen. Sie schauen zu, wie Rechtspopu­listen und Europagegner europaweit Zulauf erhalten. Wann fangen Sie endlich an, dagegen konkret etwas zu tun? Mir blutet das Herz bei so viel Tatenlosigkeit der politisch Verantwortlichen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt auch zwei Wirklichkeiten bei der Bewertung der Rolle der Europäischen Zentralbank. Es ist schon schamlos, wie Sie sich hier hinstellen und die Unabhän­gigkeit der Europäischen Zentralbank betonen, die eine 100-prozentige Blaupause in der Deutschen Bundesbank findet. Sie stellen sich hier hin, erklären, wie unabhängig diese Institution ist, und sehen munter zu, was so alles in der Europäischen Zentralbank in Frankfurt entschieden wird. Sie finden sich damit klammheimlich ab. Herr Brüderle stellt sich hier hin und übt massive Kritik an der Bundesregierung, insbesondere an der Kanzlerin und dem Bundesfinanzminister. Aber eigentlich sind Sie doch froh, dass endlich entschieden wird. Es handelt sich doch um politisches Versagen Ihrerseits. Die EZB han­delt endlich, weil Sie nichts tun. Sie haben doch gar nicht mehr die Kraft, geschweige denn die Bereitschaft, hier im Bundestag irgendeine politisch-parlamentarisch legitimierte Entscheidung herbeizuführen. Sie bekom­men doch gar keine Mehrheit mehr bei Schwarz-Gelb zusammen. Deshalb muss die Europäische Zentralbank handeln.

(Beifall bei der SPD)

Wir leben nicht in unterschiedlichen Welten und auch nicht in unterschiedlichen Wirklichkeiten. Wir leben in einem gemeinsamen Europa. Ich finde es dramatisch, dass sich bei vielen Bürgerinnen und Bürgern die Vor­stellung manifestiert hat, wir lebten in Deutschland auf einer behüteten Insel der Glückseligen inmitten eines Meers von Krisenstaaten. – Die Bundeskanzlerin hat ei­nen schwerwiegenden Traditionsbruch zu verantworten. Sie hat nämlich einen Widerspruch zwischen den deut­schen Interessen einerseits und den europäischen Inte­ressen andererseits konstruiert.

(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört!)

Der größte und erfolgreichste Rettungsschirm für Wohlstand und sichere Arbeitsplätze vieler Arbeitneh­merinnen und Arbeitnehmer – gerade in Deutschland – waren der Euro und das gemeinsame Europa. 60 Prozent unserer Exporte gehen in die Staaten der Europäischen Union. 40 Prozent gehen in die Staaten der Euro-Zone. Ohne die Exporte in unsere Partnerländer hätten wir nicht Millionen sichere Arbeitsplätze. Das gilt sowohl für meinen Wahlkreis, für Bad Hersfeld und Heringen, als auch für Frankfurt, Oberammergau, München oder Hamburg. Ich kann Ihre verantwortungslose Politik nicht mehr nachvollziehen; denn wir retten gemeinsam nicht nur Griechenland oder Spanien, sondern auch un­seren Wohlstand und unseren Sozialstaat in Deutschland. Deswegen wünsche ich mir von Ihnen ein bisschen mehr Verantwortungsbewusstsein.

Wir wissen aber auch: Arbeitslose Spanier kaufen keine teuren, qualitativ hochwertigen Produkte aus Deutschland. Derzeit wird oft behauptet, es gebe eine Alternative zu den Märkten in Europa. Ja, Alternativen gibt es immer. Aber wie sehen denn diese Alternativen aus? Deutschland exportiert alleine in die Niederlande mehr Güter als nach China. Gerade einmal 7 Prozent unserer Produkte gehen in die Vereinigten Staaten von Amerika, 2 Prozent nach Lateinamerika. Wer also den Eindruck erweckt, als könnten wir auf ein starkes, auf Wohlstand beruhendes Europa verzichten, weil wir uns auf anderen Märkten ausbreiten könnten, hat die euro­päische und auch die deutsche Wirklichkeit nicht ver­standen.

(Beifall bei der SPD)

2007, als Deutschland die Ratspräsidentschaft inne­hatte, die wir mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier nicht nur konstruktiv begleitet, sondern auch maßgeblich mitgeprägt haben, gab es ein Motto. Dieses Motto lau­tete: Europa gelingt gemeinsam. – Die Bundeskanzlerin ist an diesem Anspruch krachend gescheitert, weil sie nicht nur die deutschen, sondern auch die europäischen Interessen mit Füßen tritt. Diesen Vorwurf müssen sich Schwarz-Gelb und diese Bundesregierung gefallen las­sen.

(Beifall bei der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Noch größeren Schwachsinn kann man sich gar nicht vorstellen!)

 

Link zum Video für Apple-Anwendungen