Dr. Carola Reimann fordert wirkliche Verbesserungen für Patientinnen und Patienten. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung führt die bestehenden Regelungen nur zusammen - das ist eindeutig zu wenig.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Im Januar 2010 hat der Patientenbeauftragte bei seiner Vorstellung im Gesundheitsausschuss angekündigt, dass er 2011 ein Patientenrechtegesetz verabschieden will. Jetzt endlich liegt der Gesetzentwurf vor. Es ist mittlerweile September 2012! Über zwei Jahre hat sich die schwarz-gelbe Koalition mit diesem wichtigen Thema Zeit gelassen. Wir waren auch geduldig gewesen; denn es ist ein komplexes Thema; das ist hier schon angeklungen.

Auch mir ist wie der Kollegin Volkmer die schöne Redensart eingefallen: Was lange währt, wird endlich gut. Leider bewahrheitet sie sich bei diesem Gesetzentwurf nicht. Wir mussten lange warten, aber das Warten hat sich leider nicht gelohnt.

(Jens Spahn (CDU/CSU): Na!)

Das sieht die Regierung erwartungsgemäß anders. Bei der Präsentation des Kabinettsbeschlusses im Mai angeschaut hätte man den Eindruck bekommen können, einem epochalen Ereignis beizuwohnen; so gut, so neu sei das Gesetz. Da wurden große Worte gewählt.

Mit dem, was tatsächlich im Gesetzentwurf steht, hat das allerdings herzlich wenig zu tun. Neues enthält der Entwurf nämlich nicht.

(Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Das stimmt doch gar nicht!)

Der Anspruch an ein neues Gesetz sollte aber sein, dass es mehr bringt, als die bisher in verschiedenen Gesetzen und Urteilen bereits bestehenden Patientenrechte zusammenzuführen.

(Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Frau Kollegin, Sie hätten mehr zuhören sollen!)

Der Entwurf dieses Patientenrechtegesetzes ist eine schöne Fleißarbeit, aber nichts wirklich Neues.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir haben es gelesen.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Aber nicht verstanden!)

- Es sind ganze acht Seiten mit einer sehr umfangreichen Begründung; das können wir schon bewältigen. - Große Worte, aber für die Patientinnen und Patienten wird dieses Gesetz keine spürbare Wirkung haben. Das Zusammenführen bestehenden Rechts allein genügt nicht den Anforderungen an ein wirklich modernes Patientenrechtegesetz. Dieser Gesetzentwurf ist ein politisches Placebo, das den Betroffenen keine wirklichen Verbesserungen bringen wird - leider! Der Gesetzentwurf, Kolleginnen und Kollegen, greift deshalb zu kurz. Patientenrechte müssen in vielen Bereichen wirklich ernsthaft erweitert werden. Der Bundestag ist aufgefordert, hier nachzubessern.

Ein erstes Beispiel - das ist schon angeklungen -: Im Gesetzentwurf fehlt ein Härtefallfonds, mit dem Patientinnen und Patienten in Härtefällen unbürokratische, schnelle Hilfe gewährt wird. Auch Kollege Singhammer hatte ihn im Februar 2012 gefordert. Ich zitiere: „Ich halte die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für notwendig.“

(Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Genau!)

Das war in der Süddeutschen Zeitung im Februar dieses Jahres zu lesen.

Dass sich die CSU und die FDP nicht immer ganz einig sind, ist kein neues Phänomen.

(Jens Spahn (CDU/CSU): Was?)

Ich sage nur Betreuungsgeld.

(Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Das ist doch ein Textbaustein, den Sie da haben!)

Dass aber die Meinung des Patientenbeauftragten ebenso wenig zählt, ist bitter.

(Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Das stimmt!)

Kollege Zöller hatte sich als Patientenbeauftragter ebenfalls frühzeitig für einen derartigen Fonds ausgesprochen. Ende des Jahres 2010 sagte er in der Frankfurter Rundschau -  ich zitiere - :

Er sichert eine schnelle Hilfe für die Betroffenen und könnte auch dazu beitragen, jahrelange Gerichtsprozesse mit unsicherem Ausgang zu vermeiden.

Das sehen wir auch so. Aber selbst wenn außer den Kollegen noch zahlreiche Patientenorganisationen, Medizinrechtler, Anwälte, Verbraucherschutzorganisationen und die Bundesländer diesen Fonds fordern, ist das für den Minister anscheinend kein Grund, zu handeln. Das, finde ich, ist schade und vor allem schlecht für die Patientinnen und Patienten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Der Patientenbeauftragte - Herr Zöller, Sie wissen, dass ich eine hohe Meinung von Ihnen habe -

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Wir auch!)

hat gerade angeführt, dass die Versicherungswirtschaft dagegen war. Das ist leider ein beredtes Beispiel dafür, auf welcher Seite die Regierung wirklich steht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich dachte immer, Sie seien Patientenbeauftragter und nicht Versicherungsbeauftragter.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir von der SPD-Bundestagsfraktion fordern, dass ein Härtefallfonds nach dem Wiener Vorbild aufgelegt wird. Dieser soll eintreten, wenn es keinen sicheren Nachweis der Schadensursache oder des Verschuldens gibt, wenn eine seltene oder bislang unbekannte Komplikation auftritt, die den Versicherten stark schädigt, wenn die Durchsetzung des Schadensersatzanspruches unzumutbar lange dauern würde oder wenn eine finanzielle Hilfe aus sozialen Gründen oder anderen Gründen geboten erscheint. Das wäre eine echte Verbesserung.

Kolleginnen und Kollegen, auch die Medizinprodukte und die damit verbundenen Probleme werden im Gesetzentwurf nicht angesprochen; das blendet die Regierung völlig aus. Der Skandal um schadhafte Brustimplantate zu Beginn dieses Jahres hat aber gezeigt, dass wir im Interesse der Patientinnen und Patienten etwas tun müssen. Es ist schließlich nicht so, als hätte es nicht bereits früher Probleme mit Metallhüftgelenken und Defibrillatoren gegeben. Die derzeitigen Regelungen reichen, wie wir wissen, nicht aus, die Sicherheit der Patientinnen und Patienten in vollem Umfang zu gewährleisten.

(Beifall bei der SPD)

Während aus den Reihen der Opposition schon entsprechende Anträge erarbeitet und im Bundestag debattiert wurden und auch die EU-Kommission bereits einen Verordnungsvorschlag vorgelegt hat, ist immer noch unklar, wie die Bundesregierung die Sicherheit von Medizinprodukten verbessern will. Die Chance, dies im Patientenrechtegesetz zu regeln, wurde bisher klar vertan.

Wir brauchen aber schärfere und unangemeldete Kontrollen, eine europaweit einheitliche Zulassung für Medizinprodukte der höheren Klassen, eine Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung und die Errichtung eines Entschädigungsfonds sowie nicht zuletzt ein Implantatregister zur Versorgungsforschung und ein Verzeichnis der Patienten zur Rückverfolgung und Information der Patientinnen und Patienten.

Kolleginnen und Kollegen, ich will noch einen letzten Punkt ansprechen; denn auch über die Quelle größten Ärgernisses für Patientinnen und Patienten in der ambulanten Behandlung, die IGeL-Leistungen, ist im Gesetzentwurf nichts zu finden.

(Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Steht doch drin!)

Die IGeL-Leistungen müssen gesetzlich Versicherte aus ihrem privaten Geldbeutel zahlen.

(Heinz Lanfermann (FDP): Es gibt keinen Zwang!)
Der medizinische Nutzen ist jedoch sehr oft zweifelhaft. Wir fordern deshalb Maßnahmen zur Kontrolle, zum Beispiel ein Verbot, am selben Tag GKV-Leistungen und IGeL-Leistungen bei einem Patienten abzurechnen, sowie einen verpflichtenden schriftlichen Behandlungsvertrag, eine schriftliche Rechnung und eine umfassende Informationspflicht des Arztes, die nicht delegiert werden kann.

Kolleginnen und Kollegen, auch wenn mir vor allem die gesetzlich Versicherten am Herzen liegen, will ich noch etwas zu den Privatversicherten sagen. Alles, was mit dem Patientenrechtegesetz im SGB V für die gesetzlich Versicherten zusammengestellt wurde, muss eigentlich auch für die privat versicherten Patientinnen und Patienten gelten. Normalerweise werden deshalb die SGB-V-Regelungen im Versicherungsvertragsgesetz oder gegebenenfalls im Versicherungsaufsichtsgesetz nachvollzogen, oder wie wir sagen, wirkungsgleich umgesetzt.

Ich wundere mich: Im Patientenrechtegesetz findet sich dazu nichts. Muss ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen vor allem von der FDP, wirklich sagen, dass PKV-Versicherte keine Versicherten mit Patientenrechten zweiter Klasse sind?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist schlimm genug, dass sie ihre Versicherung nicht wechseln dürfen wie gesetzlich versicherte Patientinnen und Patienten. Aber im Fall eines gesundheitlichen Schadens müssen sie, finde ich, die gleichen Rechte haben.

(Beifall des Abg. Harald Weinberg (DIE LINKE))

Auch da gibt es noch Nachbesserungsbedarf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

 


Link zum Video für Apple-Anwendungen