Unsere Gesellschaft befindet sich in einer Krise, und das ist eine viel tiefere Krise als nur eine Wirt-schafts- und Finanzkrise. Wir befinden uns in einer tiefgreifenden Gesellschaftskrise. Die Menschen haben den Wunsch nach Zielen und Orientierung. Das spiegelt sich wider in Familien, in der Freizeit und in der Arbeitswelt. Das Fundament der fortschrittlichen Entwicklung unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft waren lange Jahre unsere Werte und Tugenden. Wir fuhren auf der Hauptstraße der Werte und Tugenden. Von dieser Hauptstraße des Erfolgs sind wir irgendwann rechts in eine Sackgasse abgebogen. Diese Sackgasse heißt: reine Wachstumslogik.
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!
Unsere Gesellschaft befindet sich in einer Krise, und das ist eine viel tiefere Krise als nur eine Wirtschafts- und Finanzkrise. Wir befinden uns in einer tiefgreifenden Gesellschaftskrise. Die Menschen haben den Wunsch nach Zielen und Orientierung. Das spiegelt sich wider in Familien, in der Freizeit und in der Arbeitswelt. Das Fundament der fortschrittlichen Entwicklung unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft waren lange Jahre unsere Werte und Tugenden. Wir fuhren auf der Hauptstraße der Werte und Tugenden. Von dieser Hauptstraße des Erfolgs sind wir irgendwann rechts in eine Sackgasse abgebogen. Diese Sackgasse heißt: reine Wachstumslogik.
Wenn wir uns einmal anschauen, wie unsere heutige Wirtschaft funktioniert, wird diese Sackgasse deutlich: Unsere Wirtschaft ist gekennzeichnet vom Kampf um die Eroberung der Märkte und von einem knallharten Wettbewerb, der nicht auf Innovation, sondern auf Produktionskostensenkung beruht. Es gibt vor allem zwei betriebswirtschaftliche Herangehensweisen, wie die Kosten zu senken sind:
Erstens. Es bestehen komplizierte Zusammenhänge zwischen dem Stammunternehmen, den Zulieferern, Subunternehmen und Auslandsverlagerungen der Firmen. Das ist die sogenannte Mischkalkulation. Es wird großer Druck aufgebaut, und von jedem Teil dieses Systems werden Kostensenkungen erwartet.
Zweitens. Die Arbeit in diesen Unternehmen ist geprägt durch eine Leistungsverdichtung an jedem Arbeitsplatz sowie durch Leiharbeit, Befristungen und Minijobs.
Der übertriebene Wettbewerb wird auf die Arbeitnehmer übertragen. Alle leiden unter der Leistungsverdichtung, auch ältere Arbeitnehmer müssen oft olympiareife Leistungen vollbringen. Daher haben wir bei den Arbeitnehmern, aber auch bei den Arbeitgebern eine steigende Unzufriedenheit, eine Entsolidarisierung und eine steigende Zahl psychischer Erkrankungen. In den Betrieben ist nur noch Platz für die Menschen, die bei der Leistungsoptimierung mithalten können. Menschen, die diese Normen nicht erfüllen können, fallen hinten runter oder erhalten einen Armutslohn.
Zum Schluss werden die von den Arbeitnehmern mühsam erwirtschafteten Gewinne, die durch die Leistungsverdichtung eingefahren werden, auf dem Finanzmarkt Spekulationen ausgesetzt und vernichtet.
Unsere heutige Wirtschaft ist durch dieses System rein wachstums- und gewinnorientiert. Das geht völlig an den Bedürfnissen der Menschen vorbei.
Wenn ich mich mit den Menschen in meinem Wahlkreis unterhalte, dann spüre ich eine tiefe Ratlosigkeit. Zahlreiche Menschen, die Probleme mit ihrer Arbeit haben, kommen in meine Sprechstunden. Zu mir kommen Familienväter, die es entwürdigend finden, dass sie, obwohl sie Vollzeit arbeiten, Probleme haben, ihren Kindern die Teilnahme an einer Klassenreise zu ermöglichen. Zu mir kommen alleinerziehende Mütter, die so viel es geht arbeiten und nebenher ihre Kinder betreuen. Sie erzählen mir, wie schwierig es ist, als junge Mutter überhaupt einen Arbeitsplatz zu bekommen. Ich unterhalte mich mit den Hauptschülern, die zahlreiche Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz abschicken. Sie zeigen ein hohes Maß an Engagement und kümmern sich um ihre Zukunft. Trotzdem flattern immer nur Absagen ins Haus, wenn sie überhaupt eine Antwort bekommen.
Die Menschen haben die Orientierung verloren. Niemand weiß, wohin sich unsere Gesellschaft entwickelt. Niemand weiß, wie unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in zwei, in fünf oder in zehn Jahren aussieht. Die Menschen interessieren sich nicht nur für das Hier und Jetzt, sondern vor allem für die entscheidende Frage: Wie geht es weiter? Wie kommen wir aus dieser Sackgasse wieder heraus?
Meine Kolleginnen und Kollegen, es wird zwar fraktionsübergreifend gesagt, dass es nach der Krise kein „Weiter so“ geben darf. In den Sonntagsreden sprechen alle von Ethik in der Wirtschaft. Leider finden unsere Sitzungen nicht sonntags, sondern donnerstags oder freitags statt, und unter der Woche zählen die schönen Reden vom Sonntag, die man allerorten hört, leider nicht viel.
Wir müssen eine Antwort auf die Frage finden, wie wir aus dieser Sackgasse herauskommen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land wieder wissen, wohin die Reise geht. Derzeit suchen wir den Ausweg am Ende der Sackgasse. Aus der Sackgasse kommen wir aber nicht vorwärts heraus. Wir müssen umdrehen, um zurück auf die Hauptstraße der Werte und Tugenden zu kommen. Wir müssen Einsicht üben: Ein Schritt zurück von der Wachstumslogik ist kein Rückschritt! Er bietet vielmehr die Grundlage dafür, danach wieder volle Fahrt aufzunehmen und dabei alle in unserer Gesellschaft mitzunehmen.
Eine neue Kultur des Anstands in der Arbeitswelt, eine Ethik in der Wirtschaft, hilft allen. Sie hilft nicht nur den Arbeitnehmern, sondern auch vielen, vor allem kleinen und mittleren Unternehmen in unserem Land, die sich dem System der Kostensenkung und der Leistungsoptimierung nicht beugen wollen. Diese anständigen Unternehmer haben recht. Wir müssen sie darin unterstützen, wir müssen zu ihrem Schutz in diesem knallharten Wettbewerb die für sie richtigen Rahmenbedingungen schaffen.
In der gesamten Diskussion müssen wir weiter denken als in unseren bisherigen Debatten. Wir müssen über den Gegensatz zwischen Gewinnmaximierung und Umverteilung hinausdenken. Wir brauchen ein neues Konzept, in dem die Lebensqualität an erster Stelle steht und bei dem diejenigen, die Arbeit verrichten, an der Wertschöpfung beteiligt werden. Faire Arbeitsbedingungen müssen Grundlage unseres Wirtschaftserfolges sein und nicht Lohndrückerei und Spekulationen.
Eine neue Ethik und Qualität in der Wirtschaft schaffen wir Politiker nicht alleine. Dazu brauchen wir unsere ganze Gesellschaft. Wir müssen gemeinsam mit Gewerkschaften und Unternehmen, Kirchen und vielen weiteren Menschen aus der Gesellschaft zusammenkommen. Wir müssen unseren Anspruch und unser Verhalten grundlegend auf den Prüfstand stellen mit dem Ziel, wieder eine gemeinsame Orientierung und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schaffen. Deswegen brauchen wir Einrichtungen wie die Fortschritts-Enquete-Kommission, die SPD und Grüne diese Woche vorgestellt haben. Eine solche Kommission dient uns als Stadtplan, den wir in die Hand nehmen, um den Weg aus der Sackgasse zu finden.
Wir beraten hier den Antrag der Linken: „Mit guter Arbeit aus der Krise“. Meine Kolleginnen und Kollegen von der Linken, das, was Sie mit diesem Antrag vorlegen, zeugt nicht davon, dass Sie tatsächlich verstanden haben, wo die gegenwärtigen Probleme liegen.
Sie verharren beim Gegensatz von Umverteilung und Gewinnmaximierung. Mit Ihren geballten Forderungen zeigen Sie keinen Ausweg aus der Sackgasse auf. Ich frage mich bei Ihrem Antrag: Wollen Sie dabei helfen, ein Zukunftskonzept mit gesellschaftlicher Tragfähigkeit zu schaffen, oder wollen Sie diesen Antrag kurz vor dem 1. Mai nur einbringen, um dafür billigen Applaus zu bekommen?
Wir müssen den Menschen in unserem Land nicht nur am 1. Mai zeigen: Wir nehmen ihre Sorgen und Probleme ernst. Wir müssen ihnen zeigen, welchen Weg wir in unsere gemeinsame Zukunft gehen wollen: einen Weg, der uns aus der Krise herausführt und ein lebenswertes Leben für alle ermöglicht.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.