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Manfred Zöllmer (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Finanzminister Schäuble hat eben gesagt, diese Koalition sei in der Lage, dazuzulernen. Sehr schön! Aber machen Sie es doch einfach mal! Machen Sie es bei der Mehrwertsteuer für Hoteliers! Nehmen Sie die Reduzierung zurück!

(Beifall bei der SPD ‑ Widerspruch bei der FDP)

Im Regierungsentwurf zum Verbot von Leerverkäufen heißt es wörtlich:
Die Finanzkrise hat das Vertrauen in die Finanzmärkte erschüttert und die Notwendigkeit weiterer substanzieller Verbesserungen des Aufsichtsrechts zu Tage treten lassen.
Richtig. Aber warum wurden eigentlich entgegen sozialdemokratischen Warnungen im Februar dieses Jahres auf einmal Leerverkäufe wieder zugelassen, nachdem Peer Steinbrück dafür gesorgt hatte, dass diese Art der Finanzmarktgeschäfte als Konsequenz aus der Finanzmarktkrise verboten wurde?

(Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Weil das eine Regelung war, die Ende Januar auslief!)

Die Politik dieser Bundesregierung gegenüber den Finanzmarktakteuren richtet sich nach dem Motto: Ich lege mich mal auf Grund und spiele U-Boot. ‑ Gelegentlich taucht die Bundesregierung wieder aus dem Meer der politischen Stille auf, sondert ein paar markige Willenserklärungen ab und taucht dann erneut unter. Diese Regierung hat keinen Plan, kein Konzept, keine Vorstellung von dem, was sie bei der Regulierung der Finanzmärkte eigentlich erreichen will.

(Beifall bei der SPD)

Da verkündet Herr Schäuble, er wolle eine Bankenabgabe. Dann taucht ein Herr Dobrindt aus Bayern auf und sagt: „Wir wollen aber das Dreifache!“. Dass bis dahin überhaupt noch keine konkrete Summe genannt worden ist, stört ihn nicht.

Dann findet Frau Merkel, die Finanztransaktionsteuer sei eine reizende Idee. Anschließend taucht Herr Westerwelle auf und sagt: „Nur über unsere politische Leiche! Ohne uns! Die FDP macht da nicht mit.“ Da wird eine Financial Activity Tax gefordert, dann wieder eine Bankenabgabe. Auch über die Eigenkapitalquote der Banken wird diskutiert.

Vielleicht will man aber auch eine Finanzmarkttransaktionsteuer oder lieber doch nicht, wenn sie nicht weltweit eingeführt wird. Oder man will sie vielleicht doch, aber man glaubt nicht daran. Ich habe da noch die Äußerung des Finanzministers im Ohr. Sicherheitshalber wird bereits eine Einnahmeposition in Höhe von 2 Milliarden Euro aus der Finanztransaktionsteuer zur Haushaltskonsolidierung eingesetzt.

Dann will man eine Reform der Bankenaufsicht. Das sei ein zentrales Projekt der Koalition und völlig unverzichtbar. Plötzlich heißt es: Nein, das ist uns jetzt zu kompliziert. Weg damit!
Diese Bundesregierung handelt konsequent nach dem Motto: Wir wissen nicht, was wir wollen, aber das mit ganzer Kraft.

(Beifall bei der SPD)

Wo bleibt ein Konzept, in dem dieser Finanzmarkt- und Bankensektor als Ganzes betrachtet wird und in dem Maßnahmen benannt werden, deren Zusammenwirken analysiert werden, ein Konzept, das konsequent verfolgt wird?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen dringend Regeln für ein außer Kontrolle geratenes Finanzsystem, das uns durch exzessive Spekulation ohne Risikobewusstsein, ohne Kontrolle und ohne Moral in die größte Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit geführt hat. Wir brauchen auch ein funktionierendes Finanzsystem, ein System, das dienende Funktion für die reale Wirtschaft hat. Wir brauchen Rahmensetzungen. Wir brauchen Leitplanken, die ein Ausbrechen der Finanzmärkte verhindern, und nicht ein kindisches Geplänkel à la „Wildsau“ gegen „Gurkentruppe“.

(Beifall bei der SPD)

Die Finanzmarktkrise war 2008. Nun, Mitte 2010, kommt dieser Entwurf eines Gesetzes gegen missbräuchliche Wertpapier- und Derivategeschäfte. Leerverkäufe waren schon am Crash von 1929 ursächlich beteiligt. Danach waren sie lange Zeit verboten, bis sie dann wieder zugelassen wurden. Diese Finanzwetten dienen nicht der Markttransparenz, wie viele Marktpuristen behaupten. Es sind Wetten auf Entwicklungen, die kapitalstarke Investoren erst hervorrufen. Selbst der Chef von Goldman Sachs musste einräumen, dass viele von den Banken entwickelte Finanzinstrumente volkswirtschaftlich ohne Nutzen sind. Deshalb müssen wir den Zockern vorschreiben, was sie zu tun und was sie zu lassen haben.

(Beifall bei der SPD)

Meine erste Frage lautet deshalb: Warum jetzt, nachdem erst Anfang Februar dieses Jahres das bis dahin bestehende Verbot von Leerverkäufen mit der Begründung aufgehoben wurde, die Lage an den Märkten sei hinreichend stabil? Unsere Kritik an der Aufhebung des Verbotes wurde weggewischt. Doch die Regierung kam durch ihr Nichtstun immer mehr unter Druck, und mit dem Rettungsschirm für den Euro wurde der politische Druck dann so stark, dass man etwas tun wollte, um es vorzeigen zu können. Deshalb wird jetzt dieser Gesetzentwurf eingebracht.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Steinbrück hat doch nur eine Befristung gemacht! Das ist doch Geschichtsklitterung, was Sie machen!)

Meine zweite Frage lautet: Warum nur in Deutschland? Warum hat es nicht den Versuch gegeben, diese Maßnahmen europaweit umzusetzen?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und Unverständnis bei den europäischen Partnern ausgelöst, Ärger, weil nichts abgestimmt wurde, Unverständnis, weil Deutschland seine Chancen als Motor bei der Regulierung der Finanzmärkte, seitdem Schwarz-Gelb die Bundesregierung stellt, nicht nutzt. Damit es kein Missverständnis gibt: Die Kritik aus Europa am Verfahren ist richtig, die Kritik am Inhalt der Maßnahme so nicht.

(Beifall bei der SPD)

Deutschland hat sich vom Motor Europas zum Bremser entwickelt. Das ist verheerend. Die für Europa so zentrale Achse von Frankreich und Deutschland besteht nicht mehr. Die Ergebnisse haben wir in der Euro-Krise gesehen. Der französische Präsident konnte öffentlich sagen, er habe sich zu 95 Prozent gegen Madame Non, also Frau Merkel, durchgesetzt. Die Verärgerung vieler europäischer Länder über die Bundeskanzlerin ist nach wie vor groß. Leider ist Deutschland inzwischen ein Teil des Problems in Europa geworden, nicht ein Teil der Lösung.

Die dritte Frage lautet: Was bringt das? Was soll durch diesen Gesetzentwurf geregelt werden? Es wird das Wertpapierhandelsgesetz dahin gehend geändert, dass bestimmte Geschäfte verboten werden. Untersagt werden ungedeckte Leerverkäufe von deutschen Aktien, ungedeckte Leerverkäufe von Papieren von Staaten der Euro-Zone und Kreditausfallversicherungen auf Verbindlichkeiten von Staaten der Euro-Zone, die keinen Absicherungszwecken dienen. Die Aktivitäten an den Märkten sollen transparenter werden. Dafür wird ein zweistufiges Transparenzsystem über die BaFin etabliert.

An ungedeckte Leerverkäufe heranzugehen, sie zu untersagen, ist richtig. Wir Sozialdemokraten fordern das seit langem. Es ist ein wichtiges politisches Signal an die Märkte. Es geht um den Handel mit Papieren, die man gar nicht besitzt, um mit Kursmanipulationen Geld zu verdienen ‑ viel Geld. Daraus können sich systemische Risiken entwickeln. Im Zweifelsfall muss dann der Steuerzahler das Risiko tragen. Wir haben das im Zusammenhang mit Staatsanleihen hautnah erlebt.

Verbot klingt gut, zupackend und problemlösend. Aber man muss wissen: All dies gilt nur für Wertpapiere, die an einer deutschen Börse im regulierten Markt zugelassen sind,

(Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Das stimmt!)

und das sind im Wesentlichen Aktien deutscher und weniger ausländischer Emittenten sowie nur deutsche und österreichische Staatstitel.

(Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Sie sind ein personifizierter Leerverkauf!)

Bei Währungsderivaten sprechen wir von einem Anteil von 1,5 Prozent am weltweiten Umsatz, der in Deutschland getätigt wird. Warum ist die Bundesregierung eigentlich nicht in der Lage, eine solche Maßnahme europaweit durchzusetzen? Wir brauchen dringend mindestens eine europaweite Lösung; besser wäre es, wenn wir weltweit die großen Finanzmärkte in dieses Verbot einbeziehen könnten.

(Beifall bei der SPD)

Die vierte Frage in dem Zusammenhang lautet: Warum haben Sie den vorliegenden Entwurf eigentlich gegenüber dem Referentenentwurf abgeschwächt? Im Referentenentwurf hatten Sie für bestimmte Papiere noch ein Verbot vorgesehen; jetzt ist daraus eine Ermächtigung für die BaFin geworden, ein solches Verbot auszusprechen. Warum sind Sie da zurückgerudert?

(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Das ist doch Unsinn!)

Diese Frage müssen Sie beantworten.

Die fünfte Frage lautet: Was muss noch geschehen? Wir brauchen eine internationale Regelung. Wir brauchen eine wirkliche Reform dieser Märkte. Der vorliegende Gesetzentwurf ist leider nur ein erster kleiner Schritt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Investor Warren Buffett hat CDS einmal „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ genannt. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie ihr Zerstörungswerk erneut entfalten können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)