Vor allem finanziell wurde die ländliche Entwicklung in den letzten Jahren vernachlässigt. Einen Grund hierfür sieht Sascha Raabe in den überhöhten Subventionen für EU Agrarbetriebe. Deshalb fordert er weniger Subventionen und mehr entwicklungspolitische Zusammenarbeit um auch den ärmsten Bauern eine Möglichkeit der Existenzsicherung zu bieten.

Dr. Sascha Raabe (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ländliche Entwicklung ist ein wichtiges Thema. Deswegen hätte es uns gefreut, wenn der Minister persönlich anwesend wäre. Anscheinend ist ihm dieses Thema nicht so wichtig. Heute ist er nicht einmal hier. Letztes Mal, bei der Debatte zum 50-jährigen Bestehen des Ministeriums, hat er das Wort nicht ergriffen. Dies zeigt, dass er nicht mit dem Herzen bei der Entwicklungszusammenarbeit ist. So kann man Entwicklungszusammenarbeit nicht erfolgreich bestreiten.
Wir diskutieren heute unter anderem über einen Antrag der Koalitionsfraktionen, in dem als Schwerpunkt die ländliche Entwicklung genannt wird. In der Begründung heißt es, dass die Investitionen im ländlichen Raum im letzten Jahrzehnt zu niedrig gewesen sind. Das ist ein Teil der Wahrheit. Aber zur Ehrlichkeit würde dazugehören, dass Union und FDP auch sagen würden, warum vor fünf oder zehn Jahren vonseiten der internationalen Geberländer, aber auch von den Regierungen in den Entwicklungsländern in der Tat wenig in die Landwirtschaft investiert wurde.
Das lag daran, dass die Landwirte in den USA, aber auch in Europa – also auch deutsche Landwirte – übersubventioniert worden sind, und zwar gerade die großen, und dann Dumpingagrarexporte die Märkte in Afrika, Lateinamerika und Asien zerstört haben.
(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Oh! Wie schön,
dass Sie Ihre Vorurteile pflegen!)

Es hätte keinen Sinn gemacht, wenn wir – nachdem die Hühnerzuchten schon überall kaputtgegangen sind und die Bauern in Afrika ihre Kühe irgendwann verkaufen mussten, weil sie ihre Milch nicht mehr losgeworden sind – noch mehr Geld für einen Wirtschaftszweig in die Hand genommen hätten, der durch die Dumpingagrarexporte der Industriestaaten kaputt gemacht wurde.
(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Sie haben keine Ahnung! Das zieht sich wie ein roter Faden durch Ihre Rede!)
Auch dies gehört zur Wahrheit. Das hätten Sie auch in Ihrem Antrag benennen müssen.
(Beifall bei der SPD)
Als wir mit den Grünen zusammen die Regierung gestellt haben – damals hatten wir mit Renate Künast eine engagierte Landwirtschaftsministerin –, haben wir im Rahmen der Welthandelsorganisation versucht, das zu ändern. Dabei sind wir immer wieder auf die Betonlobby der Bauernverbände gestoßen. Insbesondere von Frankreich und von der Union ist sie kräftig unterstützt worden. Landwirtschaftsministerin Aigner zum Beispiel hat erst vor kurzem wieder einmal Schweinefleischexportsubventionen gewährt. Zur Förderung der ländlichen Entwicklung gehört auch, dass wir gerechte Handelsbedingungen schaffen. Sie müssen endlich dafür sorgen, dass nicht nur der Bauer in Deutschland, sondern auch der Kleinbauer in Afrika Chancen bekommt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)

Auch der zweite Teil dieser Koalition, die FDP, hat ihren Teil dazu beigetragen, dass die ländliche Entwicklung in den ärmsten Ländern brachlag. Sie hat mit der ständig wiederholten Forderung nach Liberalisierung und mit ihrem Credo „Märkte öffnen!“ auch dazu beigetragen, dass die Entwicklungsländer ihre Zölle abschaffen mussten, wodurch die Dumpingagrarexporte auf die Märkte kamen. Ich würde mir von Ihnen ein klares Bekenntnis wünschen, dass auch die ärmsten Länder Schutz brauchen. In dem Antrag, den wir zu Zeiten der Großen Koalition erarbeitet haben, lieber Kollege Ruck, haben wir das so formuliert. Jetzt haben Sie sich anscheinend nicht durchsetzen können und dieses Anliegen dem Motto der FDP geopfert: Wenn jeder für sich selbst sorgt, ist für alle gesorgt. – Das ist schäbig. Wir brauchen Schutz für die Entwicklungsländer.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Niema Movassat [DIE LINKE])
Wenn man sagt, man möchte mehr Geld für die ländliche Entwicklung ausgeben – das ist sinnvoll, weil sich in der Tat die Agrarpreise nach oben entwickeln, was zwar Nachteile hat, den Bauern aber auch Chancen bietet, ihre Agrarprodukte wieder zu verkaufen –, dann muss man natürlich auch sagen, woher dieses Geld kommen soll. Wenn Sie den Haushalt insgesamt nicht aufwachsen lassen wollen,
(Dr. Christiane Ratjen-Damerau [FDP]: Haben wir ja!)
dann muss das Geld, das zusätzlich in die Landwirtschaft fließen soll, beispielsweise aus den Bereichen Bildung und Gesundheit genommen werden, aus Bereichen, die für die Entwicklungszusammenarbeit auch sehr wichtig sind.
Deswegen ist es ja gerade so schäbig, dass dieser Entwicklungsminister, der heute durch Abwesenheit glänzt, im jetzigen Haushalt nur einen Miniaufwuchs von 1,8 Prozent vorgesehen hat, während wir hier im Haus einen entwicklungspolitischen Konsens haben, den 368 Abgeordnete unterschrieben haben, wonach wir jetzt eigentlich 18 Prozent bräuchten. Ich würde mir wünschen, dass dieses Projekt 18 von der FDP verwirklicht wird. Sie machen das aber entsprechend Ihrem Ergebnis in Berlin, wo Sie bei 1,8 Prozent gelandet sind,und sehen im Entwicklungshaushalt deshalb nur noch einen Aufwuchs von 1,8 Prozent vor. Das ist schäbig, das ist wenig. So können wir natürlich weder den Menschen noch der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern wirklich helfen.
(Beifall bei der SPD)
Ich kenne schon jetzt die Replik von einem der nächsten Redner, der fragen wird, wo das Geld für diese Steigerung im Haushalt herkommen soll. Es gibt natürlich eine Quelle, nämlich die Finanztransaktionsteuer, für die Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker seit über zehn Jahren auf den Straßen kämpfen. Gruppen wie Attac haben diese Tobin-Tax damals eingefordert, und auch viele kirchliche und zivilgesellschaftliche Gruppen – ich nenne nur einmal die Kampagne „Steuer gegen Armut“ – fordern sie seit Jahren. Jetzt ist diese Finanztransaktionsteuer greifbar nah, die Steuer, mit der wir dann auch unsere Verpflichtung erfüllen könnten, bis zum Jahr 2015 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen.
Dieser Entwicklungsminister müsste jetzt eigentlich mit wehenden Fahnen vorneweg gehen und sagen: Ich will, dass diese Steuer kommt, je schneller, desto besser, und natürlich will ich, dass das Geld dann auch für die Entwicklungszusammenarbeit genommen wird. – Es ist doch ein Witz, dass ausgerechnet dieser Entwicklungsminister derjenige in der jetzigen Regierung ist, der überall sagt, er sei gegen die Finanztransaktionsteuer. Er möchte diese Steuer nicht. Wo soll dann das Geld herkommen? Er fällt der Bewegung der Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker, der Entwicklungshelfer und der Zivilgesellschaft in den Rücken, anstatt diese zu stärken. Das ist eine Schande.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Oh weh!)
Es gibt ja auch einen Grund dafür, warum er das nicht möchte: Für ihn sind Regulierungen des Finanzmarktes natürlich Teufelswerk. Liberalisierung ist das Stichwort: freie Wirtschaft, freie Märkte, freie Finanzmärkte. Gerade bei der ländlichen Entwicklung sehen wir aber doch, welch verheerende Auswirkungen Agrarspekulationen, die Spekulationen mit Agrarrohstoffen, haben. Mittlerweile werden 80 Prozent der gehandelten Agrarrohstoffe nur noch spekulativ gehandelt und nicht mehr, um die Preise der Bauern zu schützen, sondern damit die Ackermänner und die Deutschen Banken dieser Welt einen Reibach machen können.
Es kann doch angesichts der Diskussion über die Förderung der ländlichen Entwicklung nicht sein, dass der Entwicklungsminister und seine Partei nach wie vor sa-gen: Hände weg von jeder Regulierung des Finanzmarktes. Lasst die Deutsche Bank und die Finanzspekulanten machen, was sie wollen, lasst sie mit dem Hunger in dieser Welt spekulieren. – Das darf nicht wahr sein. Dem müssen wir hier in diesem Haus die rote Karte zeigen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneteder LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen brauchen wir auch ganz scharfe Regeln gegen Land Grabbing. Das gehört auch dazu. Immer mehr große Flächen von Land werden nämlich von Konzernen und anderen Ländern aufgekauft, um dann die Rohstoffe in andere Länder zu exportieren, anstatt sie der dort lebenden hungernden Bevölkerung zur Verfügung zu stellen.
Deswegen sage ich an dieser Stelle: Ich unterstütze die soziale Bewegung, die sich gebildet hat und deren Akteure im Augenblick in Zelten vor der Europäischen Zentralbank kampieren und zum Teil auch hier in Berlin demonstrieren. An den Transparenten können Sie erkennen, dass diese Menschen eben auch der Hunger in dieser Welt bewegt und dass sie die Finanzmärkte regulieren wollen, damit die ärmsten Menschen der Welt nicht diese Nachteile haben.
Weil auch die Deutsche Bank kräftig mit dem Hunger, mit dem Leid und mit Agrarrohstoffen spekuliert, hat diese Bewegung heute einen Aufruf gemacht und zu Herrn Ackermann gesagt: Machen Sie sich vom Acker, Mann. Ich sage: Herr Minister, machen Sie sich auch vom Acker. Das wäre besser für diese Republik.
Danke.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Helmut Heiderich [CDU/ CSU]: Es wird auch Zeit, dass der weggeht! – Christian Ahrendt [FDP]: Das Beste war, dass Sie sich jetzt gerade vom Acker machen!)