Thomas Oppermann (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Änderungsantrag begründen, den die SPD-Fraktion stellt. Wir wollen nicht nur unseriöse Geschäftspraktiken eindämmen, sondern wir wollen bei dieser Gelegenheit auch die Abgeordnetenbestechung unter Strafe stellen.

  (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Wie hängt das zusammen?)  

Deutschland ist eines der wenigen Länder der Welt, in dem die Bestechung und Bestechlichkeit von Abgeordneten nicht strafbar ist.

  (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: So, jetzt zum Thema!)  

– Seien Sie einmal ganz still, junger Kollege.

  (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Oberlehrer!)  

Ich habe gerade gesagt, ich begründe den Änderungsantrag.

Es gibt ein Abkommen der Vereinten Nationen, das die Bundesregierung schon im Jahr 2003 unterzeichnet hat, in dem sich alle Unterzeichnerstaaten verpflichten, die Korruption von Abgeordneten unter Strafe zu stellen. Inzwischen haben 167 Länder dieses Abkommen ratifiziert. Deutschland fehlt. Ich will gar nicht darauf hinweisen, dass auch Länder wie Syrien und Nordkorea noch nicht ratifiziert haben. Mit diesen Ländern müssen wir uns nicht vergleichen. Alle parlamentarischen Demokratien dieser Welt haben die Abgeordnetenbestechung unter Strafe gestellt.

  (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)  

Wir haben das Abkommen noch nicht in nationales Recht umgesetzt, weil sich die Koalition beharrlich weigert, dies zu tun. Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel, das zeigt, wie diese Korruption funktioniert. Vor kurzem hat sich ein österreichischer Christdemokrat als Belohnung dafür, dass er im Auftrag der Industrie im Europaparlament einen Antrag stellte, einen lukrativen Posten als Aufsichtsrat mit 100 000 Euro Jahreshonorar versprechen lassen. Im Januar wurde Ernst Strasser in Wien zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. In Deutschland dagegen wäre er heute ein freier Mann. Er könnte in diesem Land frei herumlaufen, weil die Abgeordnetenbestechung nicht unter Strafe steht. Das wollen wir ändern.

  (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber nicht richtig!)  

Eine gesetzliche Regelung hat die Koalition in der gesamten Legislaturperiode nicht vorgelegt. Ich finde, das ist ein krasser Fall von parlamentarischer Arbeitsverweigerung.

  (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)  

Wirklich schlimm ist die Tatsache, dass alle drei Oppositionsfraktionen einen ausgearbeiteten Entwurf in den Bundestag eingebracht haben. Er liegt im Ausschuss. Sie haben mit Ihrer Geschäftsordnungsmehrheit im Rechtsausschuss achtmal verhindert, dass dieser Entwurf ins Plenum kommen kann und darüber abgestimmt werden kann.

  (Beifall bei der SPD)  

Mit anderen Worten: Sie missbrauchen Ihre Geschäftsordnungsmehrheit, weil Ihnen der Mut fehlt, in einer Abstimmung Farbe zu bekennen. In Wirklichkeit schämen Sie sich aber heimlich dafür, dass Sie gegen die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung stimmen wollen.

  (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)  

Wir geben Ihnen heute mit unserem Antrag auf namentliche Abstimmung Gelegenheit, sich öffentlich zu schämen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP.

  (   Beifall bei Abgeordneten der SPD – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Die Geschäftsordnung wurde missbraucht!)  

Sie wollen an einem Zweiklassenstrafrecht festhalten, das Abgeordneten Privilegien beschert, für die es überhaupt keine Rechtfertigung gibt.

 (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 

Sie argumentieren, die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung könnte die Freiheit des Mandates beeinträchtigen. Das ist falsch. Die Freiheit des Mandates ist kein Sonderrecht für Abgeordnete, sondern die Freiheit des Mandates wird den Abgeordneten gegeben, damit sie ihre Aufgabe als Parlamentarier gut erfüllen können. Das freie Mandat darf kein Freibrief für Korruption sein.

 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt keine Freiheit, sich bestechen zu lassen!) 

Nach Ihrer Logik funktioniert das Strafrecht nach dem Motto: Die Kleinen hängt man, und die Politiker lässt man laufen.

 (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wie billig! – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Armselig! – Weiterer Zuruf von der FDP: Schämen Sie sich!) 

Das ist ungerecht, das schadet dem Ansehen unserer Demokratie, und das verstößt gegen internationales Recht.

 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 

Unser Rechtssystem und unser Rechtsstaat genießen in der ganzen Welt einen hervorragenden Ruf. All das setzen Sie leichtfertig aufs Spiel. Mit Ihrer Blockadehaltung fügen Sie dem Ansehen des deutschen Rechts in der Welt schweren Schaden zu. Mit Ihrer Blockadehaltung blamieren Sie unsere parlamentarische Demokratie bis auf die Knochen.

 (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Sie blamieren sich gerade im Plenum!) 

Wer soll eigentlich noch glauben, dass es in diesem Land gerecht zugeht, wenn bei der Korruption mit zweierlei Maß gemessen wird? Wer soll eigentlich noch glauben, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich sind, wenn diese Koalition am Korruptionsprivileg für Abgeordnete festhält? Das ist eine Politik der doppelten Moral. Damit beschädigen Sie das Rechtsbewusstsein vieler Menschen. Sie untergraben das Vertrauen der Menschen in unseren Rechtsstaat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜ NDNISSES 90/DIE  GRÜNEN) 

Deshalb sage ich zum Schluss: Ein Abgeordneter, der Geld annimmt, um sich für eine bestimmte Politik einzusetzen,

(Jens Ackermann [FDP]: Namen!)

ist nicht nur ein schlechter Politiker, sondern er betrügt auch seine Wähler, verhöhnt die Demokratie und handelt kriminell. Das muss unter Strafe gestellt werden. Stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber dann vollständig und nicht nur halb!)