Zur Debatte des Berufsbildungsberichts 2013 im Deutschen Bundestag erklärt der zuständige Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion Willi Brase:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Hinsken!
(Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU] nimmt Glückwünsche entgegen)
– Wenn er jetzt den Kopf wenden würde, wäre das nicht schlecht.
(Heiterkeit)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Kollege Hinsken, Sie werden gerade angesprochen. Bitte ein bisschen Andacht!
Ich möchte Ihnen, auch im Namen meiner Fraktion, für Ihre langjährige Mitarbeit danken, vor allem in der Frage der Weiterentwicklung der beruflichen Bildung. Sie haben recht: Auch mein Eindruck, zumindest seit 1998, ist, dass die Frage der beruflichen Bildung durchaus immer wieder einen großen Konsens in diesem Hause gefunden hat. Ich glaube, das war für die Entwicklung in Deutschland und für die Entwicklung der jungen Leute von großer Bedeutung. Daran haben Sie mitgewirkt. Dafür herzlichen Dank und für die Zukunft alles Gute!
(Beifall im ganzen Hause)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte einige Dinge ansprechen. Wir haben sowohl einen guten Bericht als auch gute – aus meiner Sicht zum Teil auch kritische – Anträge vorliegen, und wir führen derzeit eine Debatte über die Jugendarbeitslosigkeit in Europa.
Wenn man sich die Zahlen und das, was beschlossen wurde, genau anschaut, dann kann einem schon ein bisschen bange werden, dass die Perspektiven für 5,7 Millionen junge Leute – manche sprechen von 7,5 Millionen jungen Leuten – nicht gerade sehr rosig aussehen. Zumindest die SPD-Fraktion hat mehrfach darauf hingewiesen und gesagt, zur Bekämpfung der Euro-Krise bedürfe es auch einer Begleitung der jungen Menschen in Europa, die wichtig ist, weil ihnen eine Perspektive gegeben werden muss. Sie haben aber derzeitig keine Perspektive. Das ist sehr schlecht; das ist für die europäische Entwicklung nicht gut.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir haben erlebt, dass gesagt wurde: Wir wollen, dass die EU-Mitgliedstaaten in den nächsten sechs Jahren 6 Milliarden Euro für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit ausgeben. Das sind 1 Milliarde Euro pro Jahr für etwa 5,7 Millionen arbeitslose Jugendliche. Wenn man es umrechnet, ergeben sich gerade einmal rund 175 Euro pro Jahr und Person. Damit kann man nicht viel machen.
Heute Morgen habe ich gehört, dass die Kanzlerin erklärt hat, sie wolle, dass die 6 Milliarden Euro ganz schnell, in den nächsten ein bis zwei Jahren, ausgegeben werden. Dann sind es immerhin etwas mehr als 1 000 Euro pro Person, die in dem Zeitraum für die Jugendlichen in Europa ausgeben werden sollen. Auch das ist nicht sehr viel. Wir können sehr gut verstehen, dass die jungen Leute in Griechenland, Spanien, Portugal und Frankreich auf die Straße gehen und sagen: Für die Banken habt ihr 1,2 Billionen Euro, aber für uns nur Almosen. – Da besteht großer Handlungsdruck.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Zweite, das ich Ihnen sagen möchte: Unser duales Ausbildungssystem hat sich gut entwickelt. Wir Sozialdemokraten sind stolz darauf, das duale Ausbildungssystem 2005 reformiert zu haben, mit Unterstützung anderer Fraktionen hier im Hohen Haus. Aber wir stellen heute fest, dass das duale System ein, zwei Schwächen hat. Eine Schwäche liegt beim nach wie vor ungelösten Problem im sogenannten Übergangsbereich. Wir können zwar ein Stück weit stolz darauf sein, dass die Zahl der Jugendlichen im Übergangsbereich von zeitweise 480 000 im Laufe der Jahre auf aktuell 260 000 bis 270 000 gesunken ist; aber obwohl über 80 Prozent dieser jungen Leute einen Schulabschluss haben, verweilen sie teilweise zwei oder drei Jahre im Übergangsbereich. Das ist falsch; das muss dringend verbessert und verändert werden. Sie von der Regierungskoalition wollten das zu Beginn der Legislaturperiode angehen, aber Sie haben es nicht geleistet.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE])
Im Zusammenhang mit dem Pakt für Ausbildung haben Sie gesagt: Wir wollen die Vielfalt der Maßnahmen reduzieren. – Die Staatssekretärsrunde hat auch nach Rückfrage von Parlamentsfraktionen mitgeteilt: Sie haben es nicht geschafft und wollen versuchen, es in Zukunft zu berücksichtigen. – Das ist zu wenig. Wir wollen, dass die Jugendlichen wissen, dass sie, wenn sie einen Schulabschluss machen, danach einen guten Anschluss bekommen. Dieser gute Anschluss sollte in den allermeisten Fällen eine vernünftige duale Ausbildung sein, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE])
Deshalb sagen wir: Wir wollen den jungen Leuten so etwas wie eine praktizierte Ausbildungsgarantie geben. Wir führen eine Debatte über die demografische Entwicklung. Wenn es richtig ist, dass wir angesichts der demografischen Entwicklung immer weniger junge Leute haben werden, dann ist es ein Gebot der Zeit, jeden Jugendlichen mitzunehmen und nach Möglichkeit direkt eine vernünftige Ausbildung zu ermöglichen. Dazu wollen wir die Betriebsbeteiligungsquote erhöhen. Denn das ist kein positives Zeichen: Noch nie haben so wenige Betriebe, die ausbildungsfähig sind, ausgebildet. Das ist ein schlechtes Zeichen; denn die beste Ausbildung erfolgt überwiegend in den Betrieben. Es müssen mehr Betriebe zur Ausbildung herangezogen werden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE])
Ich will noch einen Punkt ansprechen: den Reformbedarf. Ja, die Gleichwertigkeit zwischen dualer und allgemeiner Ausbildung oder zwischen beruflicher und allgemeiner Ausbildung ist noch nicht hergestellt. Wir haben die Möglichkeiten des Übergangs aus dem dualen System heraus zusammen mit den Ländern, mit der Kultusministerkonferenz verbessert; aber eine tatsächliche Gleichwertigkeit ist nicht gegeben. Wenn wir wollen, dass sich die jungen Leute nicht nur darauf konzentrieren, den schulischen Weg bis zum Abitur zu wählen – das ist vielfach der Fall –, sondern ebenso den Weg über das duale System wählen sollen, müssen wir überlegen – dazu fordern wir auf –: Wie können wir dafür sorgen, dass sich die jungen Leute für einen dualen, berufsständischen Weg entscheiden, angefangen mit der dualen Ausbildung bis nach ganz oben? Ich glaube, in der nächsten Legislaturperiode müssen und werden wir dieses Problem angehen. Denn eines darf nicht passieren: dass zu viele junge Leute, aus welchen Gründen auch immer, den schulischen Weg wählen, ein Hochschulstudium aufnehmen, einen Bachelor machen, aber keinen Job in der Tasche haben, während uns im betrieblichen, industriellen Bereich die für die notwendige Modernisierung unserer Volkswirtschaft benötigten jungen Leute fehlen, die auf Grundlage einer dualen Ausbildung gewonnen werden. Wir können den Weg nicht vorschreiben; da müssen wir Gleichwertigkeit herstellen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE])
Ich komme zum Schluss. Wir haben im Ausschuss, was die berufliche Bildung angeht, eigentlich ganz gut zusammengearbeitet. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass die jungen Menschen im Übergangsbereich schnell vernünftige Chancen bekommen. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass die Jugendlichen in Europa eine Perspektive bekommen. Dafür müssen wir mehr Geld in die Hand nehmen für kurzfristige Maßnahmen und mittelfristig für den Ausbau der dualen Ausbildung. Diesen Weg müssen wir mit den Ländern gemeinsam gehen. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Gute Sommerpause!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)