Das vor 50 Jahren geschlossene Anwerbeabkommen mit der Türkei ist ein bedeutender Teil unserer deutschen Einwanderungsgeschichte. Somit ist es auch ein bedeutender Teil des deutschen Wirtschaftswunders. Es waren die sogenannten Gastarbeiter aus aller Herren Länder, die Deutschland gemeinsam mit den deutschen Kolleginnen und Kollegen teilweise unter schwierigsten Bedingungen wirtschaftlich zu einer der erfolgreichsten Gesellschaften der Welt gemacht haben. Dafür gebühren ihnen unser Respekt und unsere Anerkennung.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Grindel, ich kann Sie beruhigen: Ich war einmal Schützenkönig.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU] – Nicolette Kressl [SPD]: Bravo! – Gegenruf des Abg. Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Er ist aber nicht Türke! Er ist Kroate!)
Das vor 50 Jahren geschlossene Anwerbeabkommen mit der Türkei ist ein bedeutender Teil unserer deutschen Einwanderungsgeschichte. Somit ist es auch ein bedeutender Teil des deutschen Wirtschaftswunders. Es waren die sogenannten Gastarbeiter aus aller Herren Länder, die Deutschland gemeinsam mit den deutschen Kolleginnen und Kollegen teilweise unter schwierigsten Bedingungen wirtschaftlich zu einer der erfolgreichsten Gesellschaften der Welt gemacht haben. Dafür gebühren ihnen unser Respekt und unsere Anerkennung.
Die Menschen kamen zu uns zunächst als Gastarbeiter. Sie kamen im jungen Alter, oftmals mit traurigen Geschichten aus ihrer Heimat, die sie aus wirtschaftlichen, familiären oder politischen Gründen verlassen mussten. Zu lange dachte die deutsche Gesellschaft, dass die Gastarbeiter in ihre Heimat zurückkehren würden; das dachten leider auch viel zu viele der Gastarbeiter. Ich selbst habe eine klassische Gastarbeiterkarriere durchlebt: Nach einer Ausbildung zum Kfz-Mechaniker habe ich sieben Jahre lang als Lackierer am Fließband gearbeitet und dort Integration gelebt. Denn mit mir arbeiteten kaum Deutsche, sondern hauptsächlich Gastarbeiter.
Ich wurde vom Gastarbeiter zum Ausländer, dann zum Migranten und schließlich zum Deutschen mit Migrationshintergrund,
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
dabei wollte ich eigentlich immer nur ein Mensch sein.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
In der Geschichte der Gastarbeiter war Integration viel zu lange nicht vorgesehen. Doch spätestens seit die Kinder und Enkelkinder der Gastarbeiter hier geboren wurden, ist auch Deutschland zu ihrer Heimat geworden. In Deutschland aber galt das Motto „Man hat sich gefälligst anzupassen“; andere wiederum warben für mehr Toleranz. Doch Integration ist mehr als nur Anpassung oder Toleranz. Erst unter Rot-Grün wurde akzeptiert, dass wir hier tätig werden müssen. Erst dann wurde anerkannt, dass Deutschland, wie fast alle anderen europäischen Staaten, ein Einwanderungsland ist.
Anfänglich kam es hier zu sehr irritierenden Reaktionen, vor allem aus dem konservativen Lager, zum Beispiel mit der Debatte um Leitkultur. Es wurde sogar behauptet, dass Multikulti gescheitert sei. Aber Multikulti ist doch Realität, zum Beispiel in unseren Fußgängerzonen: Neben dem Dönerstand befindet sich ein italienischer Modeladen, holländische Blumen werden verkauft, und im Radio wird überwiegend Musik mit Texten in englischer Sprache gespielt – um nur ein paar Klischees zu benennen. Das heißt nicht, dass es beim Zusammenleben keine Probleme gibt; aber es heißt, dass wir an dieser Realität nicht vorbeikommen.
Wir müssen vor allem verstehen: Integration ist mehr als nur Sprachkenntnisse. Integration bedeutet vor allem Identifikation, und zwar von beiden Seiten; denn Migration verändert unsere Gesellschaft, und zwar fortdauernd. Mit dieser sich im ständigen Veränderungsprozess befindenden Gesellschaft müssen sich alle identifizieren, die hier leben: aufnehmende Gesellschaft und Migranten. In der Integrationspolitik geht es nicht nur um juristische Feinheiten, sondern um Integration mit dem Herzen, die zu der von mir geforderten Identifikation führt.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Johannes Vogel [Lüdenscheid] [FDP])
Daran müssen wir unsere Politik ausrichten, und dafür müssen wir die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Ich nenne als Beispiel die Debatte um die Staatsangehörigkeit. Die Staatsbürgerschaft hat für die Migranten eine hohe symbolische Bedeutung. Sie ist eine Anerkennung für die Lebensleistung im Sinne von: „Ja, du gehörst zu uns.“ Es darf nicht darum gehen, entweder nur die deutsche oder eine andere Staatsbürgerschaft zu haben.
Auch bei der Visavergabe brauchen wir mehr Herz. Im Petitionsausschuss habe ich oft Fälle, in denen Kindern der Familiennachzug verwehrt wird, oder Fälle, in denen Familien ihre Verwandten nicht zu sich nach Deutschland einladen dürfen. Wir müssen Integrationspolitik mit Herz und Verstand machen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Identifikation schafft man nicht nur mit juristischen Paragrafen, sondern indem wir ein Klima der Empathie aufbauen. Nur dann wächst zusammen, was zusammen gehört, nicht nur Ost und West, sondern auch Deutsche und Migranten in unserer gemeinsamen Heimat Deutschland.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)