Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Ukraine ist ein gespaltenes Land am Rande eines Bürgerkriegs und eines Staatsbankrotts und des Risikos, zu zerfallen, wenn man jetzt nicht die Kraft für eine friedliche Lösung des Konflikts hat. Angesichts der dra­matischen Entwicklung der letzten Tage, der Toten und Verletzten, des zunehmenden Hasses, der Gewalt, der Wut und der aufkommenden Rachegelüste, kann man von hier aus eigentlich nur rufen: Haltet ein! Haltet ein und beendet das Blutvergießen!

Ich will an dieser Stelle ausdrücklich all denen aus den Stäben des Außenministeriums und des Verteidi­gungsministeriums Dank sagen, die sich in den vergan­genen Tagen sehr intensiv, mit Feingefühl und mit Di­plomatie erfolgreich darum bemüht haben, dass unsere OSZE-Beobachter wieder heil zurückgekommen und heute bei ihren Fami­lien sind. Ein großes Dankeschön an alle Mitarbeiterin­nen und Mitarbeiter und an die Spitzen der Häuser!

Ich glaube, man muss deutlich sagen: Wenn man die OSZE stärken will, dann darf man ihr keine Taktiererei vorwerfen, dann darf man ihr nicht Spionage vorwerfen, sondern dann muss man sie in Gänze stärken, und dazu gehören auch die verabredeten Militärbeobachteraktio­nen.

Ich glaube auch, dass man sagen muss: Haltet ein und haltet euch an die Vereinbarungen, die am 21. Februar in Kiew und am 17. April in Genf getroffen worden sind! Haltet euch an die eingegangene Verantwortung – das gilt für alle, die daran beteiligt gewesen sind –, insbeson­dere zur konkreten Umsetzung! Bildet runde Tische im Land und bezieht die Regionen und alle verantwortli­chen Kräfte aus der Zivilgesellschaft und aus der Politik mit ein! Haltet an der Absicht fest, die OSZE zu stärken und ihr hierbei eine sehr wichtige Rolle zu geben, auch wenn es darum geht, die oppositionellen Kräfte in der Ukraine mit an diese runden Tische zu bringen! Man wird mit denen reden müssen, über die man heute viel­leicht noch sagt, mit denen würde man nie reden. Ich glaube, dass das notwendig ist und dass die OSZE dabei eine zentrale Rolle spielen kann.

Haltet vor allen Dingen auch an der Absicht fest, die staatliche Gewalt wiederherzustellen! Wenn man eine Regierung für illegitim erklärt, dann lässt sich mit ihr keine staatliche Gewalt herstellen. Aber wenn die staatli­che Gewalt dafür verantwortlich sein soll, dass alle ille­galen Waffenträger, sowohl die vom rechten Sektor als auch die von den anderen oppositionellen Kräften, ent­waffnet werden, dann muss man die staatliche Gewalt stärken und einer Regierung auch die Kraft dazu geben.

Ich glaube, dass es weiter notwendig ist, an dem Wahltermin festzuhalten. Aber auch dafür gilt es, das staatliche Gewaltmonopol in die Lage zu versetzen, für Rahmenbedingungen zu sorgen für Wahlen, die man als fair und frei bezeichnen kann, sodass die Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können. Diese Rah­menbedingungen sind notwendig. Statt der Kraft der Waffen brauchen wir die Kraft der Vernunft, der Verant­wortung und der Versöhnung. Auch deshalb gilt es, die schrecklichen Gewalttaten, die in den letzten Tagen ge­schehen sind, genauso wie diejenigen, die auf dem Mai­dan geschehen sind, rückhaltlos aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Anders wird eine Versöhnung nicht möglich sein.

Dazu gehört auch, dass der Verfassungsprozess trans­parent gemacht wird, dass die Menschen in Ost und West wie in Nord und Süd der Ukraine das Gefühl ha­ben, dabei auch beteiligt zu sein, dass das nicht anonym läuft, sondern dass sie Einfluss darauf nehmen können, dass Verantwortung mehr dezentralisiert wird, dass auch Pflichten mehr dezentralisiert werden und sie am Ende Teil eines Ganzen sind.

Ich glaube auch, dass es notwendig ist, darauf hinzu­weisen, dass wir jetzt viel über den Tag hinausdenken können; aber wir befinden uns heute und in diesen Tagen am Rande des großen Risikos einer humanitären Kata­strophe in einem Bürgerkrieg, wo Not und Elend so weit gehen, dass die ersten Menschen aus dem Land flüchten.

Es kann eine instabile Situation entstehen, in der alle EU-Mitgliedstaaten, die Nachbarstaaten der Ukraine sind, aber auch Russland davon berührt und betroffen sind. Auch deswegen muss man ganz klar und deutlich sagen: Haltet hier ein! Haltet auch endlich ein mit einer Presse-, Rundfunk- und Fernsehberichterstattung, die nur noch Schwarz-Weiß kennt und bei der man teilweise den Eindruck hat, als ginge es um einen medialen Waf­fengang!

Ich glaube, das gilt zum großen Teil auf beiden Seiten. – Und haltet die Sozialpartner zusammen, haltet die Ge­werkschaften und die Arbeitgeber in der Ukraine zusam­men, damit über sozialverträgliche Regelungen gespro­chen werden kann! Sie müssen zusammengehalten werden, wenn man den großen Herausforderungen, die vor diesem Lande liegen, gerecht werden und nicht dazu beitragen will, dass neben der explosiven politischen Si­tuation, die es zurzeit gibt, auch noch eine Zeitbombe tickt, die den sozialen Frieden in der Ukraine gefährdet.

Der OSZE-Vorsitzende, Herr Burkhalter, befindet sich gerade in Moskau. Ich glaube, das ist die Chance für eine neue diplomatische Initiative. Russland ist – wie alle anderen – hier in großer Verantwortung auch für die Umsetzung der Punkte, die man in Genf vereinbart hat.

Es hat gute Signale vonseiten Russlands gegeben. Ein gutes Zeichen war, dass man nachgewiesen hat, dass man Einfluss hat. Gute Zeichen waren weiter, dass Herr Lukin im Februar in Kiew dabei war, dass er jetzt wieder mitgeholfen hat, die OSZE-Geiseln zu befreien, sowie die Bereitschaft von Moskau, sich in Genf an den Tisch zu setzen. Weiter ist es ein gutes Zeichen – was gerade über die Ticker verbreitet wird –, dass Präsident Putin sagt, dass das für das Wochenende angesetzte Referen­dum verschoben werden sollte. Das alles sind kleine Zeichen; aber es sind mehr zu erwarten. Es sind größere Schritte zu machen. Ein größe­rer Schritt muss sein, dass der klare Aufruf an die be­waffneten oppositionellen Kräfte erfolgt: Legt auch die Waffen nieder, hört auch mit den Gewalttaten auf und rüstet ab! Genauso sollte auch Russland mit seinen Trup­pen an der Grenze endlich das einhalten, was verspro­chen worden ist, nämlich ein Rückzug in die Kasernen.

Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident. – Wenn man die OSZE stärken will, heißt das auch, dass man zu ihren Prinzipien zurückkommen muss. Das gilt auch für Russland. Das heißt, die zentralen Prinzipien der Schlussakte von Helsinki einzuhalten, die da lauten: ter­ritoriale Integrität der Staaten, keine Androhung und keine Anwendung von Gewalt, Unverletzlichkeit der Grenzen und friedliche Lösung der vorhandenen Kon­flikte. – Gefordert ist jetzt eine Politik der kühlen Köpfe und nicht der kalten Krieger.