Antrag der SPD-Bundestagsfraktion an die Bundesregierung: "Gleichstellung - Fortschritt - Jetzt - Durch eine konsistente Gleichstellungspolitik"

Aus Anlass der Debatte zur Gleichstellungspolitik hielt Willi Brase MdB am 1.3.2013 im Plenum des Bundestages eine Rede zur Situation der Gleichstellung in Deutschland:

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol­legen! Gustav Heinemann, der ehemalige Bundespräsi­dent, hat zur heutigen Thematik seinerzeit ausgeführt – ich zitiere –:

Gleichberechtigung zielt darauf ab, dass Männer und Frauen unsere Gesellschaft in voller Gleich­wertigkeit dessen, was sie an körperlichen, geisti­gen und seelischen Verschiedenheiten einbringen, miteinander gestalten.

Ich finde, damit hatte Gustav Heinemann sehr recht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Schauen wir uns die Realität an, dann müssen wir, wie schon viele Vorredner dargestellt haben, einiges sehr kritisch zur Kenntnis nehmen. Wenn wir Zahlen aus der Arbeitswelt betrachten, dann sehe ich wenig, was die Regierung bzw. diese Koalition auf den Weg gebracht hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Lohnungleichheit ist sehr unterschiedlich. Bei un­gelernten Arbeiterinnen liegen die Frauen gegenüber den Männern um 8,3 Prozent im Minus, bei angelernten Ar­beiterinnen um 14,3 Prozent, bei Fachkräften um 11,3 Prozent, bei höher qualifizierten Fachkräften um 14,3 Prozent und bei Frauen in leitender Stelle um 21,3 Prozent. Allein diese Zahlen zeigen, dass in den letzten dreieinhalb Jahren von dieser Koalition nichts bis gar nichts gemacht wurde, um dies zu verändern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wie kommt es eigentlich dazu, dass wir nach wie vor diese Lohnunterschiede haben? Hat das vielleicht auch etwas mit der Struktur der dualen Berufsausbildung zu tun? Ist es nicht heute so, dass nur 40 Prozent der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge mit jungen Frauen abgeschlossen werden? 75,4 Prozent aller Aus­bildungsanfängerinnen sind in nur 25 Berufen zu finden.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Verkäufe­rinnen, Arzthelferinnen, Lebensmittelverkäuferinnen usw. usf. Das sind alles Berufe, teilweise mit zweijähri­ger Ausbildung. In diesen Berufen sind nachher die Ver­dienstmöglichkeiten entsprechend schlechter und die Lohnunterschiede werden deutlich.

Ich finde, hier muss sich etwas ändern. Geschlechter­sensibilität bei Lehrerinnen und Lehrern, aber auch bei den Eltern, was die Berufswahl angeht, ist wichtig. Des­halb begrüßen wir es, dass zumindest neun Bundeslän­der sich auf den Weg machen und versuchen, mit dem neuen Übergangssystem hier eine wesentlich stärkere Spreizung zu erreichen und den jungen Mädchen auch mehr Chancen auf den Weg zu geben.

(Beifall bei der SPD)

Wir können ein Stück weiter gehen und fragen – das wurde teilweise schon angesprochen –: Wo bleiben denn Frauen? Ist es nicht so, dass unsere Gesellschaft ein Stück weit davon lebt, dass die Frauen Arbeitsplätze ein­nehmen und Tätigkeiten ausführen, die schlechter be­wertet werden, dass sie ehrenamtlich tätig sind? Wenn ich nur den Bereich der Erziehung ansehe, muss ich fest­stellen: Es gibt heute noch Frauen, die haben ihre Kinder großgezogen und dafür wenig oder nichts bekommen, und kaum sind die Kinder aus dem Haus, können die Frauen ihre Eltern, ihre Schwiegereltern pflegen – ein Leben lang mit wenig Unterstützung, mit wenig Geld.

In dem Gutachten „Neue Wege – gleiche Chancen. Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensver­lauf“ wird zu den schlechteren Chancen von Frauen im Verhältnis zu Männern ausgeführt – ich zitiere –:

Die vollzeitschulische Ausbildung in den personen­bezogenen Dienstleistungen zementiert mit unein­heitlichen Qualifikationsprofilen und fehlenden bundesweiten Standardisierungen den geringeren Professionalisierungsgrad vieler typischer Frauen­berufe.

Das haben wir zu ändern versucht. Bei der Pflegeausbil­dung hat damals das Bundesland Bayern das Bundes­verfassungsgericht angerufen: Zweijährige, teilweise einjährige Maßnahmen waren das Ziel. Die Professiona­lisierung und Aufwertung dieser Berufe wie auch deren bessere Bezahlung ist überfällig.

(Beifall bei der SPD)

Frauen arbeiten mehr in personen- und dienstleis­tungsbezogenen Berufen. Diese Tätigkeiten werden we­sentlich schlechter bezahlt als Berufe, in denen Fachar­beiter mit Material, mit Maschinen arbeiten. – Ich sehe bei der Koalition Nicken. Das ist schön. Aber was ist in den letzten dreieinhalb Jahren in diesem Verhältnis pas­siert? Es hat kaum bis gar keine Änderungen gegeben. Dort müssen wir einiges mehr auf den Weg bringen, sehr geehrte Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Rita Pawelski [CDU/CSU]: Das müssen die Tarif­partner machen! Das können wir nicht ma­chen! – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das ist nicht erst seit gestern bekannt! Auch nicht erst seit dreieinhalb Jahren!)

Wir wollen, dass an dieser Stelle stärker über die duale Ausbildung diskutiert und Entsprechendes auf den Weg gebracht wird.

Kollegin Ferner hat eben darauf hingewiesen, dass die SPD dieses Jahr ihr 150-jähriges Bestehen feiert. Wie ich vorhin bewusst Gustav Heinemann zitiert habe, so will ich zum Abschluss meiner Rede noch August Bebel zitieren, der vor über 100 Jahren Folgendes in seinem wegweisenden und bahnbrechenden Buch Die Frau und der Sozialismus ausgeführt hat – ich zitiere –:

Die Frau der neuen Gesellschaft ist sozial und öko­nomisch vollkommen unabhängig, sie ist keinem Schein von Herrschaft und Ausbeutung mehr unter­worfen, sie steht dem Manne als Freie, Gleiche ge­genüber und ist Herrin ihrer Geschicke.

Wenn wir es daran messen, haben wir noch verdammt viel zu tun. Ich bin sicher, nach dem 22. September, in anderer Konstellation, wird uns das gelingen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Rita Pawelski [CDU/CSU]: So spricht man sich Mut zu! Laut Umfrage bekommen Sie 25 Pro­zent! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hauptsache, die Ambitionen reichen!)

 

 

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