Auf dieser Linie liegt auch die finanzielle Entlastung der Kommunen durch ein modernes Teilhaberecht. Es geht nicht einfach nur um mehr Geld, sondern es geht um ein Teilhaberecht, das die bestehende Ausgabendynamik bremst und keine neue schafft. Daran soll sich der Bund aus gesamtgesellschaftlicher Verantwortung heraus beteiligen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Berghegger, zunächst herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede! Wie Sie wissen, rede auch ich für die Koalition, wenn auch vielleicht nicht mit demselben Optimismus, obwohl es in der Sache in die gleiche Richtung geht.
Ich möchte vorweg eine Bemerkung machen. Ich begrüße es sehr, dass die Grünen eine solche Gelegenheit schaffen, über die Lage der Kommunen zu reden; das ist in der Tat gut.
Aber ich will Frau Haßelmann doch auch fragen: Wenn Sie der Meinung sind, dass die Mittel für die Eingliederungshilfe in Höhe von 5 Milliarden Euro früher bereitgestellt werden müssen, warum beantragen Sie es dann nicht?
In Ihrem Antrag ist nur von 1 Milliarde Euro die Rede; der Rest steht lediglich in der Begründung.
Ich frage Sie ja nur, warum Sie es nicht beantragen. Wenn Sie der Meinung sind, dass es richtig ist, dies früher zu tun, sollten Sie am besten einen Deckungsvorschlag unterbreiten.
Ich will sagen: Die Beschreibung der Situation der Kommunen, die Sie abgeben, ist für viele Kommunen tatsächlich zutreffend. Der Finanzierungssaldo liegt, was die Kommunen angeht, insgesamt im Plus, und zwar bei 1,1 Milliarden Euro. Das verdeckt jedenfalls ein Stück weit die Realität. Der Anstieg der Kassenkredite auf 48 Milliarden Euro ist trotz höherer Steuereinnahmen dramatisch. Die Gesamtverschuldung schreitet voran. Die Sozialausgaben der Kommunen sind bundesweit auf 46 Milliarden Euro gewachsen. Das ist schon eine dramatische Situation. Die Investitionstätigkeit der Kommunen ist mittlerweile auf das Niveau der 90er-Jahre zurückgefallen. Das heißt mit anderen Worten, nüchtern und ohne jede Schuldzuweisung festgestellt: Die Kommunen fahren in Deutschland auf Verschleiß. Das führt zu einem Substanzverlust, der auch den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt beeinträchtigt. Darauf müssen wir uns konzentrieren.
Die erste Feststellung ist also: Trotz wachsender Steuereinnahmen, höherer Beschäftigung und niedrigerer Zinsen können viele Kommunen die ihnen übertragenen Aufgaben nicht finanzieren. Das ist durchaus ein Alarmzeichen.
Wenn man die Lage etwas differenzierter betrachtet, dann erkennt man, dass die Dramatik eher zunimmt. Es gibt zwar selbstverständlich viele gesunde, lebenswerte Städte, Gemeinden und Landkreise in Deutschland – keine Frage! –, aber ihnen steht eine größere Zahl von Städten, Gemeinden und Landkreisen gegenüber, die jedes Jahr tiefer in den Strudel der Verschuldung geraten. Diese Situation, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist weder auf ein Bundesland noch auf eine Gemeindegrößenklasse beschränkt.
Pirmasens liegt doch nicht in Nordrhein-Westfalen, Kaiserslautern liegt doch nicht in Nordrhein-Westfalen. Ich kann Ihnen reihenweise Beispiele aufzählen. Fallen Sie doch nicht immer in die alten Muster zurück!
Ich beschreibe erst einmal nur eine Situation und weise gar keine Schuld zu. Ich sage ganz im Gegenteil: Ohne die Unterstützung des Bundes würde diese Schere weiter auseinandergehen. Das hat diese Koalition erkannt, und sie wird etwas dagegen tun. Das heißt mit anderen Worten: Wir stehen mit Blick auf das ganze Land vor einer Herausforderung.
Bei dieser Gelegenheit sei mir die Bemerkung gestattet: Ja, unsere Banken sind systemrelevant, aber unsere Kommunen sind es auch.
Vizepräsident Johannes Singhammer:
Kollege Daldrup, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth?
Bernhard Daldrup (SPD):
Wenn ich das kann? – Ich habe das noch nie gemacht, ich rede hier ja nicht so oft.
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich hoffe, dass Sie das können. – Sie haben die Lage, ähnlich wie Frau Haßelmann, richtig analysiert und gesagt, die Bundesregierung würde etwas tun. Aber warum tun Sie nicht das, was Sie im Koalitionsvertrag niedergeschrieben haben bzw. was Sie insbesondere Ihre Parteifreunde in den Kommunen in Nordrhein-Westfalen glauben machen?
Im Januar waren die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie die Landräte des Ruhrgebiets von CDU und SPD hier in Berlin und haben mit den Bundestagsabgeordneten des Ruhrgebiets, und zwar aller Fraktionen, den Austausch gesucht. Sie haben unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass sie auf die Zusagen gebaut haben, dass zumindest innerhalb dieser Legislaturperiode mit der geplanten Entlastung der Kommunen in Höhe von 5 Milliarden Euro begonnen wird und dass sie bereits ab 2014 jedes Jahr um 1 Milliarde Euro entlastet werden.
Könnte es sein, dass Sie in der Phase, als Sie, speziell in der SPD, die Zustimmung für Ihren Koalitionsvertrag brauchten, bewusst die eigenen Parteigänger in den strukturschwachen Kommunen in NRW und im Ruhrgebiet in dem Glauben gelassen haben, die Entlastung käme – sonst hätten sich die Bürgermeister ja nicht so geäußert –, und dass Sie sie mit der Veröffentlichung der mittelfristigen Finanzplanung jetzt im Endeffekt hinters Licht geführt haben?
Bernhard Daldrup (SPD):
Wissen Sie, ich bin seit elf Jahren Landesgeschäftsführer der SGK in Nordrhein-Westfalen. Wir sind zuständig für 9 000 ehrenamtliche und hauptamtliche Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker. Ich glaube, ich kenne die Situation in Nordrhein-Westfalen ganz gut.
Ich kenne die Forderungen, ich habe sie zu einem großen Teil mit formuliert. Ich kenne die Auseinandersetzungen, ich bin bei den Gesprächen dabei gewesen. Ich sage Ihnen ganz offen: Stärker als bei jeder Bundestagswahl zuvor haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, die Situation der Kommunen durch mehr Investitionen in die Infrastruktur zu verbessern. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt passiert das im Bereich der Städtebauförderung durch mehr unmittelbare finanzielle Entlastung, und zwar sowohl 2014 und 2015 als auch 2016.
Wir werden relativ schnell mit der Umsetzung des Bundesleistungsgesetzes beginnen. Man kann es nicht übers Knie brechen, aber wir werden diese Zielsetzung verfolgen. Insofern gebe ich Ihnen von vorne bis hinten nicht recht; denn wir sind ehrlich mit unseren eigenen Leuten umgegangen.
Ich will darauf aufmerksam machen – das knüpft an Ihre Ausführungen an –, dass die Kommunen trotz Investitionsverzicht, trotz dramatischer Einsparungen bei den Personalkosten – wenn Sie die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken lesen, werden Sie sehen, dass die Kommunen deutlich mehr Personal eingespart haben als etwa der Bund und erst recht als die Länder –, trotz hoher lokaler Steuern und Gebühren nicht in der Lage sind, ihre Haushalte auszugleichen, weil die Dynamik der Sozialausgaben sehr viel dramatischer ist. Das ist der Grund, warum wir von einer Vergeblichkeitsfalle reden: nicht, weil wir anklagen, sondern weil die Schere, die immer weiter auseinandergeht, nicht zu schließen ist. Deswegen brauchen wir hier konkrete Konzepte.
Ich will das Thema „klebende Finger der Länder“ aufgreifen. Wir alle wissen, dass es so etwas gibt. Wenn neun Bundesländer in der Bundesrepublik Deutschland jedoch mittlerweile Finanzierungsprogramme für strukturschwache Kommunen im eigenen Land mit eigenen Mitteln ausstatten, dann kann man das so nicht einfach stehen lassen. Da das Schwarze-Peter-Spiel auf Dauer nicht weiterhilft, müssen wir uns den Ursachen zuwenden.
Jetzt komme ich zum Thema Sozialausgaben. Es geht hier nicht nur um die Eingliederungshilfe, aber ich spreche sie an, weil sie mit Abstand die größte Dynamik aufweist. Von 1991 bis 2011, also seit 20 Jahren, wächst die Zahl derjenigen, die Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen von 324 000 auf 790 000 Personen. Die Aufwendungen sind in 20 Jahren von 4,1 Milliarden Euro auf 14,4 Milliarden Euro gestiegen. Das war 2011, Herr Kauder. Im Moment sind wir bei 16 Milliarden. Die Kosten werden in neun Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland, die etwa 60 Millionen Menschen repräsentieren, allein von den Kommunen finanziert. Diese Situation ist schlicht und ergreifend so nicht tragbar.
Was müssen wir tun? In Bezug auf die Eingliederungshilfe müssen wir aus der Fürsorgeaufgabe der 60er-Jahre eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe machen, erst recht vor dem Hintergrund der Behindertenrechtskonvention, die wir gestalten wollen. „Gestalten wollen“ heißt nicht, die Angelegenheit auf dem Rücken der Betroffenen auszutragen. Dieses Thema werden wir angehen. Das ist aber eine Aufgabe, die Zeit braucht.
In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass es ein Ergebnis der Verhandlungen zwischen Bund und Ländern war, dass die Kosten der Grundsicherung im Alter vollständig vom Bund übernommen werden. Ohne die SPD wäre das im Vermittlungsverfahren nicht gelungen. Folgerichtig ist, dass die damit verbundene dritte Stufe der Entlastung in Höhe von 1,1 Milliarden Euro im Koalitionsvertrag für 2014 aufgenommen worden ist. Da stehen diese 1,1 Milliarden Euro drin. Das ist nicht die zusätzliche Milliarde, die Sie, Frau Haßelmann, fordern. Ich will an dieser Stelle aber darauf hinweisen, dass diese zusätzliche Milliarde nicht einmal der Bundesrat fordert. Auch das von Grün-Rot regierte Baden-Württemberg fordert das nicht.
Der Ausbau dieser Finanzierungsmaßnahmen ist, glaube ich, nachvollziehbar – eben ist schon einmal darauf aufmerksam gemacht worden; ich habe es auch schon gesagt –: Die Fortsetzung der Zahlung der Entflechtungsmittel, steuer- oder bildungspolitische Entscheidungen, Aufstockung der Mittel für die Städtebauförderung auf 700 Millionen Euro und die Einführung des Mindestlohns – das will ich an dieser Stelle einmal sagen –, die die Kommunen vermutlich um einen dreistelligen Millionenbetrag entlasten wird, weil die Zahl der Aufstocker deutlich zurückgehen wird, das alles sind konkrete Entlastungen der Kommunen, für die diese Koalition steht.
Auf dieser Linie liegt auch die finanzielle Entlastung der Kommunen durch ein modernes Teilhaberecht. Es geht nicht einfach nur um mehr Geld, sondern es geht um ein Teilhaberecht, das die bestehende Ausgabendynamik bremst und keine neue schafft. Daran soll sich der Bund aus gesamtgesellschaftlicher Verantwortung heraus beteiligen. Wir unterstützen deswegen die Bundessozialministerin in ihrem Vorhaben, dieses Gesetz im Jahre 2016 dem Parlament zur Beschlussfassung vorzulegen.
Ich will zum Schluss kommen. Was ist die Perspektive des Bundesleistungsgesetzes? 2015 bzw. 2016 kommt die Milliarde; darauf ist hingewiesen worden. Möglicherweise können wir uns hinsichtlich der KdU verständigen. Das wäre durchaus wünschenswert und angesichts der sozialpolitischen Herausforderungen vernünftig.
Ich will darauf aufmerksam machen, dass die Koalition die Kommunen an der Gestaltung der zukünftigen Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern beteiligen will. Auch diesbezüglich werden die Kommunen also dabei sein.
Eine letzte Bemerkung: Sie sehen, diese Koalition macht die finanzielle Stärkung der Kommunen zu einem Kernanliegen dieser Bundesregierung.
Für uns sind die Kommunen kein Kellergeschoss der Demokratie. Für uns sind sie der Nukleus guter Lebensqualität. Die Sicherstellung der finanziellen Zukunftsfähigkeit der Kommunen ist deshalb ein Ziel, das wir mit Entschiedenheit verfolgen werden.
Herzlichen Dank.