Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Welches Bild haben viele, leider zu viele Bürgerinnen und Bürger derzeit von Europa? Dieses Bild ist ziemlich jämmerlich. Dieses Bild ist ziemlich deprimierend. Zu sehen sind demonstrierende Jugendliche auf den Plätzen der europäischen Hauptstädte, brennende Europaflaggen, Nazisymbole, feilschende Staats- und Regierungschefs, die in Nachtsitzungen zusammenkommen und dann ihre mühselig erzielten Kompromisse schlechtgelaunt und übernächtigt den Medienvertretern zu verkaufen versuchen. Ich frage Sie, Herr Außenminister, und ich frage die Bundesregierung: Was tun Sie konkret, um den Bürgerinnen und Bürgern ein anderes, ein hoffnungsvolleres Bild von Europa entgegenzuhalten? Spätestens nach dieser Rede von Ihnen, Herr Außenminister, ist deutlich geworden: Sie tun nichts. Sie tun rein gar nichts.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben zwar vor wenigen Wochen eine Kommunikationsstrategie angekündigt, aber die ist nicht die Tinte wert, mit der sie geschrieben wurde. Das alles ist eine Ansammlung von Allgemeinplätzen und trifft auch nicht das Problem in seinem Kern, nämlich: Wie können wir die Bürgerinnen und Bürger wieder davon überzeugen, dass Europa eben nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung ist? Dazu habe ich außer dem allgemeinen plattitüdenhaften Vortragen von Dingen, die wir schon längst irgendwo gelesen und gehört haben, nichts Neues vermerken können. Da kann man nur sagen: Gut, dass Sie nicht mehr Europaminister der Bundesrepublik Deutschland sind!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Auswärtige Amt hat als Europaministerium ausgedient. Wir erleben einen dramatischen Niedergang des Auswärtigen Amts als zentrales Steuerungsministerium, wenn es um Europaangelegenheiten geht. Dafür trägt nicht allein der Lissabon-Vertrag Verantwortung – die Position des Regierungschefs, der Kanzlerin, die Position des Kanzleramts wurde gestärkt; Frau Merkel ist seitens der Bundesregierung weitgehend die alleinige Gipfelstürmerin –, sondern das liegt auch an Ihnen persönlich. Sie haben viel zu lange geschwiegen, Sie waren viel zu lange der Herr Westerwelle und nicht der Bundesaußenminister. Sie laden jetzt einmal ein paar Außenminister ein – aber auch nur einige –, reflektieren, trinken zusammen eine Tasse Kaffee und meinen, damit würden wir Europa voranbringen. Das alles ist nur Symbolpolitik, viel heiße Luft, wenig Substanz. Das ist auch heute in Ihrer Rede zum Ausdruck gekommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch da, wo das Auswärtige Amt noch über europapolitische Kompetenzen verfügt, nämlich wenn es darum geht, konkret dazu beizutragen, dass Europa mit einer Stimme spricht, haben Sie versagt. Ich erinnere nur an das Libyen-Desaster, wo Sie sich mit Ihrer Enthaltung dagegen gesperrt haben, dass die Europäische Union in einem der zentralen Felder der Außen- und Sicherheitspolitik mit einer Stimme zu sprechen vermag.

(Joachim Spatz [FDP]: Da waren doch auch andere dagegen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, welches Bild vermitteln wir als Europäer im Ausland? Da müssen wir einmal Amerikaner fragen. Da müssen wir einmal andere fragen. Wir bekommen überall dieselbe Antwort: Ihr Europäer bekommt die Probleme nicht in den Griff. Frau Merkel klopft bei Madame Lagarde an. Sie bittet darum, dass der Internationale Währungsfonds die Mittel aufstockt. Was ist eigentlich aus dem Vorschlag der Sozialdemokratie geworden, den Bundesfinanzminister Schäuble dankenswerterweise aufgegriffen hat, einen eigenen europäischen Währungsfonds zu schaffen? So könnten wir selber einen Beitrag dazu leisten, aus der Krise zu kommen. So bräuchten wir nicht ständig immer nur die internationale Solidarität einzufordern, sondern

könnten sagen: Wir haben ein europäisches Problem, und dieses europäische Problem wollen wir auch gemeinsam lösen. – Da kommt von Ihnen gar nichts.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Genauso desaströs sieht das Bild bei der Krisenbeschreibung aus. Wir haben viel zu lange den Eindruck erweckt, wir hätten es in erster Linie mit einer Staatsschuldenkrise zu tun. Das hat mich jetzt etwas optimistisch gestimmt, weil ich den Eindruck hatte, Sie hätten verstanden, dass es nicht allein darum geht. Wir haben doch eine politische Krise. Wir haben eine institutionelle Krise. Alle wissen doch: Der Geburtsfehler von Maastricht wird durch all das, was Sie jetzt auf den Weg zu bringen versuchen, nicht geheilt. Eine gemeinsame Währung funktioniert eben nicht ohne koordinierte Wirtschaftspolitik, ohne abgestimmte Sozial-, Steuer- und Beschäftigungspolitik.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie aber reden ständig nur von Haushaltskonsolidierung und Schuldenabbau. Diesen Weg sind wir bereit mitzugehen, aber nur, wenn Sie Ihren wohlfeilen Worten zu mehr Wachstum und Beschäftigung dann auch Taten folgen lassen. Wir sind ja dankbar, dass Sie langsam auf die Linie der SPD einzuschwenken versuchen,

(Lachen des Abg. Joachim Spatz [FDP])

indem Sie sagen: Wir brauchen auch Wachstum und Beschäftigung. – Das ist schon einmal anerkennenswert.

Wir sind jetzt gespannt, was Sie gemeinsam mit François Hollande und den anderen Staats- und Regierungschefs hinbekommen. Wir fordern eine Wirtschaftskoordination, die demokratischen und sozialen Ansprüchen gerecht wird. Sie haben ein Europa der Hinterzimmer und der Regierungen geschaffen. Wir wollen ein Europa der Parlamente, ein Europa der demokratischen Strukturen und ein Europa der Solidarität. An diesem Europa haben Sie sich versündigt, meine sehr verehrten Damen und Herren der Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist eben auch beim Kollegen Silberhorn deutlich geworden, dass bei vielen die Alarmglocken schrillen, wenn es um die vermeintliche Abgabe nationaler Souveränität geht. Ich lade uns alle dazu ein, etwas weniger ideologisch an diese Frage heranzugehen. Wir mögen zwar rechtlich Kompetenzen abgeben; aber politisch gewinnen wir doch Handlungsspielräume zurück, die wir als Nationalstaaten in einer globalisierten Welt schon lange nicht mehr haben. Wir können den Bürgerinnen und Bürgern doch nicht vorgaukeln, dass es allein nationalstaatlich geht. Es geht nur gemeinsam in Europa.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sagen: Es geht nur gemeinsam, solidarisch und demokratisch in Europa. Hier benötigen Sie noch Nachhilfe, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Fraktionen der Koalition.

(Zuruf von der FDP: Aber nicht von Ihnen!)

Wir müssen endlich die Wettbewerbslogik in Europa überwinden. Ihr neoliberaler Dreisatz, Herr Bundesaußenminister, Steuersenkungen, Deregulierung, Sozialabbau würden automatisch zur Lösung führen, ist ein Irrweg. Ich dachte eigentlich, dass wir da gemeinsam weitergekommen sind. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern wieder Sicherheit vermitteln. Wir müssen deutlich machen: Lohndumping muss verhindert werden. Wir brauchen auch in Deutschland nicht nur höhere Löhne, worum die Gewerkschaften erfolgreich kämpfen, sondern auch Mindestlöhne.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sabine Zimmermann [DIE LINKE])

Wir müssen das Steuerdumping verhindern. Wir müssen Sozialdumping verhindern. Wie können wir Europa in der Mitte der Gesellschaft verankern, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Angst und Sorgen haben?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Insofern: Europa muss mit dem Herzen gestaltet werden. Es stimmt mich schon sehr nachdenklich, wenn dies ausschließlich verdienstvolle alte Männer in diesen Tagen in Kommentaren eindrucksvoll zum Ausdruck bringen. Es werden eben Herr Genscher, Herr von Weizsäcker, Helmut Schmidt oder Jürgen Habermas gefragt.

(Rainer Brüderle [FDP]: Was haben Sie gegen Helmut Schmidt?)

– Zum Glück werden Sie nicht gefragt, Herr Genscher

– Entschuldigung! – Herr Westerwelle.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP –

(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Herr Kollege, das ist zu viel der Ehre!)

– Da haben Sie völlig recht.

(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Bleiben Sie bescheiden, Herr Kollege!)

Ich würde mich darüber freuen, wenn irgendwann einmal ein Bundesaußenminister wieder in diesen Reigen eintreten und positiv, hoffnungsvoll, konstruktiv, mit Verve und Empathie über Europa sprechen würde. Sie gehören bislang dezidiert nicht dazu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Sprach Willy Brandt!)

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