Sehr geehrte Damen und Herren,

als ich im Frühjahr zugesagt habe, hier auf dem DSO-Kongress zu reden, auch noch den sogenann-ten „Festvortrag“ zu übernehmen, da war die Welt um uns herum noch eine völlig andere, deutlich erfreulicher! Mit mir waren viele optimistisch, dass nach Jahren des Stillstands wieder Bewegung in die Debatte um die Organspende gekommen war.
Wir hatten gerade zwei Jahre einer sehr sachlichen und sehr öffentlichen Debatte hinter uns. Die Diskussion, so habe ich das empfunden, unterschied sich deutlich von den nahezu ideologischen Kämp-fen vor der Verabschiedung des ersten Transplantationsgesetzes Ende der 1990er Jahre. Man konnte glauben, es gebe inzwischen wirklich so etwas wie einen Konsens über die Notwendigkeit, gemeinsam an einem Strick zu ziehen und die Spendebereitschaft in Deutschland zu erhöhen.

Und auch die beteiligten Akteure standen gut da: Die Transplantationsmedizin genoss Vertrauen, Transplantationschirurgen waren gern gesehene Gäste auf zahlreichen Veranstaltungen zum Thema, und die Organisationen, die Organverteilung und –spende regelten, waren angesehen in Politik und Bevölkerung. Auch die Organisation bei der ich heute rede.  Ja, so war das noch vor wenigen Monaten.

Glauben sie mir, ich hätte liebend gern, dass das alles so geblieben wäre. Erst recht nach der geglückten Verabschiedung des neuen Transplantationsgesetzes im Mai hätte ich hier nur zu gern eine Festrede gehalten, bei der sich alle Beteiligten auch ein wenig auf die Schultern hätten klopfen dürfen.

Ich will diese Festrede nun nicht ins Gegenteil verkehren. Aber auch wenn es keine Trauerrede werden soll: Wir wissen, dass die Bedingungen sich verändert haben. Wie dünn das Eis ist, auf dem wir uns bewegen, das zeigen die Auswirkungen der Vorkommnisse in Regensburg, Göttingen und München samt dazugehöriger Berichterstattung. Sie merken das in den Angehörigengesprächen. Ich merke das auf den Veranstaltungen, zu denen ich eingeladen werde, und lese das in den Briefen, die ich erhalte. Die Spendezahlen gehen zurück. 69 % der Deutschen glauben inzwischen, dass man  Spenderorgane mit viel Geld kaufen kann. Gewachsenes Vertrauen ist in Skepsis umgeschlagen, für selbstzufriede-nes Schulterklopfen gibt es keinen Grund mehr.

In aller Offenheit: Mehr als einmal habe ich in den letzten Wochen überlegt, ob ich diese Rede heute hier überhaupt halten soll. Und Sie ahnen, dass ich von vielen Seiten angesprochen wurde, es lieber nicht zu tun. Wenn ich das anders entschieden habe, dann aus einem einzigen, für mich aber entscheidenden Grund. Und zwar, weil ich fest davon überzeugt bin: Jetzt weglaufen, das gilt nicht. Wer vor Monaten für die Organspende geworben hat, wer davon überzeugt war, dass wir die Bereitschaft dazu fördern müssen, der muss es jetzt erst recht tun. Schon allein aus Verantwortung gegenüber denen, die auf der Warteliste stehen und verzweifelt auf ein lebensrettendes Organ warten, und die in den letzten Monaten noch ein bisschen verzweifelter geworden sind, weil die Organspendezahlen zurückgehen.

Jetzt erst recht! – Das heißt nicht, Skandale unter den Teppich zu kehren, Missstände zu leugnen oder die Dinge schönzureden. Das darf es auf keinen Fall! Jetzt erst recht – das heißt, Verantwortung zu übernehmen dafür, dass wir schnellstmöglich Konsequenzen ziehen und verloren gegangenes Vertrauen versuchen zurückzugewinnen.

Und wenn ich von Verantwortung rede, dann ist als erstes die Transplantationsmedizin in der Pflicht. Die Vorfälle an den Kliniken in Göttingen, Regensburg und München haben – ob wir wollen oder nicht – eine ganze Disziplin in Misskredit gebracht. Ich weiß, dass die meisten der Mediziner und Medizinerinnen, diejenigen nämlich, die ihre Arbeit mit hohem persönlichen Einsatz verantwortungsvoll ausführen, darüber ebenso empört sind wie ich. Sie sind entrüstet, wie sich in der Öffentlichkeit schnell das Wort vom „Organspendeskandal“ eingebürgert hat, wo es genau genommen – bisher jedenfalls – der Skandal einiger Weniger war.

Tausende Organe werden jährlich verpflanzt, tausende Leben gerettet, und bisher spricht nichts dafür, dass tatsächlich systematisch manipuliert wird. Viel helfen tut dieser Hinweis aber nicht: In einem so sensiblen Feld wie dem, in dem wir uns hier bewegen; dort, wo es um die Grenzfragen von Tod und Leben geht, da reicht das Fehlverhalten Weniger, um das Vertrauen in ein ganzes System zum Einsturz zu bringen.

Und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich weiß gar nicht, ob die überhaupt wissen, welche Verantwortung sie auf sich geladen haben – die, die sich mit viel Ehrgeiz, aber wenig Verantwortung über die Kriterien hinweggesetzt haben, an denen die Glaubwürdigkeit des Gesamtsystems hängt.

Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass die Verantwortlichen mit aller Härte nicht nur des Strafrechts, sondern auch des Berufsrechts zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Wer manipuliert, wer den Mangel missbraucht, um sich selbst zum Richter über Leben und Tod zu erheben, wer die Grundfesten eines auf Verlässlichkeit und Vertrauen ruhenden Verteilungssystems antatstet, der kann nicht Arzt bleiben. Dem muss klar sein, dass er sei-ne Approbation auf’s Spiel setzt.

Aber die Aufarbeitung kann sich nicht auf die Sanktionierung individuellen Fehlverhaltens beschränken. Wir müssen noch einmal genau hingucken, an welchen Stellen wir die Fehleranfälligkeit im gesamten Prozess der Organspende weiter reduzieren können. 

Deshalb ist es erstens notwendig, dass wir das 6- Augen- Prinzip einführen, um die Möglichkeit von Manipulationen der Datenlisten in den Transplantationszentren zu erschweren, wenn nicht gar unmöglich zu machen. Und natürlich müssen wir zweitens die Kontrolldichte erhöhen und schlagkräftiger machen. Soweit nicht schon geschehen in den letzten Wochen, müssen alle 47 Transplantationszentren überprüft werden. Drittens muss es zukünftig häufiger Stichproben-Kontrollen ohne Anlass und ohne Ankündigung geben. Diese Maßnahmen sind zwingend erforderlich! Ich bin froh, dass vieles davon schnell auf den Weg gebracht worden ist. Das zeigt, dass die Transplantationsmedizin, die Bundesärztekammer und andere Beteiligte ihre Verantwortung ernst nehmen.

Ich persönlich glaube, es ist unvermeidbar, dass wir darüber hinaus die Zahl der Transplantationszentren in Deutschland überdenken. 49 Transplantationszentren „konkurrieren“ (so bitter das klingt) heute um Patienten und Organe – mit allen negativen Nebenwirkungen, die eine solche Konkurrenz hat. Es ist unvermeidlich, dass wir nicht nur zur Stärkung der Qualität, auch zur Vermeidung von Kontrolldefiziten stärker konzentrieren.

Aber es gibt noch weitere Fehlanreize, die wir beseitigen müssen: Die pekuniären vor allem, also die vergleichsweise hohe Bewertung von Transplantationen im bestehenden System. Konkret: Die hohen Boni auf Fallzahlsteigerungen, sprich der Anreiz, um jeden Preis die Zahl der Operationen zu steigern, müssen als erstes weg.

Aber dann gibt es noch solche Fehlanreize, die weniger mit Geld, als vor allem mit Prestige, Karriere und missverstandenem Ethos zu tun haben: Das Missverständnis etwa, dass nur der ein vollwertiger Chirurg ist, der auch transplantiert.

Der Transplanteur als „Heroe“ weit oberhalb des klinischen Alltags zwischen Blinddarm und Gastritis, der liegt vielleicht hinter uns. Aber ich befürchte: Geblieben ist das Verständnis, dass Chirurgie ohne Transplantation nur 2. Liga ist. Und das deshalb immer wieder Wege und Möglichkeiten erfunden werden, auch dort zu transplantieren, wo die Voraussetzungen jedenfalls nicht ideal sind. Dieses chirurgische Selbstverständnis muss überdacht werden – und das können nur die Ärzte selbst tun! 

Aber wenn ich heute, und dann hier bei Ihnen, um die Wiederherstellung von Vertrauen werbe, und darum, Verantwortung zu übernehmen, dann komme ich natürlich an Ihrer Organisation, der Deutschen Stiftung Organtransplantation, nicht vorbei. Die DSO hat sich in mehr als 25 Jahren verdient gemacht – auch durch den persönlichen Einsatz ihrer Mitarbeiter. Verdient gemacht darum, Menschen zu informieren und zu ermutigen, Sensibilität für das Thema zu wecken, die Prozesse in den Krankenhäusern zu verbessern, und die Bereitschaft zur Organspende zu fördern. Sie waren und sind gleichzeitig Gesprächspartner der Politik, der Sie mit Erfahrung und Expertise in allen medizinischen und ethischen Grenzfragen der Transplantationsmedizin zur Verfügung gestanden haben. Und gerade auf die von Ihnen, Herr Professor Kirste, habe ich in den letzten zwei Jahren häufig zurückgegriffen!

Ich finde es deshalb außerordentlich unglücklich, dass ausgerechnet jetzt, wo wir die DSO dringend brauchen, auch Ihre eigene Organisation zum Ge-genstand öffentlicher Diskussion geworden ist. In der jetzigen aufgeheizten Stimmung geht da zwar in der Öffentlichkeit manches durcheinander. Die Vorfälle in Göttingen und anderswo betreffen bekanntlich Fragen der Organverteilung, für die die DSO gar nicht zuständig ist. Trotzdem: Auch Vorwürfe, die etwa die Verwendung von Stiftungsgeldern betreffen, oder Probleme bei der inneren Organisation und Zusammenarbeit, dienen nicht gerade dazu, Vertrauen in unser Organspendesystem zu vergrößern.

Abgesehen davon, dass auch Sie alle miteinander sicher wieder zufriedener und erfolgreicher arbeiten können, wenn diese Probleme aufgearbeitet sind.
Und deswegen ist es jetzt an Ihnen: An den Leitungsgremien der DSO und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ebenfalls Verantwortung zu übernehmen – auch wenn dies vielleicht bedeutet, über Schatten zu springen und Gräben zu überwinden. Nutzen Sie den durch den Abschied von Prof. Kirste ohnehin anstehenden personellen Neuanfang, um die Handlungsfähigkeit der DSO wieder vollständig herzustellen!

Und ich setze darauf, dass sage ich auch in Richtung des Herrn Ministers, dass wir bei der Organisation des personellen Neuanfangs mit Sorgfalt vorgehen und auf Personen setzen, deren fachliche und persönliche Autorität nicht im Streit ist. Das würde keinem helfen.

Aber nicht nur der personelle Wechsel an der Spitze steht auf der Tagesordnung! Die Organisation der Stiftung, zum Beispiel die Zusammensetzung des Stiftungsrats, kann von Änderungen nicht ausgenommen bleiben. Die Stiftung muss mehr staatliche Vertreter im Stiftungsrat akzeptieren!

Im gleichen Atemzug wird von manchen an dieser Stelle gleich die komplette Umwandlung der DSO in eine staatliche Behörde gefordert. Es ist in der Tat ungewöhnlich, dass bei uns in Deutschland eine private Stiftung für die Organisation der Prozesse rund um die Organspende zuständig ist. Aber eine staatliche Behörde? Beamte, Amtsräte oder Oberamtsräte, die Angehörigengespräche führen? Würde das wirklich helfen? – Nein, ich glaube beim besten Willen nicht, dass dies auch nur eines unserer Probleme automatisch lösen würde. Vergessen wir nicht: Die Datenmanipulationen fanden nicht in einer zwielichtigen profitorientierten Privatklinik statt, sondern an staatlichen Universitätskliniken. Wir haben in unserem Gesundheitssystem gute Erfahrung mit der Selbstverwaltung gemacht.

Aber öffentliche Aufsicht, die brauchen wir sehr wohl. Auch mehr als in der Vergangenheit. Es ist deshalb richtig, dass der Stiftungsrat der DSO dem Gesundheitsausschuss regelmäßig berichten wird; dass staatliche Vertreter in die Aufsichtsgremien entsandt werden. Aber nicht nur das: Vorstellen kann ich mir auch einen Transplantationsbeauftragten bei uns im Parlament, ähnlich wie der Patienten-beauftragte oder in Personalunion mit diesem, der als Ansprechpartner für Betroffene fungieren könnte.

Das Wichtigste ist: Es darf bei der Erneuerung der DSO nicht allein um kosmetische Änderungen gehen. Die DSO muss sich lernfähig in ihrer eigenen Krise zeigen! Wenn ich das, gewissermaßen als Blick von außen, sagen darf: Was die DSO vor allem braucht, ist eine neue Kultur der Zusammenarbeit. Übereinander wurde in der Stiftung zuletzt viel geredet, miteinander weniger, hatte man den Eindruck. Das muss anders werden, wenn Misstrauen abgebaut und stattdessen neues Zutrauen gewonnen werden soll!
Ich kenne viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der DSO aus Gesprächen und Begegnungen: Transplantationsbeauftragte, geschäftsführende Ärzte, Mitglieder des Stiftungsrates und des Vorstandes. Eines zumindest eint Sie alle: Den Willen und den persönlichen Einsatz dafür, die Organspende in Deutschland voranzubringen. Das lässt mich hoffnungsvoll bleiben, dass es gemeinsam gelingt, diese schwierige Phase zu überwinden. Ich baue auf Sie!

Schließlich möchte ich einen Apell auch in meine eigene Richtung, an die Politik, an meine Kolleginnen und Kollegen im Bundestag und in den Ländern richten. Denn natürlich kommt es auch auf uns an, wenn wir Vertrauen in die Organspende wiederherstellen wollen. Ich finde es, um das offen zu sagen, unerträglich, wie zurzeit auf der Welle des Skandals alte Rechnungen zu begleichen versucht, verlorene Schlachten neu zu schlagen versucht werden – und das, wie wir im Fall der angeblichen Bevorzugung von Privatpatienten gesehen haben, sogar mit falschen Behauptungen. Auch so wird – in unverant-wortlicher Weise – Misstrauen geschürt!

Und weil Missverständnisse in dieser Debatte nicht nur häufig vorkommen, sondern manchmal – so scheint es – auch gewollt sind, nochmal zur Klarstellung: Natürlich müssen alle Verdachtsfälle rückstandslos aufgeklärt werden. Aber Verantwortung der Politik bedeutet nicht nur Aufklärung und Kontrolle. Verantwortung bedeutet auch den Verzicht auf vordergründiges Skandalgerede. Denn ganz augenscheinlich gibt es doch einige, die daran interessiert sind, die bekannt gewordenen Vorfälle zu missbrauchen, um ihre ganz anders begründete (und sehr viel länger währende) Kritik an der Organspende zu transportieren. Und offenkundig gibt es auch einige, die für die schnelle Schlagzeile, die öffentliche Aufmerksamkeit mal Fünfe gerade sein lassen – und zum Beispiel wider besseren Wissens falsche Zahlen der Transplantationen von Privatpatienten in Umlauf bringen. Das ist fahrlässig, weil es die Unsicherheit in der Bevölkerung weiter erhöht! Deshalb appelliere ich dringend an alle Beteiligten, zur sachlichen Diskussion der letzten beiden Jahre zurückkehren.

Verantwortung von Politik, darunter verstehe ich übrigens auch den Verzicht auf vordergründig einfache Lösungen. Lassen Sie uns genau hinschauen, was zu tun ist. Schnellschüsse bringen uns nicht weiter. Stattdessen brauchen wir tragfähige, durchdachte Lösungen und die Bereitschaft zu Nachjustierungen, wenn die Aufarbeitung das nötig macht.

Die Befürworter der Organspende im Bundestag, die schon die letzte Reform des Transplantationsgesetzes gemeinsam vorangebracht haben, haben sich verständigt, auch weiterhin gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Das hat einigermaßen funktioniert, und ist nicht ohne Ergebnisse geblieben. Diesen Weg sollten wir wegen der aufkeimenden Hektik eines Wahljahres nicht verlassen. Ich plädiere sehr dafür, dass wir an dieser Stelle beieinander bleiben. Die Organspende ist das falsche Feld für parteipolitische Spielchen oder ideologische Kämpfe.

Das möchte ich auch denjenigen sagen, die aus sehr prinzipiellen Gründen gegen die Transplantationsmedizin und die Organspende sind. Ich respektiere ausdrücklich, dass Menschen aus sehr unterschiedlichen Gründen persönliche, ethische oder religiöse Bedenken haben. Und ich respektiere das nicht nur – ich setze mich seit Jahren damit auseinander.
Aber all denen kann man doch sagen: Auch nach neuem Recht wird niemand zur Organspende gezwungen. Das ist die ausdrückliche Entscheidung des Gesetzgebers gegen die Widerspruchslöung; eine Entscheidung, die ja viele Ärzte und Patienten enttäuscht hat.

Es bleibt dabei: Jeder kann das frei für sich entscheiden. Ebenso wie niemand gezwungen ist, bei schwerer Krankheit Therapie durch Transplantation in Anspruch zu nehmen. Aber weil das so ist, weil diese Freiheit jedes Einzelnen besteht, darf wir diese Debatte nicht missbraucht werden, um Transplantation und Organspende in Misskredit zu bringen, auch gegenüber denjenigen, die sie im Prinzip befürworten.

Jeder muss wissen: Die Menschen auf der Warteliste haben keine Wahl. Sie sind auf das Mitgefühl und die Mitmenschlichkeit anderer angewiesen – und auf Menschen, die ihre Entscheidung über ihre Organe nach einem möglichen Hirntod daran ausrichten. Das alles wird’s nur dann geben, wenn Gründe für negative Schlagzeilen nicht mehr bestehen.

Am Schluss bleibt eins gewiss. Egal, welche Maßnahmen wir ergreifen, egal, wer in Zukunft wen wo und wie kontrolliert – der im TPG beschriebene Weg, um dem Mangel an Spenderorganen abzumildern, bleibt richtig. Ich halte die Entscheidungslösung für eine große Chance, um dieses Kernproblem – die Mangelsituation – an der Wurzel zu packen. Indem wir endlich die hohe generelle Zustimmung in tatsächliche Spendebereitschaft überführen. Indem wir eine öffentliche Diskussion über die Wichtigkeit von Organspende vom Ausnahmefall zum Alltag machen. Und indem wir die Angehörigengesprächen entlasten, weil uns hoffentlich von sehr viel mehr Menschen bekannt ist, wie sie sich zu Lebzeiten ent-schieden haben.

Diese Philosophie: „Die Entscheidung über die Organspende nach dem Tod gehört ins Leben“ ist und bleibt richtig – davon bin ich überzeugt! Die Herausforderungen an Aufklärung, an Information und Überzeugung sind gestiegen. Aber zwecklos sind sie nicht - Jetzt erst recht nicht!

Die Volksgesundheit mag vielleicht nicht an der Transplantationsmedizin hängen, aber doch das Leben von vielen Menschen. Sie ist einzige Rettung für Patienten, die sonst sterben müssten, und deshalb können wir nicht auf sie verzichten.

Meine Damen und Herren,

viele, die heute hier sind, haben in den letzten Jahren Zeit und Arbeitskraft investiert, damit wir in Deutschland den Abstand aufholen, den wir bei der Organspende gegenüber anderen Ländern zweifellos haben. Wir waren auf gutem Weg und fallen jetzt wieder zurück. Darüber lamentieren ist keine Ant-wort! Und Resignation ist keine Haltung!

Ich mache mir keine Illusionen: Wir werden nicht morgen aus dem Schlamassel raus sein; nicht alles was aufzuklären ist, wird im 24-Stunden-Rhythmus aufgeklärt sein. Es ist nicht mal ausgeschlossen, eher fast zu erwarten, dass noch neue Fragen hinzukommen. Fragen an die Politik, die Medizin und auch an die DSO.

Aber wenn bei mir Zweifel aufkommen, ob sich alle Anstrengungen lohnen, dann denke ich an die Kinder und ihre Eltern, die wir mit einer kleinen Stiftung nach Organtransplantationen seit 15 Jahren betreuen. Die Mediziner im Raum erleben das intensiver und häufiger als ich. Aber wer diese blassen, von schwerer Krankheit gezeichneten Kinder um ihr Handvoll Leben ringen sieht, wer die Todesangst in den Augen der Eltern erlebt – Eltern, die wissen, dass ihre Kinder nicht über den Berg sind, die wissen, dass sie sterben würden ohne ein lebensrettendes Organ –: Wer das alles kennt, der flüchtet nicht aus der Verantwortung. Der weiß um die Verantwortung, mit der wir eine notwendige Debatte, die weitergehen muss, zu führen haben. Ohne etwas unter den Teppich zu kehren, aber auch ohne das Fehlverhalten, das es gegeben hat, zu instrumentalisieren. Dafür steht zu viel auf dem Spiel!

Ich danke all denen, die diese Verantwortung kennen und  ernstnehmen; all denen, die sich in den letzten 25 Jahren für die Organspende eingesetzt haben: Den Krankenkassen, die bereits damit begonnen haben, die Entscheidungslösung umzusetzen. Die vielen ehrenamtlichen Initiativen, die für die Organspende werben. Mein Dank geht heute natürlich auch an Sie, an die DSO und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in der Zentrale und die vielen Regionalbeauftragten, die mir in den letzten Jahren ein wenig Einblick in ihre schwierige, aufwendige und belastende Arbeit gegeben haben.

Ich wünsche Ihnen die Kraft zu einer glaubwürdigen Erneuerung und damit die Chance, sich wieder auf Ihre Aufgaben zu konzentrieren. Lassen Sie sich nicht entmutigen. Wir brauchen Sie!

Herzlichen Dank.