Am vergangenen Samstag sprach der SPD-Fraktionschef in Bonn über die neue Rolle der NATO, den politischen Umgang mit Drohnen und warum Europa eine stärkere Außen- und Sicherheitspolitik braucht.
- es gilt das gesprochende Wort -
Lieber Wolfgang Hellmich,
lieber Herr Kirsch,
Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter,
Exzellenzen,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,
meine Damen und Herren,
die Petersberger Gespräche erleben heute ihre neunte Auflage. Sie haben sich in dem knappen Jahrzehnt ihres Bestehens zu einer festen Instanz im sicherheits- und verteidigungspolitischen Diskurs der Republik entwickelt. Was hier gesagt wird, wird draußen gehört. Und deshalb lassen Sie mich zu Beginn herzlich Danke sagen für die Gelegenheit heute hier zu Ihnen sprechen zu können.
Mit meinem Kollegen Wolfgang Hellmich erleben die erfahreneren Teilnehmer nach Ulrike Merten und Mike Groschek den dritten Gastgeber aus dem politischen Raum. So ist das in unserem Geschäft nun mal gelegentlich. Jedenfalls ist diese Veranstaltung auch bei Dir, lieber Wolfgang, in besten Händen. Und für Kontinuität sorgt ja in jedem Fall der Bundeswehrverband. Lieber Herr Kirsch, stellvertretend für alle, die im Bundeswehrverband und in der Molinari-Stiftung zum Gelingen dieser Veranstaltung beitragen, meinen und unser aller herzlichen Dank. Dieser Dank gilt ganz besonders auch Joachim Schaprian, der die Vorbereitung und Koordination gewohnt souverän übernommen hat.
Für Kontinuität, meine Damen und Herren, steht auch der Ort der Veranstaltung, die seit jeher hier oben auf dem Petersberg stattfindet – einem sehr symbolgeladenen Ort, der auf sehr unterschiedliche Weise für Deutschlands Rolle in der Welt im Wandel der Zeiten steht.
Hier oben wurde, mit dem Petersberger Abkommen, unterzeichnet von Konrad Adenauer und den Hohen Alliierten Kommissaren im Jahr 1949, der Grundstein gelegt für die Rückkehr – oder genauer gesagt: für die erstmalige Aufnahme - Deutschlands in den Kreis der westlichen Demokratien. Deutlich vor dem Beitritt zur NATO und deutlich vor Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
Dieses Jahr 1949 markiert – mindestens für den westlichen Teil Deutschlands – eine der tiefgreifendsten und grundlegendsten Kursveränderungen in der Geschichte der internationalen Politik unseres Landes. Was folgte, waren vier Jahrzehnte, die geprägt waren von der Zweiteilung der Welt und den zynischen Gewissheiten des Kalten Krieges. Gewissheiten, in deren Windschatten die Bonner Republik mit wirtschaftlichem Erfolg und weitgehender außen- und sicherheitspolitischer Enthaltsamkeit gedeihen konnte.
Wenn man von hier oben hinunter ins Rheintal und auf das alte Regierungsviertel schaut, dann wird die Beschaulichkeit und Übersichtlichkeit der Bonner Republik gewissermaßen noch einmal geographisch wie sinnlich erlebbar.
Damit ist es seit 1989 vorbei. Und auch für das, was dann folgte, ist der Petersberg Symbol. Vor reichlich zwölf Jahren haben sich hier oben auf Einladung der damaligen Bundesregierung Vertreter der Vereinten Nationen und Repräsentanten der afghanischen Gesellschaft getroffen, um einen gemeinsamen Plan für die Zukunft des gerade von den Taliban befreiten Landes zu beschließen.
Die damalige Konferenz und der daraus hervorgegangene sogenannte Bonn-Prozess stehen beispielhaft für die neue Verantwortung, die uns in Deutschland, in Europa und als internationale Gemeinschaft nach dem Ende des Kalten Krieges zugewachsen war und der wir uns gestellt haben.
Die Petersberger Konferenz steht aber auch für überschießende Hoffnungen und Erwartungen, für sicherheitspolitische Blütenträume, die nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes gedeihen konnten. Die Initiatoren der Konferenz, die Gastgeber und alle, die entschlossen waren, ihre Beiträge zum Bonn-Prozess zu leisten, haben – wie wir heute wissen - die Möglichkeiten und Fähigkeiten der internationalen Gemeinschaft zur Konfliktregulierung und Demokratisierung – aus heutiger Sicht - deutlich überschätzt.
Was folgte, ist allen bekannt: Der schwierigste, aufwändigste und opferreichste Auslandseinsatz der Bundeswehr in ihrer bisherigen Geschichte.
Dieser Einsatz geht nun mit Ablauf des kommenden Jahres zu Ende. Es beginnt eine neue Phase, die sich noch stärker als bisher auf den zivilen Wiederaufbau konzentriert, während die militärischen und polizeilichen Aufgaben in die Hände der Afghanen übergehen.
Und damit endet, nach meiner Überzeugung, auch ein ganzes Kapitel in der noch nicht abgeschlossenen Geschichte der Neuausrichtung der deutschen, europäischen und internationalen Außen- und Sicherheitspolitik nach Ende des Kalten Krieges.
Ein neues Kapitel liegt vor uns. Dafür spricht nicht nur das Ende des ISAF-Einsatzes. Auch andere wichtige Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen verändern sich und machen es notwendig, viele Dinge zu über-, und einige auch ganz neu zu denken.
Dass sich die globalen Gewichte verschieben, dass neue Mächte hinzutreten und ihren angemessenen Platz auf der Weltbühne reklamieren, das ist inzwischen schon eine Binsenweisheit. Die Reaktion der USA auf diese Entwicklung ist inzwischen ebenfalls schon hinreichend ausführlich diskutiert. Der „Pivot to Asia“, die Hinwendung der USA in Richtung des pazifischen Raums wurde lange nicht zur Kenntnis genommen, dann hochgradig nervös diskutiert – auch weil die Signale, die aus den USA dazu über den Atlantik gefunkt wurden, sehr akzentuiert waren – um es vorsichtig zu sagen. Vom „Pazifischen Jahrhundert“ war die Rede, von den USA als „pazifischer Macht“. Und von wachsender Ungeduld mit den alten Europäern, die nicht bereit seien, selbst genug für die Verteidigung ihrer Sicherheit zu tun. Das hat hierzulande zwischenzeitlich für einige Aufregung gesorgt. Die scheint sich aber gerade wieder zu legen. Auch weil sich die USA inzwischen auf allen diplomatischen Kanälen um ausgewogenere Töne bemühen, vermutlich weil sie selbst ein wenig überrascht waren von den Reaktionen in Europa.
Vor knapp zwei Wochen war ich für einige Tage in Washington und Boston. Was ich dort in vielen Gesprächen mit Vertretern aus Administration, Kongress und Think-Tanks feststellen konnte: Es findet eine Art Rebalancing in Richtung Atlantik statt. Aber natürlich bleibt es dabei, dass wir nicht mehr die ungeteilte Aufmerksamkeit genießen. Wir müssen uns nach meiner Überzeugung deshalb keine Sorgen machen. Aber es wird Konsequenzen für uns in Deutschland und Europa haben müssen.
Konsequenzen für unsere sicherheits- und verteidigungspolitische Aufstellung muss unweigerlich auch die Krise haben, die Europa seit reichlich zwei Jahren in ihrem Bann hält.
Noch um die Jahreswende waren sich viele Beobachter einig: Das Schlimmste ist überwunden. Mir war das offen gestanden schon damals nicht ganz geheuer. Und heute, zwei Monate später, steht die Krise wieder vor der Tür – wie uns durch das Down-rating Großbritanniens vor einigen Tagen und jetzt auch Italiens deutlich vor Augen geführt wurde.
Ob sie mit voller Wucht zurückkommt oder ob es gelingt, sie im Zaum zu halten, wird sich zeigen. Aber sicher ist so oder so: Die Folgen werden uns noch viele Jahre begleiten. Unsere finanzielle Handlungsfähigkeit wird über lange Zeit eingeschränkt bleiben.
Haushaltsdisziplin bleibt oberstes Gebot. Und das bedeutet: Es gibt keine Spielräume für steigende Wehretats in Europa. Und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit gilt dies wohl auch für unsere Partner auf der anderen Seite des Atlantiks.
Meine Damen und Herren,
zwölf, bald dreizehn Jahre Einsatzerfahrung in Afghanistan, eine Neujustierung der sicherheitspolitischen Prioritäten der USA, eine tiefe Finanzkrise, diesseits aber auch jenseits des Atlantiks: das sind die Ausgangsbedingungen, die am Anfang eines neuen Kapitels unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik - in Deutschland, in der EU und innerhalb der NATO - stehen.
Was folgt daraus nun? Was wird das Neue sein?
Wir werden nach Ende des ISAF-Einsatzes innerhalb der NATO unweigerlich eine Debatte über die „lessons learned“ und die künftige Rolle der NATO bekommen. Und wir sollten diese Debatte offensiv führen.
Die Evaluation des Afghanistan-Einsatzes ist dringend notwendig, um realistische Vorstellungen zu entwickeln, was die NATO leisten kann und was nicht. Wir werden an der Entwicklung gemeinsamer Fähigkeiten, an besserer Vernetzung arbeiten müssen, Stichwort smart defence.
Was wir in Bezug auf die NATO ganz sicher nicht brauchen sind effekthascherische Debattenbeiträge, die einmal mehr das „Ende der Nato“ beschwören. Dieses Gerede ist so alt wie das Bündnis selbst. Richtiger oder zielführender wird es auch mit den Jahren nicht.
Es bleibt dabei: Die wichtigste Aufgabe der NATO ist die Verteidigung des Bündnisgebiets. Und wer das für historisch überholt hält, der sei daran erinnert, dass wir gerade vor wenigen Wochen Patriot-Raketen an der türkischen Außengrenze des Bündnisses stationiert haben.
Die NATO bleibt auch weiterhin ein wichtiges Forum für den transatlantischen Dialog, übrigens auch ein Forum für den Dialog mit vielen Nicht-Mitgliedstaaten, inklusive Russlands.
Und nicht zuletzt bleibt die NATO, von Fall zu Fall, Dienstleister für die UN, wenn dies erbeten und sinnvoll ist.
Das ist und bleibt ein anspruchsvolles Aufgabenspektrum. Und deshalb brauchen wir auch etwas anderes ausdrücklich nicht: Die verzweifelte Suche nach neuen Betätigungsfeldern für das Bündnis.
Ich erinnere mich recht gut daran, wie das war, als vor ein paar Jahren das Thema Energieversorgung auf die Tagesordnung der internationalen Politik drängte.
Alle Uniformträger mögen mir verzeihen. Aber ich habe nicht in bester Erinnerung, wie sich manche Militärs auf das Thema gestürzt haben, um es für das Militärbündnis zu vereinnahmen. Ich habe einige Erfahrung in diesem Bereich und habe mit dafür gesorgt, dass Energieaußenpolitik zum Gegenstand unserer internationalen Politik geworden ist. Ein schwieriges Thema, von zentraler auch sicherheitspolitischer Bedeutung, ohne Zweifel.
Hochkomplexe Fragen, die sich damit verbinden: es geht um Lieferwege und Versorgungsleitungen, um Explorationsrechte und komplizierte Vertragsgeflechte, um wirtschaftliche Abhängigkeiten und so weiter. Es handelt sich um außen- und um wirtschaftspolitische Fragen ersten Ranges. Aber wie Öl- und Gasfelder, die – von Russland bis Nordafrika – weltweit verteilt und außerhalb unseres Einflussgebietes liegen, wie Pipelines und Liefertreue militärisch geschützt werden sollen, ist mir nie ganz klar geworden. Eher ist es so: Die Verteidigungspolitik hat die Relevanz des Themas erkannt, kann aber zur Lösung nicht wirklich beitragen – und die Außenpolitik erkennt die Relevanz des Themas erst gar nicht!
Und in gewisser Weise erleben wir gerade ein Deja vu – dieses Mal geht es um die Versorgung mit Rohstoffen. Auch dies zweifellos ein überaus wichtiges Thema, von vitalem Interesse für unsere wirtschaftliche Entwicklung, hochkomplex, politisch heikel.
Aber es ist eben kein Feld, bei dem es vor allem um militärische Fragen geht. Ich halte deshalb überhaupt nichts davon, ein so schwieriges Thema ohne jede Not noch weiter aufzuladen, indem man über mögliche militärische Handlungsoptionen herumtheoretisiert!
Dies sind nicht die Diskussionen, die wir als Konsequenz aus veränderten Rahmenbedingungen brauchen. Was wir dagegen brauchen und was wir auch bekommen werden, das sind Diskussionen darüber, mit welchen Mitteln und Methoden wir die künftigen Aufgaben der NATO angesichts begrenzter finanzieller und materieller Ressourcen bestreiten wollen.
Ein zentrales Stichwort an dieser Stelle lautet: UAVs, Drohnen.
Ich würde nicht davon reden, dass Drohnen als Waffen sich einer ethischen Bewertung entziehen. An der Stelle hat sich ja auch der Verteidigungsminister inzwischen selbst korrigiert. Und das war richtig und aller Ehren wert.
Aber anders als bei Landminen oder Streubomben würde ich in Bezug auf Drohnen mindestens auch nicht ausschließen, dass man zwischen einem Gebrauch diesseits und jenseits ethischer Grenzen entscheiden kann und muss.
Ich glaube, dass wir uns darüber verständigen müssen, ob und wenn ja in welchen Grenzen wir den Einsatz von bewaffneten Drohnen für verantwortbar halten. Das ist eine Diskussion, die wir vor weitreichenden Beschaffungsentscheidungen hierzulande führen sollten.
Und wir werden über die Definition ethischer Grenzen und völkerrechtlicher Implikationen auch noch schwierige Debatten mit unseren transatlantischen Partnern führen müssen. Die amerikanische Administration steht in dieser Frage auch innenpolitisch unter Druck. Auch der Kongress erwartet Antworten. Und die Debatte wird uns in der Allianz ganz sicher in sehr naher Zukunft erreichen.
Meine Damen und Herren,
natürlich bleiben die veränderten sicherheits- und verteidigungspolitischen Rahmenbedingungen auch für uns in Deutschland und in Europa ganz unmittelbar nicht ohne Konsequenzen.
Wir werden mit hoher Wahrscheinlichkeit Verschiebungen in der Arbeitsteilung innerhalb NATO erleben. Es wird mehr Verantwortung auf Europa zukommen, daran führt kaum ein Weg vorbei.
Da wir eine Erhöhung der Verteidigungsbudgets aus den genannten Gründen nicht erleben werden, gibt es nur eine vernünftige Alternative:
Wir müssen ernst machen mit der Europäisierung von Sicherheit und Verteidigung, wir müssen Synergien heben, mehr und enger kooperieren, Fähigkeiten bündeln.
Bei vielen von Ihnen hier im Saal, die sich seit vielen Jahren und Jahrzehnten mit Sicherheits- und Verteidigungspolitik befassen, wird diese Feststellung keine Begeisterungsstürme auslösen.
Allzu lange tragen wir diese Beschwörungsformel schon vor uns her. Ich war nicht ganz unbeteiligt, als wir 1999 beim EU-Gipfel in Köln wichtige Weichen für die gemeinsame Außen- , Sicherheits- und Verteidigungspolitik gestellt haben.
Die Fortschritte, die wir seither erzielt haben, sind überschaubar. Die Stichworte „pooling“ und „sharing“ sind Synonyme für die Mühen der Ebene, für verteidigungspolitische Integration im Schneckentempo, für Manchen gar für das Scheitern der GASP und der GSVP.
Aber stimmt das eigentlich wirklich? Ich plädiere dafür, etwas genauer hinzuschauen. Ich glaube, die Gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist in vielen Teilen besser als ihr Ruf. In anderen Teilen dagegen vielleicht sogar noch ein wenig schlechter.
Ich glaube, Sie ist besser als ihr Ruf, weil das Lamento über die Handlungsunfähigkeit und Verantwortungsscheu Europas sich längst überlebt hat und die komplexe Wirklichkeit nicht mehr wiederspiegelt.
Die EU hat in den vergangenen Jahren ein ums andere Mal Verantwortung und Initiative gezeigt, etwa bei der Pirateriebekämpfung am Horn von Afrika oder bei der Verhinderung von Waffenschmuggel vor der Küste Libanons. Das französische Vorgehen in Mali war kein gesamteuropäischer, aber ein wichtiger Beitrag, um ein Abdriften der Sahel-Region in islamistischen Terrorismus zu verhindern. Wir sind nach wie vor mit einigen tausend Soldaten auf dem Balkan präsent. Und wir tragen weiterhin unseren Teil der Verantwortung in Afghanistan.
Natürlich ist es wahr, dass die EU bei diesen Einsätzen ein ums andere Mal ihre Grenzen kennengelernt hat: Ausrüstungsmängel, Fähigkeitslücken, Schwächen bei der Interoperabilität. Das alles haben wir erlebt.
Aber das sind lösbare Probleme. Daran muss und kann man arbeiten. Und an der Stelle erlauben Sie mir eine Randbemerkung: Eine Europäische Armee ist zwar sicher kein Projekt für die nächsten fünf oder zehn Jahre. Wir werden nur in kleinen Schritten voran kommen. Und wir werden immer wieder an die Grenzen der Bereitschaft zur Souveränitätsabgabe stoßen. Aber wenn wir über die Entwicklung von gemeinsamen Fähigkeiten, über Synergien, über mehr „Jointness“ und Kooperation in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sprechen, dann ist das konzeptionelle Fernziel einer Europäischen Armee gewissermaßen die notwendige regulative Idee, die dem Ganzen Sinn und Richtung gibt. Und deshalb sollten wir an dieser Idee, diesem Ziel festhalten und es nicht leichtfertig preisgeben. Da bin ich ausdrücklich anderer Meinung als Herr Verteidigungsminister DeMaizière bei der Münchener Sicherheitskonferenz.
Meine Damen und Herren,
die Gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik leistet mehr als ihr gemeinhin zugetraut wird.
Es gibt auf dem Weg zu mehr sicherheits- und verteidigungspolitischer Integration noch vieles zu tun, was uns nicht vor unlösbare Probleme stellt. Wenn es mit der Luftbetankung der französischen Kampfjets durch deutsche Kampfflugzeuge nicht klappt, dann arbeiten wir eben dran – und es funktioniert!
Solche Defizite lassen sich ausräumen. So weit, so gut. Schwieriger wird es in einem anderen Feld, bei dem die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik wie angedeutet noch ein bisschen schlechter ist als ihr ohnehin lädierter Ruf.
Es fehlt, kurz gesagt, an strategischer Tiefe.
Wir verfügen seit zehn Jahren über eine Europäische Sicherheitsstrategie, die auf hohem Abstraktionsniveau gewissermaßen den ideologischen Überbau für alle Aktivitäten unter dem Etikett der GASP und der GSVP darstellt. Unterhalb dieses bewusst knapp gehaltenen Dachs gibt es strategische Debatten und deren Überführung in entsprechende regierungsamtliche Dokumente allenfalls auf nationaler Ebene.
Wir haben in Deutschland ein Weißbuch, die letzte Fassung stammt aus dem Jahre 2006. Unsere französischen Freunde finalisieren ihr Weißbuch in diesen Tagen. Unsere polnischen Freunde haben ihr Weißbuch zuletzt 2011 neu aufgelegt. Und es gibt quer durch Europa wohl kaum einen Mitgliedstaat, der sich keine nationale Sicherheitsstrategie leistet.
Das ist auch gar nicht zu kritisieren. Und es gibt viele gute Gründe dafür, warum der strategische Diskurs unterhalb eines bestimmten Abstraktionsniveaus sehr rasch wieder auf die nationale Ebene zurückfällt.
Frankreich wird wenig Neigung haben, über die Force de Frappe in einem europäischen Kontext zu diskutieren. Wir Deutsche fürchten um den Verlust unseres Parlamentsvorbehalts. In Polen mögen historische gewachsene Sorgen vor deutscher Dominanz eine Rolle spielen.
Dazu sind unsere Interessen, etwa in Bezug auf unsere südliche oder östliche Nachbarschaft, zum Teil sehr unterschiedlich nuanciert. Und bei der Frage: „Welches sind die Leitplanken, die Aufgaben, die Instrumente, die Anlässe für sicherheitspolitisches Handeln der Europäischen Union?“ geht es am Ende immer auch um die schwierige Frage: wer zahlt?
Das ist nur ein kleiner Ausschnitt all der vielen Gründe, warum manche meinen, man sollte sich den Versuch, mehr konkrete strategische Kohärenz zu erreichen, lieber erst gar nicht zumuten.
Allerdings halte ich entgegen: Wir werden die Mühen der Ebene bei Pooling, Sharing und Spezialisierung nicht verlassen – und zwar aus strukturellen Gründen nicht verlassen – wenn wir uns nicht darum bemühen, die Leitplanken, die Ziele und den Zweck der sicherheitspolitischen Integration Europas genauer zu bestimmen.
Wir werden ganz sicher noch einige Schritte vorankommen, wenn wir uns der Frage engerer Kooperation vor allem unter dem Gesichtspunkt des technisch und militärisch Machbaren nähern. Wir werden Felder identifizieren, wie den Lufttransport oder die Ausbildung, wo man schadlos Synergien nutzen und enger zusammenarbeiten kann.
Irgendwann wird dies aber an Grenzen stoßen. Die wirklichen Quantensprünge wird man nach meiner festen Überzeugung am Ende nur dann erreichen, wenn es gelingt, eine Grundverständigung über gemeinsame Interessen und gemeinsame Ziele, über die notwendigen Fähigkeiten und Instrumente zu erzielen. Je mehr Gemeinsamkeit in der politischen Analyse und Zielbestimmung, desto mehr Bereitschaft zur Arbeitsteilung, das ist meine Überzeugung.
Ich bin Realpolitiker genug, um mich nicht zur Forderung nach einem gemeinsamen Weißbuch aller 27 EU-Mitglieder zu versteigen.
Aber, da wir hier und heute ja eine Art informelles Format des Weimarer Dreiecks versammelt haben: Vielleicht wäre es der Mühe wert, wenn die Planungsstäbe aus den Außen- und Verteidigungsministerien Frankreichs, Polens und Deutschlands einmal die Köpfe zusammenstecken und den ernsthaften Versuch unternehmen würden, ein gemeinsames Strategiedokument zu erarbeiten. Anknüpfungspunkte gibt es, inhaltlich, auch personell, denn natürlich pflegen wir solche Kontakte schon seit langem und seit langem gibt es wechselseitige Konsultationen und Gespräche.
Ein gemeinsamer Anlauf für eine „Weimarer Sicherheitsstrategie“ wäre sicherlich ein ambitioniertes, ehrgeiziges Projekt. Eines, das auch scheitern kann. Aber wenn es gelingt, dann könnte das zum Ausgangspunkt für eine neue Stufe der sicherheits- und verteidigungspolitischen Kooperation in der EU insgesamt werden. Und die müssen wir über kurz oder lang erreichen. Sonst droht die Kluft zwischen Einsicht und Wirklichkeit irgendwann das Projekt der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik irreparabel zu beschädigen.
Zum Schluß: Wir Deutschen neigen bekanntlich etwas zu Schwermut und Lamento. Und ich gebe zu: Wir haben schon optimistischer in die Zukunft geschaut, als in Zeiten von europäischer Krise und der wachsenden Zahl weltweiter Krisen und Konflikte von Subsahara bis Syrien.
Aber wir Deutschen haben am wenigsten Grund zu hadern mit einer Unübersichtlichkeit der Welt, die Konsequenz der Auflösung des Ost-West-Konfliktes ist und uns die ersehnte nationale Einheit gebracht hat. Gerade wir müssen unsere Verantwortung akzeptieren, jetzt an einer neuen Ordnung für die Welt mitzuarbeiten, nachdem die alte Ordnung zu unserem Glück untergegangen ist.
Stellen wir uns dieser Aufgabe mit Zuversicht, Beharrlichkeit und politischem Willen!