Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal muss man Handelnde an ihre Worte erinnern, die sie vor kurzer Zeit ausgesprochen haben. Präsident Putin hat am 12. Dezember 2013 in seiner Jahresbotschaft an die Föderale Versammlung der Russischen Föderation unter anderem gesagt:
„Wir mischen uns nicht in fremde Interessen ein. Wir zwingen uns niemandem auf. Wir sagen niemandem, was er tun oder was er lassen soll. Aber wir werden bestrebt sein, eine Führungsrolle innezuhaben, indem wir das Völkerrecht schützen und uns für die Achtung der nationalen Souveränität, Selbstständigkeit und Eigenart der Völker einsetzen. Für einen Staat wie Russland ist es absolut objektiv und nachvollziehbar - bedenkt man seine große Geschichte und Kultur sowie seine jahrhundertelange Erfahrung -, nicht in sogenannter Toleranz, geschlechtslos und unfruchtbar, sondern in dem organischen Miteinander unterschiedlicher Völker in einem ungeteilten Staat zu leben. Wie die Situation um Syrien und nunmehr um den Iran zeigt, kann und muss jedes internationale Problem ausschließlich mit politischen Mitteln gelöst werden, ohne den Einsatz von Gewalt, die perspektivlos ist und in den meisten Ländern der Welt auf Ablehnung stößt. Lassen Sie es mich bitte noch einmal unterstreichen: Russland ist bereit, mit allen Partnern im Interesse einer gemeinsamen, gleichen und unteilbaren Sicherheit zusammenzuarbeiten. Wir zwingen niemandem etwas auf.“
Ich denke, daran muss der Präsident heute erinnert werden, wenn ich sehe, dass auf der Krim Soldaten in Uniform ohne Nationalitätsabzeichen eingesetzt werden. Wir wissen, nachdem die OSZE ihren Bericht vorgelegt hat, dass es sich dabei ? das haben wir schon vermutet ? um russische Soldaten handelt. Damit werden die Worte des russischen Präsidenten von Dezember 2013 unglaubwürdig.
Es ist auch zu kritisieren, dass die Entwaffnung der illegalen Waffenträger in der Ukraine und insbesondere in Kiew gemäß dem Abkommen vom 21. Februar nicht umgesetzt worden ist. Wenn diese sogenannten maskierten Selbstverteidigungskräfte in Uniform ukrainische Kasernen umstellen, ukrainische Soldaten und Polizeikräfte bedrohen und von diesen erwarten, ihre Waffen abzugeben, dann wird der letzte Rest des in der Ukraine existierenden staatlichen Gewaltmonopols zunichte gemacht. Auch das führt die Worte von Präsident Putin ad absurdum.
Vor diesem Hintergrund lautet die zentrale Botschaft: Herr Putin, tun Sie das, was Sie im Dezember gesagt haben! Ermöglichen Sie dem ukrainischen Volk ein organisches Miteinander unterschiedlicher Völker in einem ungeteilten Land!
Die Umsetzung dessen, was im Dezember gesagt wurde, muss nun eingefordert werden. Herr Putin, wenn Sie angeblich bereit sind, mit allen Partnern zu reden, dann fordere ich Sie auf: Stimmen Sie einer OSZE-Vermittlung zu! Stimmen Sie der Einrichtung einer Kontaktgruppe zu! Setzen Sie sich an einen Tisch, und sprechen Sie miteinander! Seien Sie bereit, sich auf Vermittlungslösungen einzulassen! Hören Sie auf, mit Gewalt zu drohen oder Gewalt gar anzuwenden!
In der gleichen Rede vom Dezember wird gesagt, man müsse Russland wirtschaftlich neu aufstellen und es modernisieren. Nun wird all das infrage gestellt, was eingeleitet werden soll; denn der Investitionsstandort Russland wird aufgrund der nun vorgesehenen Maßnahmen unattraktiv. Kapital wird zurückgehalten oder fließt ins Ausland. Der russische Präsident handelt hier gegen die Interessen seines eigenen Landes und widerspricht damit seinen eigenen Worten von Dezember 2013.
Deswegen gilt es, im Kern daran zu arbeiten und dafür zu sorgen - das war die Philosophie von Willy Brandt und Egon Bahr -, dass die Stärke des Rechts gilt und nicht das Recht des Stärkeren, dass das, was an Völkerrecht verabredet worden ist, auch eingehalten und das, was am 21. Februar aufgeschrieben worden ist, ebenfalls eingehalten wird. Das heißt für die Ukraine, möglichst bald durch Neuwahlen zu einer inklusiven Regierung zu kommen, die den wirklichen Willen des Volkes widerspiegelt. Dann löst sich vielleicht das Problem mit den Nationalisten und Faschisten ganz von alleine.
Es ist auch notwendig, dass die Rechte neutraler Minderheiten geachtet werden. Minderheiten müssen das Recht erhalten, ihre Sprache zu sprechen. Militanter Antisemitismus und Rechtsextremismus dürfen in einer Ukraine, die ihren Blick nach Europa richtet, keinen Platz haben.
Die tragischen Ereignisse vom Februar dieses Jahres mit rund 100 Toten und mit Hunderten von Verletzten sind aufzuarbeiten, und die Verantwortlichen sind zur Rechenschaft zu ziehen.
Für Russland gilt, dass wir erwarten, dass die Integrität der Ukraine respektiert und das Völkerrecht und die bestehenden Abkommen geachtet werden. Die zusätzlichen Truppen auf der Krim sind abzuziehen. Es geht der Appell an die russische Regierung, im direkten Gespräch mit der aus dem Parlament heraus legitimierten Regierung in Kiew zusammenzukommen und zu verhandeln. Präsident und Regierung in Moskau sind nun aufgerufen, der Bildung einer Kontaktgruppe, einer Fact-Finding-Commission und einer OSZE-Beobachtergruppe zuzustimmen. Auch angesichts der angespannten Lage, die wir zurzeit haben, gilt der Rat von Willy Brandt: „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.“