Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Rede heute zu halten, fällt nicht leicht. Einerseits ist das Thema dieser Debatte eines von Zwischentönen, von Grau, andererseits ist es schwer, diese Debatte von dem schrecklichen Verbrechen in Istanbul vor zwei Tagen nicht einfärben zu lassen – in Schwarz. Es ist schwer, nicht nach scheinbar einfachen Lösungen für komplexe Probleme zu suchen. Aber genau für diese Reflexion sind wir hier. Es ist unsere Aufgabe, eben nicht in Schwarz-und-Weiß-Schablonen zu denken.
Ähnlich nimmt unser Land seine außenpolitische Verantwortung wahr. Wir bemühen uns, für andere Staaten ein guter Gesprächs-, Handels- und Bündnispartner zu sein, etwa für die Türkei. Neben einer langen bilateralen Partnerschaft, ja Freundschaft verbindet uns die Mitgliedschaft in der NATO. Im Rahmen dieses Verteidigungsbündnisses kooperieren Berlin und Ankara selbstverständlich auch militärisch miteinander. Wir stehen an der Seite unseres Partnerlandes, wenn dieses angegriffen wird. Das war in der Vergangenheit so, das ist auch heute so, und das sollte nach Möglichkeit auch in der Zukunft so sein. Wir müssen gerade beim Kampf gegen den islamistischen Terrorismus noch stärker mit unserem Partner kooperieren. Dies muss auch ein Resultat des feigen Anschlags von Istanbul sein: noch stärker zusammenzustehen.
Und jetzt kommen die Grautöne: Die Türkei ist kein perfekter Partner – wenn es so etwas überhaupt gibt. In jüngster Zeit hat sich Ankara zunehmend von unserem Wertekanon wegbewegt. Innenpolitisch werden Rechtsstaatlichkeit und Demokratie immer weiter beschnitten. Der Kampf gegen den IS wird missbraucht, um den Krieg gegen die Kurden weiter aufflammen zu lassen. Grauenvolle Nachrichten dazu erreichen uns jeden Tag. Gleichzeitig konnte man den bisherigen nichtmilitärischen Einsatz der Türkei gegen den IS, etwa die Kontrolle des Grenzverkehrs oder die Unterbindung des Erdölschmuggels, bestenfalls als halbherzig bezeichnen. Das scheint jetzt zunehmend zum Problem für unseren Partner zu werden. Gerade in dieser Situation wäre es eine verantwortungslose und falsche Antwort, die Zusammenarbeit mit der Türkei einzustellen. Lassen Sie uns – gerade als Parlamentarier – lieber unsere Gesprächskanäle nutzen, um Veränderungen und Umdenken herbeizuführen, Kolleginnen und Kollegen!
Auf der anderen Seite sehen wir Saudi-Arabien. Das Land steht am Scheideweg. Lange Zeit hat das innenpolitische Rezept „vermeintlicher Wohlstand gegen Unterwerfung“ funktioniert. Dies scheint sich geändert zu haben. Die Devisenreserven des Landes nehmen stark ab, die Aussichten für eine gute wirtschaftliche Zukunft nicht gerade zu. Ökonomische Reformen sind bereits in Arbeit, aber leider gibt es noch keine Anzeichen eines begleitenden gesellschaftlichen Reformprozesses. Im Gegenteil: Seit einer Gesetzesverschärfung im Jahr 2014 kann jeder Widerspruch zur Politik der Herrscherfamilie als Terrorismus verfolgt werden. Im ersten Jahr der Regentschaft des neuen Königs Salman sind mehr Menschen hingerichtet worden als in den 20 Jahren zuvor. Bei den Frauenrechten hat sich nichts zum Positiven hin verändert. Auf diese Entwicklungen müssen wir Einfluss nehmen, Kolleginnen und Kollegen. Auch hier kommen wir erneut zu Grau. Wir brauchen Saudi-Arabien, um die Konflikte in der Region zu lösen. Nicht zuletzt bei den Wiener Gesprächen zur Beendigung des Syrien-Konflikts werden Vertreter Riads mit am Tisch sitzen. Aber gerade deshalb dürfen wir nicht wegsehen. Wir müssen deutlich über die bestehenden Gesprächskanäle zum Ausdruck bringen, dass die Entwicklung in diesem Land nicht dazu führen wird, dass wir teilnahmslos an der Seite stehen und wegschauen, wenn Menschen geköpft und Menschenrechte missachtet werden. Gerade deshalb ist es gut, dass unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier die offenen Gesprächskanäle nutzt, um dies auch an Saudi-Arabien weiterzugeben.
Ich sage es Ihnen noch einmal deutlich: Wegschauen, Gespräche beenden und sich wegdrehen – das wäre genau das falsche Rezept. Kolleginnen und Kollegen, der Scheideweg Saudi-Arabiens sollte für uns auch als Chance verstanden werden, unseren begrenzten Einfluss zu nutzen, um positive Veränderungen zu befördern. Erste Schritte in diese Richtung ist Bundeswirtschaftsminister Gabriel im vergangenen Jahr bereits gegangen. Rüstungskooperationen wurden stark eingeschränkt. Und das ist auch gut so. Diese Schritte waren gerechtfertigt und werden eine restriktive Linie zum Standard künftiger militärischer Kooperation machen. Auch hier, Kolleginnen und Kollegen, dürfen wir das offene Wort nicht scheuen. Deshalb noch ein weiteres offenes Wort.
Lassen Sie uns auch bei der Massenvernichtungswaffe Nummer eins über weitere Schritte diskutieren, den Kleinwaffen. Die Bundesregierung hat hierzu erste Änderungen eingebracht. Ich meine aber, es ist an der Zeit, einmal grundsätzlich über dieses Thema nachzudenken und den Export von Kleinwaffen aus Deutschland noch deutlicher zu begrenzen – gerade in diese Region. Zwischen Partnern muss es möglich sein, kritische Punkte deutlich anzusprechen. Aber lassen Sie uns nicht in ein Schwarz-Weiß-Denken verfallen. Erinnern Sie sich daran, dass ich von Grautönen gesprochen habe. Jedwede Kooperation auf militärischer Ebene abzubrechen, wird unseren Einfluss weder in Riad noch in Ankara stärken. Nutzen wir Kooperation dort, wo wir dadurch Einfluss gewinnen und Positives bewirken können. Aber lassen Sie uns Kooperationen überdenken, wenn dies nicht mehr der Fall ist. Die Welt ist nun einmal nicht einfach nur Schwarz und Weiß. Eine verantwortungsbewusste Politik sollte eshalb weder in Schwarz und Weiß denken, noch sollte sie nach diesem zu einfachen Prinzip handeln. Man kann es sich nämlich auch zu einfach machen. Verfolgen wir besser auch weiterhin eine Politik des klugen Abwägens und der wohlüberlegten Entscheidungen.
Vielen Dank.