Streit um das Betreuungsgeld, Bildungsgipfel statt notwendiger Entscheidungen – die Bilanz von Schwarz-Gelb bezeichnet der SPD-Fraktionschef als „katastrophal“. Er fordert die Abschaffung des Kooperationsverbotes.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Das ist ja eigenartig: Kaum ist die Bundeswehrdebatte vorbei, verlassen die Kabinettsmitglieder geradezu fluchtartig die Regierungsbank, keine Bundeskanzlerin mehr da, keine Arbeitsministerin mehr da, die Plätze verwaist.

Aber genau das, meine Damen und Herren, ist eben symptomatisch: Entweder haben die Beteiligten immer noch nicht begriffen, dass es beim Thema Bildung um die zentrale Schlüsselfrage unserer gesamten Zukunft geht, oder es ist die magere Bilanz von vier schwarz-gelben Regierungsjahren, die Ihnen so peinlich ist, dass Sie sich nicht hertrauen.

Diese Regierung hat wahrlich keinen Grund, stolz zu sein. Die bildungspolitische Bilanz dieser Regierung ist nicht nur ernüchternd, sie ist aus meiner Sicht sogar katastrophal: Statt mit vereinten Kräften den Kitaausbau voranzutreiben, haben Sie sich lieber im Hickhack um das Betreuungsgeld zerlegt.

Statt Kindern aus benachteiligten Familien gleiche Chancen zu eröffnen, haben Sie mit Ihren Bildungsgutscheinen - ich sage: erwartungsgemäß - einen Flop gelandet. Statt gemeinsam mit den Ländern zu arbeiten, beharken Sie sich gegenseitig. Ich sage Ihnen: Das Kooperationsverbot ist ein Fehler. In der Praxis taugt es nichts. Die Eltern, die Menschen verstehen es nicht. Schwarz-Gelb schafft es nicht einmal, im eigenen Laden eine gemeinsame Linie zu finden.

Ich sage für uns: Dieses Kooperationsverbot ist ein in Verfassungsrecht gegossener Irrtum, der beseitigt werden muss. Wir sind dazu bereit - seien Sie es auch!

Vor Jahren - Sie werden sich erinnern - fand Ihre Bundeskanzlerin es schick, von der „Bildungsrepublik Deutschland“ zu reden. Bildungsrepublik wird man aber nicht durch bloßes Beschwören. Der Begriff klingt schön, klingt anspruchsvoll; aber es braucht Taten und Entscheidungen, die den Weg dahin ebnen. Das Einzige, was Sie geebnet haben, ist der Weg in die Einbildungsrepublik: Inszenierung statt echter Politik, Simulation statt Weichenstellungen.

Aber Sie wissen es, Sie ahnen es: Das reicht nicht für unser Land. Die Menschen draußen haben es in den letzten vier Jahren immer wieder erleben müssen: Anstatt Politik zu machen, anstatt Entscheidungen zu treffen, anstatt hier in diesem Hause Gesetzentwürfe vorzulegen, tummelt sich die Regierung auf Bildungsgipfeln, Zukunftsgipfeln oder - vor wenigen Tagen erst - auf sogenannten Demografiegipfeln. Sie erstürmen einen ganzen Himalaya von Gipfeln; nur, erreicht haben Sie bisher nichts.

„Über allen Gipfeln ist Ruh“ - wenn Sie Goethe schätzen; aber ich kann Ihnen versichern: Als Goethe das geschrieben hat, hat er nicht an Politik und erst recht nicht an Ihre Regierung gedacht. Er hätte gesagt: „Über allen Gipfeln ist Ruh; aber aus Ruhe und Stillstand entsteht eben keine Zukunft“, und damit hätte er recht gehabt, meine Damen und Herren.

Sie veranstalten einen Demografiegipfel, machen aber nichts gegen den Fachkräftemangel. Sie veranstalten einen Frauengipfel, machen aber nicht wirklich etwas für Gleichstellung. Sie veranstalten Energiegipfel, machen aber keine Energiewende. Sie veranstalten IT-Gipfel, schaffen es aber nicht, den Breitbandausbau voranzutreiben. In 45 Monaten schwarz-gelber Regierung haben Sie 45 Gipfel veranstaltet. Das ist simulierte Politik in Serie.

Deshalb sage ich Ihnen: Kommen Sie hierher in den Bundestag! Legen Sie Konzepte vor für die Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für gleiche Chancen von Frauen - mit einer ehrlichen Frauenquote! Und machen Sie den Weg frei für den Ausbau von Ganztagsschulen, wie wir das heute vorschlagen!

So geht Politik, die etwas will. Aber ich befürchte, Sie wollen nichts außer wiedergewählt zu werden. Mit dieser Bilanz - das kann ich Ihnen versprechen - wird daraus nichts, und das ist gut für unser Land.

Wir haben in Deutschland alle Chancen, wir könnten die erreichte Stärke nutzen und jetzt richtig loslegen; aber Sie legen unser Land lahm. Deshalb ist die Bundestagswahl in 18 Wochen eine wirklich wichtige Wahl. Entweder wir packen es und bereiten Deutschland auf die Zukunft vor, oder unser Land fällt wieder zurück. Wenn wir über Zukunft reden, dann gibt es aus meiner Sicht nur drei wichtige Themen in diesem Land, nämlich erstens Bildung, zweitens Bildung und drittens Bildung, weil wir wissen und wissen sollten: Bildung ist der Schlüssel für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, für die Zukunft unserer Kinder und   das sage ich Ihnen deutlich   auch für unsere wirtschaftliche Stärke. Das erfahren Sie doch auch von Ihren Leuten.

Schon heute drückt der Fachkräftemangel auf Innovation und Wachstum. Wir können es uns überhaupt nicht leisten, auch nur ein einziges Kind zurückzulassen. Jedes Jahr verlassen 60 000 Jugendliche ohne einen Abschluss die Schulen, und nach den Arbeitslosenstatistiken sind über 1 Million Menschen ohne die Chance auf geregelte Arbeit. Das sind die, um die wir uns zu kümmern haben. Für sie müssen wir uns anstrengen. Deshalb brauchen wir mehr und gute Ganztagsschulen, wie wir sie heute in unserem Antrag fordern.

Keiner bleibt zurück, jeder kriegt eine Chance: Das ist mehr als nur das Schließen von Lücken bei den Facharbeitskräften. Wir müssen am Ende die Antwort auf die Frage geben, ob unsere Gesellschaft lebenswert bleibt. Nicht der Geldbeutel, das Stadtviertel oder die Herkunft dürfen darüber entscheiden, welchen Schulabschluss ein Kind macht, sondern es muss wieder das gelten, womit wir, unsere Generation, groß geworden sind: Aufstieg durch Bildung.

Die Frage ist aber doch: Was ist eigentlich von diesem großen Versprechen an die Gesellschaft - Aufstieg durch Bildung - übrig geblieben? Wenn man genau hinschaut, dann sieht man doch: Ob man heute nach oben kommt, hängt mehr denn je davon ab, ob man sich das leisten kann.

1,5 Milliarden Euro geben heute Eltern jedes Jahr für den privaten Nachhilfeunterricht aus. Das ist nichts anderes als die teilweise Privatisierung von Bildungschancen. Kleiner Geldbeutel, kleine Chancen: Diese Rechnung darf nicht gelten. Dafür, dass sie nicht gilt, gibt es die Politik.

Gerade Kinder aus Zuwandererfamilien kommen heute nicht oder zu wenig nach oben. Ich finde schon, dass Sie sich hier besonders ignorant zeigen   ich nenne Ihnen ein Beispiel, das ich Ihnen nicht ersparen kann  , weil Sie mit dieser unsinnigen Betreuungsprämie auch noch einen Anreiz geben, dass gerade die Kinder zu Hause bleiben, die dringend auf Förderung angewiesen wären. Sie vernichten die Chance, die diese Kinder brauchen. Sie alle haben Einzelbeispiele im Kopf und sind ihnen begegnet.

Ich habe erst vor wenigen Monaten ein Mädchen türkischer Abstammung getroffen, dem nach dem Hauptschulabschluss Gott sei Dank ein Lehrer gesagt hat: Hör jetzt nicht auf, mach deinen Realschulabschluss. Sie hat ihren Realschulabschluss gemacht, ist weiter gefördert worden und hat schließlich ihr Abitur gefeiert. Inzwischen hat sie das Studium schon hinter sich. Individuelle Förderung, Ermutigung in der Bildungspolitik - darum geht es!

Ich will, dass solche Beispiele keine Einzelbeispiele bleiben. Das wird uns aber nur mit mehr Ganztagsschulen gelingen.

Wir haben hier zu unseren eigenen Regierungszeiten einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Das war nicht ganz einfach. Ich glaube aber, das erste Ganztagsschulprogramm, das es damals gegeben hat, war ein Durchbruch. Wenn der Anfang auch gemacht ist, so heißt das aber natürlich noch nicht, dass das Ziel erreicht ist. Die Qualität in den Ganztagsschulen, die es gibt, ist nicht überall so, wie wir uns das wünschen. Das ist der Grund dafür, weshalb wir heute vor Sie treten und sagen: Wir brauchen ein Ganztagsschulprogramm 2.0. Das soll den Ländern zu einem neuen Schub beim Ausbau verhelfen und dabei helfen, einen starken Akzent auf Betreuungs- und Bildungsqualität zu setzen.

Ja, das kostet am Ende Geld. Unsere Programme kosten 8 Milliarden Euro über mehrere Jahre. Das geht eben nur über eine gemeinsame Anstrengung. Das funktioniert nicht mit einem Kooperationsverbot und Steuersenkungen und darf nicht über die Erhöhung der Neuverschuldung finanziert werden. Deshalb sagen wir vorneweg: Für den, der Investitionen in Bildung wirklich ernsthaft will, darf auch ein höherer Spitzensteuersatz kein Tabu sein. Das sagen wir ehrlich vor den Wahlen.

Ich bin mir sicher, die Menschen draußen im Land sind da ein bisschen weiter als manche hier in Berlin. Die wissen oder ahnen zumindest, dass es Bildung zum Nulltarif nicht gibt, dass sich Investitionen in Bildung aber am Ende auszahlen.

Ja, Bildung ist teuer, das stimmt. Aber es gibt eine Sache   hat John F. Kennedy gesagt, die ist noch teurer als Bildung, und das ist: keine Bildung. Damit hat er immer noch recht, meine Damen und Herren.

Wir bieten Ihnen deshalb an: Beschließen Sie mit uns ein neues Ganztagsschulprogramm. Lassen Sie uns jetzt einen kräftigen Schub geben, damit 2020 jedes Kind in Deutschland, egal wo es wohnt, vor allem egal woher es stammt, egal wie arm oder reich die Eltern sind, einen Ganztagsschulplatz finden kann. Wir stehen bereit, wir stehen auch jetzt vor den Wahlen noch bereit, dafür die Weichen zu stellen. Sie können davon ausgehen, dass die Mehrheit dafür im Bundesrat steht. Wir haben keine Zeit zu vergeuden, und wir sind bereit, dafür jeden Sitzungstag zu nutzen.

Wenn Sie dafür den Weg frei machen, dann können Sie sich in Zukunft Bildungsgipfel und Demografiegipfel sparen, dann können wir endlich wieder anfangen, Bildungspolitik in diesem Land zu machen.

Herzlichen Dank.