In seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag wirbt Niels Annen, Außenpolitischer Sprecher der SPD- Bundestagsfraktion, um Zustimmung für den Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Maritimen Sicherheitsoperation SEA GUARDIAN im Mittelmeer. Die Beteiligung an der Mission sei auch ein Zeichen der Solidarität gegnüber den südlichen Nachbarn und Bündnispartnern Deutschlands.

Niels Annen (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
15 Jahre – das ist eine ganz schön lange Zeit – nach den schrecklichen Anschlägen vom 11. September 2001 wird nun die Operation Active Endeavour mit ihrer Nachfolgeoperation endlich – ich sage das wirklich aus vollem Herzen: endlich –,
was die Einsatzrealitäten angeht, auch in zeitlicher Hinsicht auf ein angemessenes Maß zurückgeführt. Wir stellen diese Operation auf eine andere rechtliche Basis. Ich glaube, dass das eine wichtige Botschaft ist.

Wenn man sich anschaut, was Ihnen vorliegt, worüber das Haus jetzt diskutieren wird, dann sieht man, dass bei der neuen Operation Sea Guardian der Bezug auf Artikel 5 des NATO-Vertrags wegfällt. Es fällt aber auch der Bezug auf Artikel 51 der VN-Charta, Selbstverteidigungsrecht, weg. Frau Dağdelen, es geht gar nicht in erster Linie um den Libyen-Krieg – es ist ja immer etwas schwierig, diesen Gedankengängen in Gänze zu folgen –, sondern diese Operation war sozusagen ein Teil des sogenannten Kampfes gegen den Terrorismus.

Wir haben immer gesagt, dass man sich nicht unendlich auf ein solches Mandat beziehen kann. Das ist eine schwierige Diskussion. Wir haben sie als sozialdemokratische Fraktion geführt, unseren Koalitionspartner davon überzeugt und unsere Regierung sozusagen auf die Reise geschickt. Ich freue mich deswegen – ich will am heutigen Abend die Gelegenheit nutzen, das zu sagen – über den Beschluss des NATO-Gipfels, die Mission Active Endeavour durch diese neue maritime Sicherheitsoperation zu ersetzen. Es war ein längst überfälliger Schritt. Ich glaube auch, dass diese Entscheidung eine politische Botschaft beinhaltet. Denn die Entkoppelung von Artikel 5 ist ja am Ende nicht nur eine technische Frage, sondern sie macht auch klar – das habe ich eben gesagt –, dass man sich eben nicht unendlich auf eine solche Legitimation beziehen kann. Das bedeutet auch, dass wir ein bisschen Neuland betreten haben.

Es war damals richtig von Bundeskanzler Gerhard Schröder, den amerikanischen Präsidenten nach diesem Angriff auf Amerika nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten zu unterstützen, um zu zeigen, dass wir an der Seite unseres wichtigsten Verbündeten stehen. Die Reaktion der europäischen NATO-Mitglieder war, zu sagen: Wir rufen den Bündnisfall aus. – Wenn ich das einmal in Erinnerung rufen darf: Nicht jeder in Washington fand das damals übrigens richtig. Denn Gerhard Schröder hatte damit auch die Idee verbunden: Wenn wir diese Solidarität durch einen Beschluss unterstreichen, dann erwarten wir natürlich auch, dass es eine Art Konsultation gibt, dass man Einfluss nehmen kann. – Denn wir hatten nicht viel Vertrauen in diesen damaligen amerikanischen Präsidenten. Ich sage heute: Wir hatten es zu Recht nicht.
Aber die Entscheidung hat das Bündnis gestärkt. Sie war richtig, aber sie kann nicht noch nach 15 Jahren gelten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir beenden jetzt ein Kapitel und schlagen ein neues auf. Ich weiß, es hat sehr lange gedauert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das hier sicherlich auch noch zum Thema gemacht werden wird – deswegen sage ich es jetzt schon einmal, Kollege Nouripour –: Vielleicht hat es sogar zu lange gedauert; aber es ist auch ein komplizierter Weg gewesen. Ich will dem Bundesaußenminister ausdrücklich danken. Ich will der Verteidigungsministerin und auch unserer Vertretung bei der NATO danken. Denn es war nicht ganz einfach. Wir hier im Deutschen Bundestag führen darüber eine Debatte. Aber unsere Verbündeten haben solch eine Debatte erstens nicht geführt, und zweitens haben die meisten diese Diskussion nicht verstanden. Für uns als SPD ist es immer wichtig gewesen – das wird auch weiterhin unsere Richtschnur sein –, dass wir solche Entscheidungen, die manchmal kompliziert sind, die Zeit brauchen, nicht alleine fällen, sondern im Bündnis; wir wollen dabei die anderen überzeugen. Das hat Zeit benötigt. Ich bin froh, dass wir dies geschafft haben. Deswegen will ich allen, die sich daran beteiligt haben, hier ausdrücklich Dank aussprechen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn ich das noch hinzufügen darf: Es zeigt doch auch – ich erinnere mich an die Debatten über den Parlamentsvorbehalt –, dass dieser Bundestag, wenn er sich zu Wort meldet, wenn er sich einmischt, auch Einfluss nehmen kann

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)

auf die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wir sind nicht die Exekutive, aber wir sind in der Lage – das haben wir mit diesem neuen Mandat bewiesen –, dass das, was hier debattiert wird, die Erwartungen, die wir formulieren, auf der europäischen Ebene einfließen, und zwar auch in ein solches Mandat. Ich glaube, das zeigt auch, dass die Idee der Parlamentsarmee, die wir haben, die Debattenkultur, die wir haben, etwas Lebendiges sind, das sich auswirkt, aber eben nicht von heute auf morgen. Das ist richtig.

Zur Debatte selber, zu dem, was die Soldatinnen und Soldaten der Deutschen Marine dort leisten werden, ist bereits vom Staatssekretär einiges gesagt worden. Die Sicherheitslage im Mittelmeer ist weiterhin sehr labil.

Der Name hat sich verändert, aber die Mission, die wir jetzt beschließen wollen, bleibt wichtig, und sie ist übrigens auch ein Zeichen der Solidarität, gerade an unsere südlichen Nachbarn und Bündnispartner, dass wir uns nicht hinstellen und sagen: Wir überlassen das einfach einem Teil der Verbündeten. Deswegen darf ich Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, einladen, dieser Entscheidung der Bundesregierung, diesem Antrag zuzustimmen. Ich denke, die Debatte, die wir heute sowie in der zweiten Lesung führen, kann eigentlich nur dazu beitragen, noch einmal zu unterstreichen, welche zentrale Rolle der Deutsche Bundestag in einer stärker zusammenwachsenden europäischen Sicherheitsarchitektur einnimmt.

Dass dies manchmal Zeit braucht, ist richtig. Das gilt aber für Demokratie. Es braucht manchmal Zeit, Partner zu überzeugen. Ich denke, es war richtig, diese Arbeit zu investieren. Ich bitte um Zustimmung.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)