– es gilt das gesprochene Wort –
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
lieber Herr Sturm,
für Sie ist das nicht die erste Verleihung des Mittelstandspreises, vielleicht nicht Routine, aber doch nicht jedes Jahr ganz neu. Für den Preisträger ist es das. Und ich habe in den letzten Tagen das ein oder andere Mal darüber nachgedacht, wie dieser Abend werden würde. Ich war mir nicht so ganz klar, aber er ist schon jetzt anders! Und daran sind Sie, lieber Herr Berger, lieber Herr Cordes, nicht ganz schuldlos.
Ich bin gerührt und fast etwas beschämt zugleich. Nicht, dass es Gründe gäbe, etwas zurückzunehmen von Ihren Reden. Wir wollen ja bei der Wahrheit bleiben. Aber Lob – das wissen Sie – ist in der Politik ein rares Gut, oder in der Sprache der Wirtschaft: eine knappe Ressource. So knapp, dass man sparsam damit umgehen muss! Das wenige Lob, für das es überhaupt Anlass gibt, wird üblicherweise aufgespart bis zur Abschiedsrede. Und da die Abschiede von Politikern in der Regel kein harmonischer und ordentlich vorbereiteter Übergang vom aktiven Arbeitsleben in den Ruhestand sind, bleiben als Orte für Anerkennung und Lob regelmäßig nur noch Nachrufe und Gedenkreden.
Sie sehen: Ich bin mir jedenfalls der außergewöhnlichen Ehre bewusst, diesen Preis zu bekommen als einer, bei dem man hoffentlich noch nicht in erster Linie an Abschiedsreden und Nachrufe denkt.
Herr Berger hat es in seiner Rede gerade noch einmal gesagt: Ja, ich bin nicht auf dem geraden und direkten Weg in die Politik und erst recht nicht in die Weltpolitik gelangt. Ich komme aus einem kleinen Dorf im Westfälischen, habe fernab der Metropolen studiert. Und meine ersten politischen Sporen habe ich mir dann im nüchternen Hannover verdient.
Ein Kind der Provinz
Nicht ohne Stolz sage ich: Ich bin ein Kind der deutschen Provinz. Vielleicht einer der Gründe, weshalb ich mich immer mit dem Mittelstand verbunden gefühlt habe. Einem Mittelstand, der seine Stärke aus der Provinz bezieht, ohne provinziell zu sein: der Region verbunden, bodenständig, und doch auch innovativ, europäisch, weltbürgerlich.
Mittlerweile bin ich anderthalb Jahrzehnte in der Bundespolitik. Es waren gute und schlechte, auch dramatische Jahre dabei. Die Krise an den neuen Märkten, 9/11, die Agenda-Reformen, Lehman Brothers - Sie alle haben diese Jahre – dazu mit unterschiedlichen Regierungen - intensiv verfolgt. Als Unternehmerinnen und Unternehmer, aber auch als Verband. Wenn ich mir die Liste Ihrer Preisträger ansehe, dann waren in diesen anderthalb Jahrzehnten die Sozialdemokraten vielleicht nicht in der Mehrheit, aber Sie haben sie auch nicht vergessen. Das zeugt von Ihrem tiefen Wissen, dass Gesellschaft zusammengehalten werden muss, wenn sie eine Zukunft haben soll. Und das geht nie nur durch eine Partei allein.
Hier im Saal sehe ich viele Gesichter, die mir gut bekannt sind. Menschen, von denen ich sicher weiß, dass sie heute Abend Wichtigeres zu tun gehabt hätten als diese Preisverleihung. Aber Mittelständler sind eben auch treue Hucken, was bei uns so viel heißt wie treue Kerle. Ich freue mich, dass Ihr alle gekommen seid!
Viele von Euch, viele von Ihnen, haben mich in Wirtschaftsdelegationen in die ökonomische terra incognita begleitet: in klapprigen Bussen ohne Klimaanlage quer durch Tadschikistan, wo nicht nur die Erden selten waren, in die Gasfelder von Mauretanien, begleitet von sympathischen Riesenschildkröten, oder in die boomende, aber unbekannte Wachstumsregion südöstlich des Ural im Gebiet von Swerdlowsk, bei 30 Grad minus und meterhohem Schnee.
Das waren zwar keine Entdeckungsreisen, wie sie Alexander von Humboldt im 19. Jahrhundert gemacht hat, mit Fernrohr und Sextant durch Sibirien und Südamerika. Aber Entdeckungsreisen waren es doch! In Länder, die wir noch nicht so richtig auf dem Schirm haben, die im 21. Jahrhundert aber für uns enorm wichtig sind. Wir haben gemeinsam faszinierende Welten entdeckt. Noch mehr haben wir gesehen, wie groß die Erwartungen an Deutschland – erst recht wie groß unsere Chancen sind.
Ich freue mich aber auch, viele von denen heute zu sehen, die ich mit meinen neugierigen Besuchen im heimischen Betrieb über die Jahre belästigt habe. Jeder lernt unterschiedlich. Ich jedenfalls brauche das Gespräch vor Ort, daraus lerne ich, lerne ich zu unterscheiden, wo der Schuh wirklich drückt oder wo bloßer Verbandslobbyismus die Berliner Bühne belagert.
Mittelständler haben Haltung!
Umgekehrt waren aber auch Sie diejenigen, die das Gespräch über die Jahre immer wieder gesucht haben, die Kontakt gehalten haben. In Zeiten, als hochnäsige, gut verdienende Schnösel in einigen Großunternehmen Deutschland und die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands weit hinter sich gelassen hatten. Für diese Leute war das Gespräch mit der nationalen Politik weit unter ihrer Würde. Heute kennt die keiner mehr. Die langweilen sich mit ihren Abfindungen auf den Golfplätzen der Welt.
Sie aber, die Mittelständler, waren da und sind immer noch da und produzieren Dübel, Stecker, Schuhe, Schaltschränke, Wärmeschränke, Medizintechnik, Maschinen, Tunnelbohrer für die ganze Welt. Und das wird hoffentlich auch in 50 Jahren noch so sein! Erst vor wenigen Wochen, im April – ich traute meinen Augen nicht – öffnete der renommierte britische „Economist“ mit dem Titel „Greetings from Bielefeld“. In einem schönen Artikel hat der Journalist zu ergründen versucht, worin das Geheimnis deutscher Stärke besteht. Sie ahnen, was er gefunden hat: den deutschen Mittelstand. Ich hätte dem Autor noch einiges mehr mit auf den Weg geben können, z.B.: Als viele vor Größenwahn nicht mehr laufen konnten, haben Sie Bodenhaftung behalten. Und in aller Regel Ihre Leute auch! Während sich das Personalkarussell in den Vorständen von Großunternehmen so schnell dreht, dass einem schwindlig wird, ist das Management im Mittelstand oft über Jahrzehnte dem Unternehmen verbunden.
Ein Mittelständler steht nicht nur auf den Schultern seiner Vorgängergenerationen, die das Unternehmen gegründet, erhalten, erweitert und durch manche Krisen geführt haben. Er hat auch eine andere Haltung zu seiner Aufgabe!
Verantwortung empfindet er nicht nur gegenüber dem Unternehmen, sondern auch gegenüber den Arbeitnehmern und ihren Familien. Ich erinnere mich an Besuche bei Ihnen, mitten in der Krise. Da hörte ich nicht zuallererst: „Wir sind stolz, noch schwarze Zahlen zu schreiben.“ Sondern: „Wir sind stolz, dass es trotz der Krise bei uns keine Entlassungen gab.“
Es gibt auch hier Ausnahmen, das wissen Sie so gut wie ich. Aber beim typischen Mittelständler verwächst eben das Schicksal des Unternehmens mit dem Schicksal der Menschen in der Nachbarschaft. Gerade am Wochenende war ich wieder in meiner alten Heimat, in jener Region Ostwestfalens über die der Economist schrieb, einer Region, die ja schwer gebeutelt wurde durch den gleichzeitigen Niedergang von Möbelindustrie und Bäderwirtschaft in den 80er Jahren.
Kein Königsweg, um aus der Krise zu kommen
Ohne – damals aufstrebende - Unternehmen wie Phoenix, Weidmüller, auch Wortmann-Schuhe wäre diese Gegend bettelarm geworden – arm nicht nur an Arbeitsplätzen, sondern auch an Sport, Kultur, kurz: an all dem, was das Leben lebenswert macht.
Vernunft und Verantwortung, langfristige Orientierung, Verzicht auf kurzsichtige Zockerei – mit dieser Haltung ist der Mittelstand und ihm die ganze deutsche Wirtschaft gut durch die Krise gekommen. Und diese Werte brauchen wir nicht nur in der Wirtschaft. Von ihnen hängt ganz entscheidend die Zukunft unserer Gesellschaft ab; gerade jetzt! Schauen wir uns um auf der Welt, dann leben wir in Deutschland ja noch auf einer Insel der Seligen. Aber alles deutet darauf hin, dass in den nächsten Jahren wieder ein schärferer Wind wehen wird. Die Probleme sind andere als in der Vergangenheit. Wo früher Arbeitslosigkeit drohte, spüren viele von Ihnen heute schon, dass es bald zu wenig Auszubildenden und Facharbeiter gibt. Und die Welt um uns herum ändert sich rasant. Im Jahr 1900 lebten noch rund 21% der Weltbevölkerung in Europa, 2050 werden es gerade mal knapp 8% sein.
Aber statt uns auf diese Herausforderung vorzubereiten, beschäftigen wir uns heute vor allem mit uns selbst. Europa selbst ist zum Synonym von Krise geworden. Während wir alle Kraft brauchen, um das angeschlagene europäische Schiff noch einigermaßen über Wasser zu halten, ziehen uns andere Weltregionen davon.
Es ist hier nicht der Ort, um die Debatte im Bundestag von heute Morgen zu wiederholen. Ich weiß, dass viele von Ihnen die europäischen Rettungsbemühungen mit Skepsis sehen. Und verstehe Ihre Verunsicherung. Europa befindet sich in der tiefsten Krise der Nachkriegszeit. Und es gibt keinen Königsweg, um aus ihr herauszukommen.
Viele von Ihnen machen sich Sorgen um die Grenzen der deutschen Belastbarkeit. Viele sehen die Stabilität des Euro in Gefahr. Diese Sorgen muss die Politik ernstnehmen. Gerade wer für Europa ist, muss deshalb auch klar sagen: Solidarität ist keine Einbahnstraße. Wer nicht bereit ist, eigene Anstrengungen zu unternehmen, kann nicht darauf vertrauen, dass Europa ihm zur Hilfe kommt!
Ein zweites muss aber auch klar sein: Ein Rückzug ins nationale Schneckenhaus kann auch für Mittelständler keine Lösung sein. 60% des deutschen Mittelstandes ist exportorientiert. Und 60, in manchen Branchen gar 80% unserer Exporte gehen in die europäische Nachbarschaft. Das bedeutet: Wenn unsere Nachbarn nicht wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen, dann sieht es auch für unseren Wohlstand und unsere Stabilität bald trübe aus.
Wir werden nicht immer einer Meinung sein, aber wenn wir den Weg aus der Krise schaffen, dann findet ihn nicht einer allein. Dann brauchen wir uns, beide: Wirtschaft und Politik!
Ich habe mich immer bemüht, die Sprachlosigkeit zwischen Wirtschaft und Politik zu überwinden und Brücken zu bauen. Ich habe dabei vor allem eines gelernt: Bei allen Unterschieden, die es in unserer täglichen Arbeit gibt – auf zwei menschliche Eigenschaften kommt es in Wirtschaft und Politik in gleicher Weise an.
Kraft der Beständigkeit
In Wirtschaft und Politik braucht man erstens die Kraft der Beständigkeit. Wer immer nur sein Fähnchen in den Wind der Meinungen hängt, wird am Ende vom Sturm der Fakten hinweggefegt.
Menschen brauchen langfristige Orientierung – in einem Unternehmen wie in einem Land. Wenn an der Spitze Klarheit herrscht, werden aus bedrohlichen Krisen lösbare Probleme. Weil alle an einem Strang ziehen. Und die Erfahrung machen, dass sich plötzlich etwas bewegt.
So haben wir in Deutschland im letzten Jahrzehnt den Turnaround geschafft.
Und ich glaube, was uns gerade bei Europa so fehlt, ist diese Kraft der Beständigkeit. Wenn die Politik ständig rote Linien definiert, die sie 6 Wochen später regelmäßig überschreitet, muss sie sich nicht wundern, wenn die Menschen das Vertrauen verlieren.
Kraft der Beständigkeit, das heißt sagen, was man tut, und tun, was man sagt. Das scheint schwer geworden, mindestens in der Politik. Und das ist nicht gut!
In Wirtschaft und Politik braucht man aber auch eine zweite Kraft: die Kraft der Veränderung. Jede Zeit braucht ihre eigenen Antworten – Sie alle kennen dieses berühmte Zitat von Willy Brandt. Keiner weiß es besser als Sie: Wer nicht täglich besser werden will, dessen Unternehmen hat keine Zukunft mehr. Und auch in der Politik brauchen wir den Ehrgeiz, besser werden und nach vorn zu gehen. Unser Bildungssystem, unsere Hochschulen, die Entwicklung der Energiepreise, die Sicherheit in unseren Innenstädten, ungeregelte Finanzmärkte – überall reichen unsere herkömmlichen Antworten nicht aus. Politik muss neue Wege gehen und manches Dickicht, was über die Wege gewachsen ist, weghauen, wieder auf den Kern orientieren. Und das heißt, in der Wirtschaftspolitik der Wertschöpfung wieder eindeutig Vorrang einräumen vor der Wertabschöpfung.
Innovation, Unternehmergeist, Wertschöpfung – das ist unsere Zukunftsversicherung. In diesem umfassenden Sinn verstehe ich Industriepolitik, für die ich streite und weiter streiten werde. Und für diesen Weg braucht Politik Partner und Weggefährten. Solche wie Sie und alle, denen die Zukunft Deutschlands am Herzen liegt.
Lieber Herr Sturm, lieber Herr Berger,
lieber Herr Cordes, liebe Freunde,
meine Damen und Herren,
geredet worden ist jetzt, glaube ich, genug. Wer Sie kennt, der weiß, dass ein richtiger Mittelständler auch feiern kann. Und das wollen wir jetzt tun. Ich freue mich, heute unter Ihnen zu sein. Vielen Dank!