Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In der Wirtschaft sprechen wir ja oft über Hidden Champions. Sie stehen nicht in der ersten Reihe, werden nicht von allen bejubelt, spielen aber real oft die entscheidende Rolle. Auch bei Gesetzen gibt es Hidden Champions, und dazu gehört das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, kurz GVFG genannt. Neben der Städtebauförderung ist es eines der wichtigsten Instrumente, um die Lebensqualität von Menschen ganz konkret und spürbar zu verbessern. In Bezug auf den Klimaschutz ist es zentral für die Verkehrswende. Es ist ein entscheidender Baustein, wenn es um faire Preise und ein attraktives Angebot im Nahverkehr geht. Und es ist systemrelevant, damit Mobilität auch digital wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den letzten Monaten viel über neue Wege geredet, über sogenannte Wenden: Klimawende, Energiewende, nicht zuletzt die Verkehrswende. Was das industriepolitisch bedeutet, haben wir in den letzten Wochen ausführlich diskutiert. Etwas untergegangen ist dabei, dass die Kommunen einer der entscheidenden Faktoren für die Mobilitätswende sind. Der Nahverkehr ist mitten in einem Strukturwandel: Roller, Leihräder, Pkw-Sharing, Plattformanbieter sind immer öfter natürlicher Teil der Mobilitätskette. Sie werden quasi als öffentliche Verkehrsmittel wahrgenommen. Das eigentliche Verkehrsmittel in Städten wird jedoch das Smartphone sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das heißt, wir müssen unsere Infrastrukturen zukunftsfest machen und modernisieren, auch um die Klimaziele zu erreichen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas Jung [CDU/CSU] – Gustav Herzog [SPD]: Sehr richtig!)

Bei allen technischen und sozialen Innovationen brauchen wir im Kern einen leistungsfähigen öffentlichen Personennahverkehr. Wir wollen einen ÖPNV, der Menschen zuverlässig von A nach B bringt und dabei vor allem unseren Ansprüchen an Qualität, faire Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten, Bezahlbarkeit und Barrierefreiheit genügt.

(Beifall bei der SPD)

Ein bezahlbarer ÖPNV bleibt für uns die gerechteste und sozialste Form von Mobilität.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb nehmen wir auch im GVFG zusätzliches Geld in die Hand. Wir erhöhen die Haushaltsmittel schrittweise auf 1 Milliarde Euro jährlich ab dem nächsten Jahr. 2025 verdoppeln wir die Mittel noch einmal auf 2 Milliarden Euro. Damit gibt es vor allen Dingen Planungssicherheit. Länder und Kommunen müssen das jetzt schnell umsetzen, und wir müssen genau schauen, welche Effekte das Geld hat und ob wir in den kommenden Jahren vielleicht nachsteuern und uns das noch einmal anschauen müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bedürfnisse und die Bedingungen in der Stadt und auf dem Land sind unterschiedlich. In der Stadt gibt es mehr Carsharing, mehr ÖPNV, neue Plattformen, Elektromobilität.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Straßenbahnen!)

– Straßenbahnen natürlich auch. – Auf dem Land sind die Menschen abhängiger vom Individualverkehr. Trotzdem setzen wir auch in dünnbesiedelten Regionen auf den ÖPNV. In meinen Augen haben wir ihn dort alle gemeinsam – in unterschiedlichsten Konstellationen – in den letzten Jahrzehnten teilweise kaputtgespart. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das müssen wir zurückdrehen. Der ÖPNV gehört überall zur Daseinsvorsorge. Auch deshalb brauchen wir die Investitionen, wie wir sie heute hier mit dem GVFG beschließen.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Sören Bartol (SPD): Bitte schön.

Stefan Gelbhaar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Bartol, vielen Dank für das Zulassen der Zwischenfrage.

Sören Bartol (SPD): Sie brauchen ja nicht zu fragen. Sie können auch einfach etwas sagen.

Stefan Gelbhaar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, danke für den Hinweis; auch das ist bekannt. – Ich möchte Sie zwei Sachen fragen. Es geht zum einen um das Thema Barrierefreiheit, das Sie angesprochen haben, und zum Zweiten um die gesteigerten Investitionen. Vielleicht fange ich mit dem Zweiten an: Können Sie mir vielleicht erklären, warum wir das Grundgesetz ändern mussten, um diesen Deckel wieder abzusprengen? Wer hat denn diese Versteinerung in der letzten Legislatur eingeführt? Sie können gerne auch die Parteifarben benennen. – Das war meine erste Frage.

(Ulli Nissen [SPD]: Die Antwort weiß er doch genau!)

Zum Zweiten habe ich eine Frage zum Stichwort Barrierefreiheit. Wir haben sowohl gestern im Ausschuss als auch hier im Plenum einen Antrag vorgelegt, der sagt: Wir wollen Bundesmittel nur noch für Projekte vergeben, die sich Barrierefreiheit wirklich auf die Fahnen schreiben. – Im Gesetz steht das bislang anders. Wie wird sich denn Ihre Fraktion dazu verhalten?

Sören Bartol (SPD): Sie kennen die Antwort eigentlich schon; ich versuche trotzdem, Ihnen meine Sicht der Dinge darzustellen.

Zur Barrierefreiheit: Sie wissen doch, was für riesige Herausforderungen wir in einem gewachsenen System, nicht nur im Nahverkehr, sondern auch im schienengebundenen Verkehr, im Fernverkehr, haben. Wir reden hier über gigantische Summen, die wir alle gemeinsam aus Steuermitteln investieren müssen. Ja, ich glaube, das ist im Haus auch Konsens. Wir alle wollen das.

Ich kann mich noch erinnern, als wir damals die Fernbusse und das neue Fernbussystem eingeführt haben. Da gab es eine intensive Diskussion darüber, wie wir mit einem solchen System umgehen. Da haben wir – auch als deutsche Sozialdemokratie – Wert darauf gelegt, dass wir von Anfang an das Thema Barrierefreiheit mitdenken. Erinnern Sie sich einmal an die Änderungen im PBG, dem Personenbeförderungsgesetz, die wir vorgenommen haben. Das war ein klares System, und wir haben gesagt: Es gibt einen Punkt, an dem ihr barrierefrei sein müsst. – Da müssen sich alle Länder, alle Kommunen, alle handelnden Akteure gemeinsam fragen: Sind wir weit genug? Ich sage Ihnen: Nein, wir sind noch nicht weit genug. Dieses Thema wird uns weiter begleiten. Ich glaube, wir müssen da immer eine Schippe obendrauf legen. Deswegen haben wir uns – auch in der Großen Koalition; denken Sie an unsere Bahnhofsprogramme – genau um dieses Thema gekümmert.

(Stefan Gelbhaar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, Sie stimmen zu?)

Ich finde dieses Thema wichtig. – Und nein, ich stimme dem nicht zu, weil wir das anders machen. Dafür brauchen wir keinen Grünenantrag.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Christoph Ploß [CDU/CSU])

Ich komme zum zweiten Punkt, den Sie in Ihrer Frage angesprochen haben. Natürlich ist das GVFG, also das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, etwas, wo Fachpolitiker schon immer gesagt haben: Es ist unterfinanziert. Wir müssen es systematisch verändern. Wir müssen zum Beispiel nicht nur neu bauen, sondern wir müssen in den Erhalt gehen. Wir dürfen die vorhandene Infrastruktur sozusagen nicht vergammeln lassen; sondern wir müssen Geld in die Hand nehmen – auch vom Bund. Natürlich dauert es bei Fachpolitikern lange, bis die Erkenntnis in diesem großen Hause ankommt. Denn Sie wissen natürlich auch: Es gibt immer widerstreitende Interessen, was die Frage der Mittelhöhe für einzelne Programme angeht. Ich finde, heute ist der Tag, wo Sie als Opposition einfach einmal sagen können:

(Ulli Nissen [SPD]: „Super!“)

Danke, dass diese Mittel so steigen. Danke, dass die Kommunen jetzt das Ganze ausbauen können und dass sich alle einfach einmal gemeinsam freuen.

(Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Wir haben es auch super gemacht!)

Man kann aber natürlich auch das Haar in der Suppe weitersuchen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege. – Sie haben es tatsächlich geschafft, in Ihrer weitreichenden Beantwortung der Fragestellung Ihre Redezeit zu verdoppeln. Das ist eine echte Kunst.

(Heiterkeit bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie haben jetzt noch 44 Sekunden für den Rest Ihrer Rede.

Sören Bartol (SPD): Ja. Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns ehrlich machen – das war auch gerade die Diskussion –: Ein besserer ÖPNV kostet mehr. Dieses Investitionspaket ist für mich wirklich ein sehr, sehr guter Anfang. Zusammen mit dem Regionalisierungsgesetz und unserem Modernisierungsprogramm für Bahnhöfe investieren wir massiv in einen attraktiven Nahverkehr. Damit schaffen wir die Alternativen für ein modernes und umweltfreundliches Mobilitätsangebot in Stadt und Land. Ich freue mich, dass wir mit den heutigen Beschlüssen das GVFG mehr in die öffentliche Wahrnehmung rücken. Der Hidden Champion, das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, darf heute einmal aus seinem Schatten heraustreten und sich feiern lassen. Das wird seiner Bedeutung gerecht, und das kommt den Kommunen und unseren Bürgerinnen und Bürgern auch zugute. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)