Dr. Sascha Raabe (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir feiern heute ein Jubiläum – 50 Jahre BMZ –, das es nach dem Willen des aktuellen Ministers eigentlich gar nicht gegeben hätte; denn dann würden wir nur 48 Jahre BMZ erlebt haben. Ich denke, das ist auch der Grund, warum der Herr Minister heute zu Recht nicht spricht – er kann ja nicht etwas feiern, was er gar nicht so gewollt hat.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Deswegen gilt mein Dank all den politisch Verantwortlichen, all den Ministerinnen und Ministern, die dieses Ministerium zu dem gemacht haben, was es heute ist. Auf die großen Verdienste von Erhard Eppler, Egon Bahr und natürlich auch Heidemarie Wieczorek-Zeul wurde bereits hingewiesen. Diesen Würdigungen möchte ich mich anschließen. Vor allem aber gilt mein Dank sowie der Dank der SPD-Fraktion allen Helferinnen und Helfern, die fast 50 Jahre lang – oft unter Einsatz ihres Lebens und unter schwierigsten Bedingungen – ihre Arbeit für die ärmsten Menschen geleistet haben. Ich glaube, das ist unser aller Anerkennung wert.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich selbst bin seit knapp zehn Jahren in diesem Bereich tätig und habe auf vielen Reisen Menschen kennengelernt, die beispielsweise in Gebieten, in denen früher Bürgerkrieg herrschte, versuchen, Täter und Opfer zusammenzubringen. Daher weiß ich, wie schwer es ist, eine solche Arbeit zu verrichten. Das ist auch emotional schwierig; denn man trifft dort auf Menschen, deren Familien ausgelöscht wurden, deren Geschwister vergewaltigt wurden und die in einer sehr schwierigen Situation leben müssen.
Insofern weiß ich, dass wir manchmal auch Instrumente einsetzen müssen, die eher im psychologischen Bereich wirken. Hier leistet der Zivile Friedensdienst eine ganz hervorragende Arbeit,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU])
indem er mit Psychologen oder zum Teil auf spielerische Art, zum Beispiel mit Theatertherapie oder anderen Projekten, versucht, den Menschen zu helfen. Herr Minister Niebel, Sie haben ja heute schon zu „50 Jahre BMZ“ geredet, indem Sie Phoenix kurz vor dieser Debatte ein Interview gegeben haben. In diesem Interview haben Sie gesagt: Ehe ich Tanztherapeuten irgendwohin in die Welt fliegen lasse, sorge ich lieber dafür, dass in Unternehmen investiert wird.
Das liegt auf der gleichen Linie wie das Spiegel-Interview, in dem Sie gesagt haben: Die Entwicklungshelfer mit ihren Alpaka-Pullovern machen da immer nur so ein Gedöns; es geht vielmehr darum, den Menschen mit Wirtschaft und noch mal Wirtschaft zu helfen. – Ich lasse es nicht zu, dass Sie diejenigen, die im Zivilen Friedensdienst ihre Arbeit verrichten und dabei traumatisch verängstigten Menschen helfen – auch mit Mitteln, die Ihnen nicht gleich einleuchten –, verächtlich machen. Diese Menschen leisten eine sehr wichtige Arbeit.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und demBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen zurückweisen, wie Sie über Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer reden.
Ihr Credo, dass „Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“ das Allheilmittel in der Entwicklungszusammenarbeit ist, können wir so nicht teilen. Natürlich hat es wirtschaftliche Hilfe auch schon unter Heidemarie Wieczorek-Zeul gegeben, die übrigens das Programm Public-Private-Partnership eingeführt hat, mit dem wir zusammen mit der Privatwirtschaft entwicklungsfördernde Projekte vor Ort unterstützen.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das war leider ein großer Fehler!)
Aber Wirtschaft alleine kann nicht für Entwicklung sorgen; denn es kommt immer darauf an, welche Rahmenbedingungen die Wirtschaft hat und wie sie sozialverantwortlich abgesichert ist. Deswegen war es so wichtig, dass Heidemarie Wieczorek-Zeul das Ministerium zu einem Ministerium für globale Strukturpolitik gemacht hat.
Wir erleben doch gerade jetzt wieder, was passiert: Ein Unternehmen wie Nokia wandert erst aus Deutschland nach Rumänien ab, weil die Sozialstandards dort niedriger sind und es die Arbeitnehmer dort ausbeuten kann, und dann, wenn diese Standards in Rumänien etwas gestiegen sind, wird die Produktion nach Indien und China verlagert. Insofern ist das Hohelied auf die Wirtschaft nicht allein das, was den Menschen nützt.
(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Wer sagt das denn?)
Wir müssen endlich dafür sorgen, dass die Gewinne der Globalisierung den Menschen zugutekommen, die sie erarbeitet haben. Deswegen brauchen wir dort Regeln, Herr Minister.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es wird unsere Aufgabe in den nächsten Jahren im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit sein, vor allem dafür zu sorgen, dass soziale Standards wie die ILO-Kernarbeitsnormen, selbstverständlich die Menschenrechte, aber auch gewisse soziale Sicherungssysteme, Mindestlöhne und Umweltstandards auch in Entwicklungsländern durchgesetzt werden. Das muss man über das scharfe Schwert der Freihandelsabkommen der Europäischen Union machen. Es ist ganz wichtig, dass wir da sagen: Nur Länder, die sich diesen Spielregeln unterwerfen, die sich verpflichten, dafür zu sorgen, dass keine Kinderarbeit und keine Sklavenarbeit stattfinden und Koalitionsfreiheit herrscht, dürfen mit Europa Handel betreiben. Das wird unsere große Aufgabe sein. Wir brauchen hier nicht Liberalisierung, sondern endlich Regeln für die Menschen, die hart arbeiten und unsere Solidarität und Unterstützung brauchen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Beim Aufbau sozialer Sicherungssysteme gehört es natürlich dazu, dass diese finanziert werden müssen. Wir erleben gerade bei der furchtbaren Dürrekatastrophe in Ostafrika, dass wir in einigen Teilbereichen aufgrund der klimatischen Veränderungen nicht mehr mit den traditionellen Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit Menschen retten können; denn wenn es fünf Jahre nicht regnet, nützt einem Bauern auch ein Bewässerungssystem nichts, auch nicht die besten Werkzeuge und das beste Know-how.
Wir müssen schauen: Wie kann man die Menschen vor Hunger und Armut retten? Deshalb müssen wir einen stärkeren Fokus darauf richten, dafür zu sorgen, dass die Menschen ein existenzsicherndes Mindesteinkommen erhalten. Auch ein Menschenrecht auf Nahrung und Gesundheit sowie die Errichtung von Gesundheitssystemen sind dort wichtig. Das kann natürlich nur dann gewährleistet werden, wenn wir den Ländern, die noch nicht genug Möglichkeiten haben, das mit dem eigenen Steueraufkommen zu erreichen, zum Teil über Mittel wie die Budgethilfe eine Chance geben, solche Systeme zu errichten. Es gehört natürlich auch dazu, dass vor Ort mehr Steuern erhoben werden.
Für alle diese Maßnahmen brauchen wir Geld. Insofern, Herr Minister Niebel, ist die ODA-Quote, das Ziel, dass die Industriestaaten im Jahr 2015 einen Anteil von 0,7 Prozent am Bruttonationaleinkommen für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben, nicht irgendetwas Abstraktes; es ist konkret dafür da, Menschenleben zu retten. Wenn Sie einen Aufruf von 365 Abgeordneten hierzu in einer Art und Weise ignorieren, wie sich dies im Haushalt widerspiegelt, dann ist das nicht nur Ignoranz gegenüber dem Parlament und den Abgeordneten der eigenen Fraktion, sondern auch eine Schande für die vielen Menschen, die in Hunger und Armut leben; Sie tragen dazu bei, dass diese Menschen hungern. Deswegen, Herr Minister: Steuern Sie um und sorgen Sie endlich dafür, dass den ärmsten Menschen das Geld zur Verfügung steht, das wir ihnen seit Jahren versprechen!
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich weiß, dass es in vergangenen Jahren auch für sozialdemokratische Entwicklungsminister nicht immer leicht war, eine ODA-Quote von 0,7 Prozent zu erreichen.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
– Ja, es war schwierig, es zu erreichen. – Erhard Eppler ist damals sogar zurückgetreten, weil ihm der Mittelaufwuchs nicht ausreichte. Wir hatten mit Heidemarie Wieczorek-Zeul immer eine Ministerin, die gekämpft hat wie eine Löwin. Sie hat gesagt: Ich brauche 1 Milliarde Euro. – Dann waren es am Ende vielleicht nur 700 Millionen Euro.
Präsident Dr. Norbert Lammert: Lieber Herr Kollege.
Dr. Sascha Raabe (SPD):
Aber was machen Sie, Herr Minister? Sie kämpfen nicht einmal.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN-KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Obwohl es 365 Abgeordnete gibt, die für die Aufstockung Ihres Haushalts sind, kommen Sie hier mit einem Haushalt, der einen lächerlichen Aufwuchs zu verzeichnen hat. Sie versuchen auch noch, das schönzurechnen. Sie sagen: In der Finanzplanung hatten wir eine Kürzung um Hunderte Millionen Euro vorgesehen. Deshalb gebe es im Haushalt angeblich einen Aufwuchs um 750 Millionen Euro.
Präsident Dr. Norbert Lammert: Lieber Herr Kollege.
Dr. Sascha Raabe (SPD):
Tricksen, Täuschen: Das ist, was Sie können, Herr Minister Niebel. Sie vernebeln, aber Sie helfen den ärmsten Menschen nicht.
In diesem Sinne hoffe ich für die nächsten 50 Jahre Entwicklungszusammenarbeit, dass sie spätestens 2013 wieder in verantwortungsvollen Händen liegt, am besten in sozialdemokratischen Händen.
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das ist ja
peinlich!)
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)