Dr. Sascha Raabe (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Frau Ratjen-Damerau, Sie können hier weiter Niebel-Kerzen werfen, wie Sie wollen: Es ist und bleibt einfach eine Schande, dass Sie drei Jahre vor dem versprochenen Erreichen des 0,7-Prozent-Ziels anstelle des von einer Mehrheit dieses Parlaments in einem entwicklungspolitischen Konsens geforderten Aufwuchses von 1,2 Milliarden Euro nur einen Aufwuchs von 37,5 Millionen Euro vorlegen und Sie das auch noch als Rekordhaushalt feiern. Das ist wirklich schäbig.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Weil Sie gerne auf die Vergangenheit verweisen und so tun, als sei in der Vergangenheit nichts Wesentliches passiert, um dem 0,7-Prozent-Ziel näherzukommen, möchte ich am Anfang dieser Haushaltsdebatte Zahlen aus den Jahren 2008 und 2009 nennen. Unter Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hatten wir im Jahr 2008 einen Aufwuchs von 641 Millionen Euro und im Jahr 2009 von 679 Millionen Euro. Herr Minister, in den vier Jahren, in denen Sie als Minister das Amt und den Haushalt zu verantworten haben, haben Sie insgesamt noch nicht einmal den Aufwuchs zustande gebracht, den wir in der letzten Legislaturperiode unter Heidemarie Wieczorek-Zeul in einem Jahr hatten. Sie kommen in vier Jahren noch nicht einmal auf 500 Millionen Euro. Das, Herr Minister, ist wirklich mickrig. Das wird der Verantwortung nicht gerecht, die wir in der Welt haben. Dass Sie dann noch davon sprechen, dass Sie das 0,7-Prozent-Ziel bis 2013 einhalten wollen, ist wirklich dreist. Herr Minister, Sie sollten endlich die Wahrheit sagen, die Menschen nicht weiter belügen und solche Zahlentricksereien vor allem nicht auf dem Rücken der Ärmsten der Armen betreiben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Man kann sich auch fragen, was Sie im Kabinett getan haben, um diese Themen voranzubringen; denn die Entwicklungspolitik muss auch von den anderen Ressorts unterstützt werden. Wir wissen, dass Sie ausweislich der Statistik der ersten 100 Kabinettssitzungen erstens am meisten gefehlt haben und zweitens nicht einen einzigen Tagesordnungspunkt aufgesetzt haben. Ich frage Sie angesichts der Initiative des Parlaments im Jahr 2011, als 372 Parlamentarierinnen und Parlamentarier aller Fraktionen unterschrieben haben, dass sie das 0,7-Prozent¬Ziel einhalten wollen und dass man, beginnend mit dem Haushalt 2012, jedes Jahr 1,2 Milliarden Euro als Aufwuchs zur Verfügung stellen will: Haben Sie niemals daran gedacht, Ihren Kollegen im Kabinett diese Initiative vorzustellen und dafür zu werben? Es ist eine Brüskierung des Parlaments, dass Sie das nicht im Kabinett angesprochen haben und hier Haushaltsentwürfe vorlegen, die jeder Beschreibung spotten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Man nennt Sie unter Kollegen ja schon den „Minister Nie da“. Sie sind an der Sache anscheinend nicht besonders interessiert.
Was Ihre Ausführungen zur Finanztransaktionsteuer angeht – das wäre eine Einnahmequelle, durch die wir einen großen Finanzierungsschub erzielen könnten –, haben Sie uns im Ausschuss mehrfach gesagt: Mag sein,dass die Kanzlerin dafür ist. Was interessiert mich, was die Kanzlerin sagt. Ich bin dagegen. – Auch das ist natürlich ein Schlag gegen die Kampagne „Steuer gegen Armut“, die von der Zivilgesellschaft unterstützt wird. Es ist schlecht, dass der zuständige Minister nicht vorneweggeht, um für dieses Ziel einzutreten, sondern das Ganze zerschlägt und sogar noch konterkariert.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Friedrich
Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Sie rechtfertigen diese schwachen Aufwüchse immer damit, dass Sie für Qualität und Effizienz gesorgt hätten. Sie haben einen DAC-Bericht zitiert, in dem zu Recht angemahnt wird, dass die Finanzielle und Technische Zusammenarbeit in Deutschland zusammengelegt werden müssen. Richtig! Sie haben das allerdings nicht gemacht. Sie haben stattdessen die Technische Zusammenarbeit reformiert. Gut, das ist sicherlich ein kleiner Schritt in die richtige Richtung gewesen. Wir kritisieren das nicht weiter. Aber die Frage ist doch: Haben Sie es wirklich mit dem Ziel getan, mehr Qualität und Effizienz zu erreichen? Für uns steht das eindeutig infrage. In Wirklichkeit haben Sie doch all diese Umstrukturierungen genutzt, um Ihre Parteifreundinnen und Parteifreunde, teils ohne jede Sachkenntnis und Kompetenz, in den neuen Organisationen unterzubringen. Man schafft nicht mehr Effizienz und Qualität, wenn man in Schlüsselstellen des Ministeriums und der Durchführungsorganisationen Vetternwirtschaft nach Parteibuch betreibt, sehr geehrter Herr Minister.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das fing schon ganz früh an. Ich habe hier im Prinzip jedes Jahr Mitteilungen des Personalrats verlesen müssen, in denen das angeprangert wird. Im Sommer 2012 gab es leider wieder eine Mitteilung, in der ein weiteres Mal beschrieben wird, dass diese Personalpolitik mit Blick auf 2013, wenn die Wachablösung droht, verstärkt betrieben wird. In dieser Mitteilung heißt es:
In der Amtszeit von Minister Niebel ist die nun anstehende Besetzung der Leitung der Abteilung 2 die sechste Neubesetzung einer Abteilungsleiterstelle.
Da geht es übrigens um Harald Klein, der als damaliger Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung den Putsch in Honduras gerechtfertigt hat und jetzt Generalkonsul in Rio wird. Sie haben neulich auch den Putsch in Paraguay gerechtfertigt. Diese Stellenbesetzung ist ja anscheinend Ihre Belohnung.
In dieser Mitteilung heißt es weiter:
In fünf dieser sechs Fälle wurden externe Bewerbungen berücksichtigt, lediglich in einem Fall ein interner Bewerber. Der Personalrat hat seit Beginn der Amtszeit von Minister Niebel immer wieder darauf hingewiesen, dass zahlreiche externe Besetzungen für das Haus problematisch sind, da bei den Quereinsteigern weder Kenntnisse des Hauses noch in vielen Fällen vertiefte Kenntnisse der Entwicklungszusammenarbeit vorhanden sind.) Darüber hinaus heißt es: Da die politische Leitung des Hauses ihre Personalpolitik regelmäßig mit dem Hinweis rechtfertigt, unter früheren Leitungen des BMZ habe es eine ähnliche Anzahl an Quereinsteigern gegeben, sei darauf verwiesen, dass in den Amtszeiten von Ministerin Wieczorek-Zeul und Minister Spranger lediglich zwei Abteilungsleitungen von außen besetzt wurden,
– also in 18 Jahren lediglich zwei –
hingegen alle anderen Berufungen aus dem Haus erfolgt sind.
Jetzt sage ich Ihnen, was das für Auswirkungen auf die Effizienz und Qualität hat.
(Jörg van Essen [FDP]: Mein Gott, wie peinlich diese Rede! Auf der nach oben offenen Peinlichkeitsskala ist diese Rede ganz weit oben!)
Vizepräsident Eduard Oswald:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Jürgen Koppelin?
Dr. Sascha Raabe (SPD): Ja.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Bitte schön, Kollege Jürgen Koppelin.
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):
Herr Kollege Raabe, entnehme ich Ihrem Eifer am Rednerpult, dass Sie sich darüber ärgern, dass in diesem Ministerium die Aufkleber entfernt wurden, auf denen stand, dass man dort Mitglied der SPD sei? Davon gab es dort zahlreiche. Es galt quasi das Motto „Hier ist man Mitglied der SPD“.
Dr. Sascha Raabe (SPD):
Entschuldigung, ich habe Sie nicht verstanden. Können Sie das wiederholen?
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):
Ärgern Sie sich darüber, dass bestimmte Aufkleber im BMZ entfernt wurden? An den Türen und anderswo sah man Aufkleber mit der Aufschrift „Hier sind wir Mitglied der SPD“.
Darf ich Sie weiter fragen, wie es kam, dass sofort nach dem Regierungswechsel 1998 ein hoher sozialdemokratischer Funktionär aus Nordrhein-Westfalen Chef des DED wurde?
Dr. Sascha Raabe (SPD):
Sehr geehrter Herr Kollege Koppelin, zu den Aufklebern kann ich jetzt nicht viel sagen. Ich kann Ihnen aber gleich etwas dazu sagen, wie das BMZ in der Zwischenzeit zu einer Wahlkampfzentrale für die FDP umgebaut wird. Dafür kann ich Ihnen auch gleich einen Beleg liefern; ich werde Ihnen das gleich sagen. Was 1998, also vor 14 Jahren, gewesen ist – verzeihen Sie, ich bin 2002 ins Parlament gekommen –, weiß ich nicht. Ich weiß, dass der Kollege, den ich dann kennengelernt habe und der an der Spitze des DED war, ein höchst qualifizierter Mann gewesen ist, der von Minister Niebel später sogar in den Vorstand der GIZ berufen wurde, weil er so qualifiziert war. Herr Kollege Koppelin, es spricht doch überhaupt nichts dagegen, wenn besonders qualifizierte Expertinnen und Experten, die Sachkenntnis haben, mit einem Parteibuch egal welcher Art in einem Bewerbungsverfahren zum Zuge kommen. Sie sollen nicht benachteiligt werden. Aber es ist doch ein Unterschied, Herr Kollege Koppelin, ob zum Beispiel bei Ministerin Wieczorek-Zeul von drei Abteilungsleitern einer ein SPD-Parteibuch hatte und zwei parteilos waren oder Minister Niebel die Zahl der Abteilungen von drei auf fünf erhöht hat und jetzt vier Abteilungsleiter ein FDP-Parteibuch haben und einer ein CDU-Parteibuch hat. Ich sage Ihnen, Herr Kollege Koppelin: Es ist ein Unterschied, ob man jemanden einstellt, der Sachkenntnis hat, oder ob man jemanden nur aufgrund seines Parteibuchs einstellt.
Der Personalrat schreibt – da kommen wir zum Thema Qualität –: Die Entwicklungen auf allen Ebenen haben Konsequenzen für das Haus. Sie wirken sich negativ auf Fachlichkeit, Führungskompetenz, Außenvertretung des BMZ und die Motivation im Haus aus. Ein personell und organisatorisch geschwächtes Ministerium kann seine Aufgaben nur bedingt erfüllen.
Deshalb, Herr Koppelin, schreibt der Personalrat: In gerade einmal zweieinhalb Jahren hat die politische Leitung es verstanden, zahlreiche höchst motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Klientelpolitik und durch anhaltende Missachtung von fachlicher Leistung wie inhaltlicher Kompetenz zu brüskieren. – Darum geht es, Herr Kollege Koppelin, nicht um Aufkleber.
Es geht auch darum, dass Minister Niebel eine Abteilung „Planung und Kommunikation“ geschaffen hat; die gab es vorher gar nicht. Das heißt, der Minister zieht aus Organisationseinheiten, die sich um Inhalte kümmern, etwa zu Afrika oder Asien, Personal ab, um eine Propagandaabteilung aufzubauen, und das wird vom Personal¬rat natürlich kritisiert.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Herr Kollege, ich will Sie nur darauf aufmerksam machen, dass jetzt wieder die normale Redezeit läuft, weil ich davon ausgehe, dass die Antwort hiermit beendet ist.
Dr. Sascha Raabe (SPD):
Gut, einverstanden. – Es kann nicht sein, dass das BMZ zu einer Wahlkampfzentrale der FDP umgebaut wird. Da ist bis 2013 Schlimmes zu erwarten. Wir haben erst neulich einen Brief von der KfW zugespielt bekommen, in dem es darum geht, dass jetzt eine Kampagne mit einem Volumen von 6 bis 7 Millionen Euro stattfinden soll, angeblich eine „Mittelstandsoffensive Afrika“. Dagegen spricht erst einmal nichts. Aber dann heißt es im Schreiben von Staatssekretär Beerfeltz entlarvend, dass sich Herr Niebel und Minister Rösler geradezu ideal persönlich in eine solche Kampagne einbeziehen lassen; 6 bis 7 Millionen Euro seien viel Geld – die sollen natürlich auch zielgerichtet bis Juni 2013 ausgegeben werden –, aber – jetzt kommt es! – der politische Ertrag für die Bundesregierung werde das bei weitem übersteigen.
Herr Niebel, weil Sie gesagt haben, Sie spielten jetzt irgendwo oben in der internationalen Liga mit, sage ich Ihnen: Im Ausland lachen sich unsere Partner leider über uns kaputt, wenn wir noch etwas von guter Regierungsführung sagen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn ich hier einmal im Sportbereich bleiben darf: Wir spielen mittlerweile in einer Liga, in der die Wettmafia die Ergebnisse vorher kennt. Genauso wie man da weiß, wie ein Fußballspiel ausgeht, weiß man bei Ihnen bei jedem Bewerbungsverfahren, das Sie im Ministerium durchführen, wer am Ende gewinnt: immer der Bewerber mit FDP-Parteibuch.
(Beifall bei der SPD – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Aber Sie dürfen den Sportlern noch nicht mal die Schuhe putzen!)
Rede von Sascha Raabe zum 0,7% Ziel und ungerechtem Bewerbungsverfahren im BMZ
0,7% Ziel wird bei Weitem nicht erreicht
Trotz einer 2011 gestarteten Initiative -von 372 Parlamentarierinnen und Parlamentarier aller Fraktionen unterschrieben- das 0,7-Prozent-Ziel einhalten zu wollen, wird dieses Ziel unter Minister Niebel nicht erreicht werden. Sascha Raabe kritisiert in seiner Rede das geringe Interesse von Niebel dieses Ziel zu erreichen. Zudem fordert Raabe ein eine Abkehr von ungerechten Bewerbungsverfahren für Abteilungsleiterpositionen im BMZ.