Graeber und Precht zwei spannende und kontroverse Gesprächspartner für die SPD-Fraktion
Graeber hat in seinem Buch „Schulden – die ersten 5000 Jahre“ untersucht, wie und warum Menschen in den vergangenen 5000 Jahren Schulden gemacht haben. Er kommt zu dem Schluss, dass das Prinzip der Schuld alle gesellschaftlichen Sphären bestimme und dass es höchste Zeit sei, dies zu ändern. Die Medien bezeichnen Graeber auch als Vordenker der Occupy-Bewegung. Frank Schirrmacher bezeichnete Graebers Werk als das „Buch zur Krise“.
Der Philosoph Precht behauptet in seinen Büchern, dass es den meisten Menschen wichtig sei, moralisch gut zu handeln, aber durch bestimmte Rahmenbedingungen würden sie dabei scheitern.
Steinmeier: Finanzmarktkrise wandelte sich zur Staatverschuldungskrise
In seinem Eingangsstatement erinnerte Frank-Walter Steinmeier daran, dass es in ganz Europa vor der Pleite von Lehman Brothers im Jahr 2008 seit zwei Jahrzehnten einen Niedrigstand der Staatsschulden gab. Auch in Spanien und Italien – viele hätten dies wohl vergessen. Auf die Lehman-Pleite sei die Krise auf den internationalen Finanzmärkten mit dem drohenden Zusammenbruch von Banken gefolgt, den die Staaten – also der Steuerzahler – abgewendet hätten. Danach habe sich die Finanzkrise zur Staatsverschuldungskrise gewandelt. Allen Politikern, Parteien und Regierungen falle es schwer, die richtigen Antworten zu geben, sagte Steinmeier.
Scharfe Sparprogramme und Liquiditätsspritzen haben bislang nicht geholfen
Was versucht wurde, sei eine Mischung aus Aderlass und Aspirin. Aderlass an einem siechenden Patienten, dem immer wieder schärfere Sparprogramme verordnet worden seien. Die massiven Einschränkungen hätten entsprechende Folgen für die EU-Mitgliedstaaten gehabt. Auf der anderen Seite habe es Aspirin gegeben, um die Liquidität auf den Kreditmärkten zu erhöhen. Beides habe nicht aus der Krise geführt. Im Gegenteil, sagte Steinmeier: „Es ist wie ein Bumerang: Je kraftvoller wir versuchen, den Bumerang loszuwerden, mit umso mehr Energie kommt er zurück.“ Im Augenblick scheine es so zu sein, als ob uns eine zweite Welle der europäischen Krise überrasche. Deshalb sei es wichtig und richtig, über Schulden zu diskutieren.
Graeber: Schulden sind Basis für gewalttätige Herrschaft
In seinen Ausführungen stellte David Graeber die moralische Überzeugung in Frage, dass Schulden immer zurückgezahlt werden müssten. Schulden seien vielmehr die Basis für gewalttätige Herrschaft. So sei es in der Geschichte immer wieder zu Revolten, Aufständen und Kriegen gekommen, wenn die Schuldenlast zu sehr drückte. So lange Menschen untereinander auf gleicher Augenhöhe seien, dann könnten sie etwas aushandeln. Doch es zeige sich, dass mächtige Banken sich ihre Schulden vom Hals schaffen könnten, derweil die Machtlosen die Kredite für ihre Häuser oder Universitätsausbildung zurückzahlen müssen.
Für einen breiten Schuldenerlass und eine Erneuerung der Demokratie
Graeber verwies darauf, dass es in Mesopotamien, wo es Naturalschulden gab, im Interesse der Herrschenden immer wieder zu Schuldenerlassen kam, um Aufstände oder den Niedergang zu verhindern. Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts habe es immer wieder Schuldenkrisen gegeben. Doch der Internationale Währungsfonds (IWF) schütze nur die Gläubiger. Es könne nicht sein, dass ein Prozent der Bevölkerung allein die Entscheidungen treffe. Die Politiker hätten darüber keine Kontrolle und das Kapital mache, was es wolle. Den 99 Prozent gebe man die Schuld an ihrer Situation. Kredite und Schulden seien ein gesellschaftliches Versprechen, das man unter neuen Bedingungen auch brechen könne.
Angesichts der gesellschaftlichen Transformation in Nordafrika, im Nahen Osten sowie auch in Griechenland und Spanien plädierte Graeber für einen breiten Schuldenerlass und eine Erneuerung der Demokratie. Er sprach sich dafür aus, die Finanzmärkte zu besteuern, wenn damit Gutes für mehr Gerechtigkeit bewirkt werde. Allerdings seien aus seiner Sicht grundlegendere Veränderungen nötig. Als Vordenker der Occupy-Bewegung wollte sich Graeber nicht sehen, eher sei er ein Pionier.
Precht: Schulden zurück zahlen, aber nicht um jeden Preis
Precht stellte die Verbindlichkeit, Schulden zurückzahlen zu müssen, nicht grundsätzlich in Frage. Denn sonst würde seiner Auffassung nach niemand mehr etwas verleihen. Doch auch er unterstrich, dass Schulden nicht um jeden Preis zurückgezahlt werden müssten. Als Beispiel nannte er die Entschuldung von Entwicklungsländern. Er vertrat die These, dass Transformationen nicht durch internationale Vereinbarungen funktionierten, sondern dass diese durch Länder ausgelöst würden, die voranpreschen würden. Dies würde Veränderungen auslösen. Precht führte aus, dass die Norm der Märkte, die alle sozialen Normen ausblendeten, immer mehr zum gesellschaftlichen Leitbild werde.
Den Protagonisten auf den Finanzmärkten geht es nur um schnellen Erfolg
Banken seien auch untereinander nicht solidarisch, so komme es immer wieder zu Erschütterungen. Es gebe unter ihnen keinen inneren Zusammenhalt und auch kein „Mastermind“. So hätte jede Staatspleite Gewinner und Verlierer. Den Protagonisten ginge es nur um den schnellen Erfolg. Precht selbst sei kein Feind des Kreditwesens, aber es gebe Finanzprodukte, die von der Politik verboten werden müssten. Denn der Staat müsse den Markt schützen und eine Schiedsrichterrolle einnehmen. Im Sog des Neoliberalismus, der in Großbritannien die Realwirtschaft zerstört hätte, seien auch in Deutschland Fehler gemacht worden. Er sprach sich dafür aus, zugunsten von Sparkassen und Genossenschaftsbanken auf große private Bankhäuser zu verzichten. Precht sagte, dass Bewegungen wie Occupy und die Piratenpartei den Menschen zeigten, dass man im Gegensatz zu den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts etwas verändern könne.
Steinmeier: Finanzmärkte regulieren auch im Interesse von Millionen Anlegern
Frank-Walter Steinmeier stellte in der Diskussion klar, dass es ihm darum ginge die Finanzmärkte zu regulieren, um überhaupt wieder Stabilität herstellen zu können. Viele Millionen private Anleger hätten in Deutschland Lebensversicherungen abgeschlossen, auch dafür seien funktionierende Finanzmärkte notwendig.
Finanztransaktionssteuer im kleinen Kreis jetzt beginnen und dann international verankern
Die SPD verhandele hart über den Fiskalpakt, um eine Finanztransaktionssteuer durchzusetzen. Dabei gehe es auch nicht nur darum, Einnahmen zu erzielen, sondern auch um Gerechtigkeit. Denn die Ausfallkosten für die Doppelkrise hätten bisher die Steuerzahler zu tragen und die Finanzmärkte hätten als Verursacher keinen Beitrag geleistet. Das würden die Menschen auch von der Politik erwarten, ansonsten gerate die repräsentative Demokratie unter Druck. Steinmeier sagte, er werde nicht müde überall zu betonen, dass Wertschöpfung vor Wertabschöpfung gehe. Die Finanzmärkte hätten eine dienende Funktion gegenüber der Realwirtschaft, dies sei wohl für einige in Vergessenheit geraten. Es gehe jetzt darum, dafür zu sorgen, dass sich die Katastrophen auf den Finanzmärkten nicht wiederholen. Steinmeier sprach sich dafür aus, jetzt mit einer kleineren Gruppe in Europa mit der Einführung der Finanztransaktionssteuer zu starten, wenn es keine größere Lösung in Europa gebe. Außerdem sollte auch mit den G20-Staaten über eine internationale Lösung verhandelt werden.
Spannende Diskussion mit lebhafter Teilhabe
Insgesamt erlebten die 750 Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine spannende Diskussion, an der sie sich im Saal auch mit Fragen beteiligen konnten. Frank-Walter Steinmeier lud sie ein, beim anschließenden kleinen Imbiss die Gespräche fortzusetzen, wovon viele regen Gebrauch machten.