Auch in Libyen ist die internationale Gemeinschaft gefordert. Diktator Gaddafi hat sich eingebunkert, und die Rebellen kommen nicht wirklich voran. Die Luftangriffe der Nato konnten Gaddafi zwar vor weiteren Gräueltaten an seiner eigenen Bevölkerung abhalten. Eine politische Lösung des Konflikts ist jedoch nach wie vor nicht absehbar.

Und noch ein Thema wird den Sicherheitsrat in den kommenden Wochen intensiv beschäftigen: Das Anliegen der Palästinenser, endlich einen eigenen souveränen Staat zu bekommen. Da die Friedensverhandlungen mit Israel seit Monaten auf Eis liegen und es keine Anzeichen gibt, dass sich daran etwas ändert, liebäugeln die Palästinenser damit, einen entsprechenden Antrag vor der Uno-Vollversammlung zu stellen. Niemand weiß, welche Reaktionen das hervorruft. Umso wichtiger wäre es jetzt, alles daran zu setzen, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen und doch noch einen Versuch zu starten, den festgefahrenen Konflikt zu überwinden.

Das setzt voraus, dass man sich mehrere Optionen offenhält, um den Druck auf die beteiligten Akteure möglichst lange aufrechterhalten zu können. Wer sich zu früh einseitig festlegt, muss sich nicht wundern, wenn er als Vermittler nicht mehr ernst genommen wird. Genau dies aber hat die Bundesregierung getan, indem sie erklärt hat, einer Ausrufung der palästinensischen Staatlichkeit, verbunden mit einem entsprechenden Antrag in der Uno-Vollversammlung, unter keinen Umständen zuzustimmen.

Das alles sind Themen von großer Brisanz und verbunden mit hohem Erwartungsdruck. In dieser Situation wünschte man sich einen Vorsitz, der mit Entschlossenheit und klarer politischer Ausrichtung die anstehenden Probleme angeht. Doch deutsche Außenpolitik unter Guido Westerwelle erscheint strategie- und handlungsunfähig.

Bündnispartner reiben sich verwundert die Augen

Zwar hat der deutsche Außenminister angekündigt, am 11. Juli nach New York zu reisen, um dort persönlich eine Sitzung des Uno-Sicherheitsrats zu leiten. Doch damit ist es nicht getan. Was fehlt, sind konzeptionelle Überlegungen, mit denen Berlin seine Bereitschaft glaubwürdig machen könnte, mehr internationale Verantwortung zu übernehmen.

Stattdessen erleben wir einen Außenminister, der sich dadurch auszeichnet, dass er wie ein Besessener durch die Welt reist, um andere Länder mit seinem Besuch zu beglücken. Wirkliche Spuren hat er dabei jedoch nicht hinterlassen. Doch viel schlimmer wiegt  die zunehmende Verständnislosigkeit bei unseren Partnern und Verbündeten über die neue Unberechenbarkeit deutscher Außenpolitik.

Beispiel Libyen: Angetrieben durch schlechte Umfragewerte seiner Partei hat Westerwelle im März den verzweifelten und letztendlich gescheiterten Versuch unternommen, mittels einer pseudo-pazifistischen Enthaltung im Uno-Sicherheitsrat das Ruder zu seinen Gunsten herum zu reißen. Bekanntlich ging diese Operation völlig daneben. Stattdessen reiben sich unsere Partner immer noch verwundert die Augen über dieses kurzsichtige und nicht durchdachte Abstimmungsverhalten.

Bei aller berechtigten Skepsis gegenüber dem Nato-Einsatz in Libyen: Eine Zustimmung zur Uno-Resolution 1973 hätte Deutschland die Möglichkeit verschafft, gemeinsam mit den USA, Frankreich und Großbritannien einen Ausweg aus der Sackgasse zu suchen. Sie hätte Deutschland keineswegs dazu gezwungen, wie von Westerwelle fälschlicherweise behauptet, sich mit eigenen Soldaten zu beteiligen.

Jetzt befinden wir uns stattdessen in der unangenehmen Situation, in der uns die anderen verstärkt unter Druck setzen und ihre Wünsche an Deutschland klar formulieren. Der Fehler von Ende März muss wieder gut gemacht werden – das ist die klare Erwartungshaltung unserer Bündnispartner -, und Deutschland ist nicht mehr Herr des Verfahrens, kann kaum noch selbst darüber entscheiden, welche Maßnahmen und Instrumente dafür die richtigen sind.

Konfuse Libyen-Politik

Dies zeigte sich bereits diese Woche, als Deutschland sich voreilig bereit erklärte, Waffen und Munition für unsere Verbündeten zu liefern. Ein solche Haltung, die einerseits kategorisch die Beteiligung deutscher Soldaten ausschließt, anderseits aber bereit ist, die dafür erforderliche Ausstattung bereit zu stellen, kann man nur als konfus bezeichnen.

Deutsche Außenpolitik ist seit Jahrzehnten immer multilateral ausgerichtet gewesen. Westerwelles großes Vorbild, Hans-Dietrich Genscher, hat diese Orientierung zum Leitprinzip deutscher Außenpolitik erhoben. Seine Nachfolger Fischer und Steinmeier haben an dieser bewährten Tradition festgehalten und sie entschlossen weiterentwickelt.

In der Ära Schröder/Fischer kamen aus Deutschland Initiativen für weitreichende internationale Vermittlungsbemühungen. Nach dem Kosovo-Krieg wurde der Stabilitätspakt für Südosteuropa ins Leben gerufen, und 2001 fand auf dem Bonner Petersberg die erste große Afghanistankonferenz nach dem Sturz der Taliban statt.

Unter Frank-Walter Steinmeier als Außenminister kam der Anstoß zu einer Beobachtermission in Georgien nach dem blutigen Konflikt zwischen Russland und Georgien im Sommer 2008. Ein Jahr später legte Steinmeier einen Zehn-Punkte-Plan für den Rückzug aus Afghanistan vor, der zwischenzeitlich fast eins zu eins von der internationalen Gemeinschaft übernommen worden ist.

"Guido Westerwelle; besondere Merkmale: keine"

Was wird von der Westerwelle-Episode im Auswärtigen Amt übrig bleiben? Ein Außenminister, der zu Beginn seiner Amtszeit lautstark den Abzug der letzten in Deutschland verbliebenen taktischen Nuklearwaffen angekündigt hat und mittlerweile erkennen musste, dass es einen Unterschied zwischen Ankündigung und Umsetzung gibt. Schon jetzt steht fest: Wenn Westerwelle seinen letzten Arbeitstag im Auswärtigen Amt hat, werden die Nuklearwaffen immer noch nicht abgezogen sein.

Und auf einem weiteren Feld, das uns in diesen Wochen fast wie kein anderes beschäftigt, ist vom Außenminister nichts Substanzielles zu hören: Europa. Während sich die Europäische Union von einem Krisengipfel zum nächsten hangelt und nicht weiß, wer nach Griechenland der nächste Kandidat sein wird, der vor der Pleite gerettet werden muss, ist von unserem Außenminister dazu nur dröhnendes Schweigen zu vernehmen. Und das in diesen Wochen, in denen sich womöglich entscheidet, ob Europa als friedensstiftendes Projekt noch eine Zukunft hat oder ob wir wieder in nationalstaatliche egoistische Verhaltensweisen zurückfallen.

Man wünschte sich einen Außenminister, der genau diese Frage in den Vordergrund stellt und so etwas wie eine Zukunftsidee von einem geeinten und solidarischen Europa entwickelt, in der sich die Bürger mitgenommen und nicht ausgeliefert fühlen. Stattdessen dominiert der Stammtisch und die gezielt gesteuerte Wut auf die angeblich zu faulen Griechen. Hier hätte Westerwelle der Bundeskanzlerin in die Parade fahren müssen und sich damit als echter Europäer erweisen können. Das hätte vielleicht zu einem Eintrag ins Geschichtsbuch gereicht. Doch auch hier Fehlanzeige.

So werden künftige Generationen vermutlich nur lesen können: Guido Westerwelle, deutscher Außenminister 2009 bis 2013; besondere Merkmale: keine.

Gernot Erler ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und war während der Großen Koalition von 2005 bis 2009 Staatsminister im Auswärtigen Amt unter Frank-Walter Steinmeier.