Eine wichtige Feststellung wird da vorangestellt: Die Energiepolitik in den Ländern basiere auf sehr unterschiedlichen Ausgangslagen „hinsichtlich topografischer und meteorologischer Voraussetzungen“. So weit so gut. Aber wird dem im Weiteren tatsächlich genügend Rechnung getragen? Ich meine nicht.
Beim Kriterium CO₂-Reduktion beispielsweise muss Deutschland zwangsläufig gegenüber Norwegen und Schweden mit deren Wasserpotential zurückliegen, gegenüber Frankreich wegen seiner Atomkraft. Ohne Atom- und Wasserkraft ist Deutschland nämlich gezwungen, auf absehbare Zeit neben den regenerativen Energien auf fossile Energieträger zu setzen. Das gilt sowohl für den Strombereich als auch für Wärme und Mobilität. Was ist nun ein Vergleich wert, der den Ausstieg aus der Kernenergie bei der Wertung nicht berücksichtigt? Mehr noch: Der Fragen der Sicherheit der Kernkraftwerke, gesparte Kosten für Rückbau und Endlagerung nicht positiv in die Betrachtung einfließen lässt? In der Studie heißt es: „Erst eine technologieneutrale Vorgehensweise ermöglicht einen objektiven Vergleich von 24 Ländern mit in vielerlei Hinsicht unterschiedlichen Voraussetzungen.“ Mein Fazit: So nimmt die Aussagekraft der Studie dramatisch ab.
Faktor Nummer eins, unsere geographische Lage. Sie bringt es mit sich, dass Deutschland einen Energiemix der Energieträger braucht. Sonne, Wind und Wasser stehen uns in nur durchschnittlichem Maße zur Verfügung und sind daher relativ schwer zu prognostizieren. Faktor Nummer zwei, die industrielle Dichte hierzulande. Deutschland besitzt im Vergleich zu den anderen Ländern einen wesentlich höheren Anteil an produzierendem Gewerbe. Zum Glück und zur Hebung der Wirtschaftskraft ganz Europas. Entsprechend hoch ist der Energiebedarf. Deutschland ist ein Industrieland, historisch betrachtet nicht zuletzt wegen seiner Kohlevorkommen. Das Kohlezeitalter neigt sich dem Ende zu, die Ära regenerativer Energien ist längst angebrochen. Und dennoch spielen Kohlekraftwerke heute noch eine wichtige Rolle. Die neueren unter ihnen haben einen hohen Effizienzgrad und tragen zur Vielfalt der fossilen, grundlastfähigen Energieträger bei und damit zur Versorgungssicherheit. Die Schattenseite ist ein relativ hoher, ja zur Zeit ansteigender CO₂-Ausstoß. Das muss sich ändern. Aber mit Augenmaß.
Unser Ziel ist es, Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit gleichermaßen zu ermöglichen. Was nach einer Quadratur des Dreiecks klingt, lässt sich erreichen, wenn wir den Anteil erneuerbarer Energien im Energiemix konsequent erhöhen und deren unregelmäßige Einspeisung intelligent kompensieren, um dann schrittweise die fossilen Energieträger zu substituieren. Ohne Wenn und Aber: Privathaushalte, Mittelstand und Industrie müssen sich auch weiterhin auf eine sichere und bezahlbare Energieversorgung verlassen können. Mehr Atomkraft und etwas weniger Industrie kann nicht die Lösung sein, um im Ranking einige Plätze nach vorn zu rücken.
Doch es sind auch andere, motivierende Passagen in der Studie zu finden. Deutschland wird für die erfolgreiche Energiewende gelobt: „Die konsequente Bevorzugung erneuerbarer Energien in der Stromerzeugung hat dazu beigetragen, dass sich das Wirtschaftswachstum von Ressourcenverbrauch und CO₂-Emissionen entkoppelt hat und dass die Abhängigkeit von Energieimporten gesunken ist.“ Verfolgt man diesen Pfad konsequent weiter, geraten Themen auf die Agenda, die derzeit in den Hintergrund gerückt sind. Es geht um die Steigerung der Energieeffizienz und um die Senkung des Energieverbrauchs pro Kopf. Laut Studie ist unsere Industrie in Sachen Energieeffizienz vorbildlich. Die hohe Energieeffizienz der Unternehmen wird auf eine Kombination von strengen umweltpolitischen Auflagen, hohen Energiepreisen und wachsendes Umweltbewusstsein zurückgeführt. Uns muss um- und antreiben, dass der Haushaltsektor im Vergleich zur Industrie hierzulande, aber auch im Vergleich zu anderen Länder deutlich zurücksteht. Weit über die Politik hinaus sind alle Akteure gefordert, sich mit Ideenreichtum und Entschlossenheit einzubringen: Vom Mieter bis zum Eigentümer von Nichtwohngebäuden, vom Wissenschaftler bis zum Handwerker, vom Bürgermeister bis zum Bundestagsabgeordneten.
Als Strommarktdesign bezeichnen die Fachleute den entsprechenden Ordnungsrahmen im weitesten Sinne. Nationale oder europäische Kapazitätsmechanismen, Auktionen, Direktvermarktung, Wettbewerbsregeln und vieles andere mehr sind die Schlagworte. Die große Herausforderung des Jahres ist nun, die Diskussion über ein modernes Strommarktdesign fundiert zu führen und im Blick auf Planbarkeit und Verlässlichkeit schnell in Entscheidungen münden zu lassen. Uns muss umtreiben, dass die kaufkraftbereinigten Stromkosten für Haushalte die höchsten der Vergleichsgruppe sind, die Kosten für Industriekunden allenfalls im Mittelfeld liegen. Der Grund hierfür liegt nicht zuletzt in der Form der Finanzierung der Energiewende. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist eine Erfolgsstory. Bei seiner Verabschiedung erging es den Ideengebern wie allen Visionären. Erst wurden sie belächelt, dann bekämpft, um schließlich die verdienten Lorbeeren mit allen teilen zu müssen. Heute ist jede vierte erzeugte Kilowattstunde regenerativ – wer hätte das im Jahre 2002 gedacht! Jetzt gilt es, das Gesetz zu novellieren und zu einem Marktdurchdringungsinstrument zu formen. Neben den regenerativen Energien wird die Rolle moderner Gaskraftwerke und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zu definieren sein und zwar so, dass sie wirtschaftlich betrieben werden können und klimaschonend zur Versorgungssicherheit beitragen.
Die Studie lenkt also unser Augenmerk auf die Entwicklung eines modernen Marktdesigns, das die energiepolitischen Ziele unter den gegebenen geographischen und wirtschaftsstrukturellen Bedingungen erreichbar macht. Nur wenn es gelingt, die fortschreitende Umstellung auf eine regenerative Basis mit einem modernen Industriestandort zu verbinden, wird die Energiewende zum Exportschlager. Deutschland könnte international Vorbild sein. Auch unter Berücksichtigung unterschiedlichster Voraussetzungen in den Ländern – auch ohne Kernenergie und Wasserkraft. Zur Freude für das Klima und den Geldbeutel.