Mit der überraschenden Aussetzung der Haftstrafe auf Bewährung gegen Alexei Nawalny durch das Kirower Berufungsgericht, ist zumindest ein Signal in die richtige Richtung gesetzt worden, auch wenn die auf fragwürdigen Beschuldigungen beruhende Verurteilung damit nicht aufgehoben ist. Insofern ist Nawalnys Ankündigung, erneut in Berufung zu gehen, um einen Freispruch zu erwirken, konsequent. Aufgrund seiner schonungslosen Kritik am System Putin ist Nawalny seit längerem den Mächtigen in Russland ein Dorn im Auge. Es ist daher davon auszugehen, dass er auch weiterhin unter Dauerbeobachtung des Kreml stehen wird.
Ihn von seinem politischen Engagement abzuhalten, dürfte wohl nicht gelingen. Schon heute erreicht Nawalny mit seinem Blog Millionen vor allem junger Russen, die ihn 2012 im Internet zum Vorsitzenden des neu geschaffenen Koordinierungsrats der russischen Opposition wählten. Während der massiven Demonstrationen gegen Wahlbetrug und den Putin-Medwedew-Ämtertausch 2011/012 war er einer der führenden Köpfe der Protestbewegung. Obwohl er zahlreichen Schikanen während des Wahlkampfs ausgesetzt war, erzielte er mit 27 Prozent ein beachtliches Ergebnis bei den Moskauer Oberbürgermeisterwahlen Anfang September 2013. Dies unterstreicht, dass die russische Gesellschaft schon lange nicht mehr so monolithisch ist, wie sie im Ausland mitunter noch wahrgenommen wird.
Insbesondere in den Millionenstädten und urbanen Zentren hat sich längst eine kritische Mittelschicht herausgebildet, deren wachsende Unzufriedenheit mit der Art und Weise, wie Russland heute regiert wird, mit den Händen greifbar ist. Nawalny gibt diesen Menschen eine Stimme und er wird diese Rolle auch in Zukunft wahrnehmen wollen.
Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, wie frei Nawalny wirklich ist. Davon wird auch abhängen, ob der heutige Tag ein guter oder schlechter für die Zukunft der russischen Demokratie in Russland gewesen ist.