Günter Gloser erinnert an Mohamed Bouazizis Selbst­ver­brennung am 17.12.2010 und fordert einen „Marshall-Plan“ für die arabische Welt, der der Größe der Herausforderung auch in finanzieller und politischer Hinsicht gerecht wird.

 

Der 26-jährige Tunesier Mohamed Bouazizi hat sich vor einem Jahr selbst verbrannt. Er verstarb am 4. Januar 2011. Sein Tod löste weltweit Entsetzen aus. In der Folge formierte sich eine Welle des Protests, die fast die ganze arabische Welt erschütterte und in mehreren Ländern zum Sturz der Regierung führte. Auch in Tunesien zwangen die empörten rebellierenden Massen Staatschef Zine el Abdine Ben-Ali zum Rücktritt. Der korrupte Machthaber, der Tunesien 23 Jahre lang regierte, verließ am 14. Januar 2011 fluchtartig das Land. Mohamed Bouazizi wurde zur Symbolfigur einer ganzen Generation gut ausgebildeter, aber frustrierter und perspektivloser junger Menschen.

 

Der Jahrestag der Selbstverbrennung Bouazizis führt uns vor Augen, dass wir es in der arabischen Welt mit einer weithin veränderten Realität zu tun haben. Weitere Veränderungen werden folgen. Eine automatische Transformation hin zu Demokratisierung gibt es aber nicht. Die Revolutionäre der ersten Stunde sind zum Teil schon wieder in den Hintergrund gerückt. Soziale Fragen treten hervor und wirtschaftliche Probleme verschärfen sich zum Teil dramatisch. Islamische Parteien gewinnen in allen freien Wahlen an Boden.

 

Darauf gibt es aus der Europäischen Union und insbesondere auch aus Deutschland noch immer keine umfassende Antwort. Zunächst muss vor allem der Dialog auf allen Ebenen verstärkt werden. Wo immer möglich, müssen die Menschen direkt in Kontakt treten. Durch breiten Austausch in den Bereichen Wirtschaft, Kultur, Bildung und Jugend. Und Europa muss bereit sein, einen umfassenden "Marshall-Plan" für die arabische Welt aufzulegen, der der Größe der Herausforderung auch in finanzieller und politischer Hinsicht gerecht wird. Dafür sind bislang leider nur wenige Ansätze zu sehen. Die Region aber wird im Zweifel nicht auf Europa warten, wenn unsere Antwort zweideutig ausfällt.