Herr Steinmeier, US-Präsident Barack Obama hat soeben angekündigt, es werde einen US-Schlag gegen Syrien geben, er wolle aber vorher noch den Kongress konsultieren. Halten Sie das Vorgehen des amerikanischen Präsidenten für richtig?
Steinmeier: Wer immer sich mit Syrien beschäftigt in diesen Tagen sollte nicht leichtfertig urteilen. Syrien ist eine einzige Tragödie. Mehr als 100 000 Menschen sind gestorben, sechs Millionen Menschen auf der Flucht. Wer wie ich die Flüchtlingslager in Jordanien gesehen hat, weiß, unter welchen Umständen die Menschen dort dahinvegetieren. Die Weltgemeinschaft kann nicht einfach nur zuschauen angesichts dieses Elends. Sie kann auch nicht nur zuschauen, wenn Völkerrechtsverbrechen begangen werden. Mit dem Giftgasanschlag ist eine weitere Schwelle auf dem Weg in den Abgrund überschritten worden. Deshalb verlangt das, was in Syrien jetzt geschehen ist, eine Antwort der Weltgemeinschaft, ja.
Aber ist ein Militärschlag die richtige Antwort?
Es ist nicht leicht zu sagen, wie die Antwort aussehen soll. Politische Lösungen sind nicht einfach. Da wo sie versucht worden sind in der Vergangenheit, waren sie nicht erfolgreich oder sind gescheitert. Und auch in Zukunft gibt es keine Garantie für das Gelingen. Aber wir sollten uns vor einem Irrtum schützen: Da, wo politische Lösungen nicht einfach sind, da sind es militärische erst recht nicht.
Deshalb ist mein dringendes Plädoyer auch an diejenigen, die den sofortigen Militärschlag unterstützen: Lasst uns die auch kleinste – und mehr ist es vielleicht nicht – politische Chance nutzen, zu einer politischen Lösung zu kommen. Vielleicht wenigstens zu einem Waffenstillstand, um humanitäre Hilfe für einige Stunden zu ermöglichen. Die Chance dazu besteht in der nächsten Woche während des Petersburger Gipfels, wo sich die Großen der Welt treffen.
Amerika und Russland dürfen ihren Streit, ihre Dissonanzen über ihr Verhältnis zu Syrien nicht einfach fortsetzen, sondern gerade die beiden Großmächte tragen gemeinsame Verantwortung, das Leiden der Menschen dort zu beenden. Dieser Versuch muss stattfinden, bevor irreversible Folgen durch einen Militärschlag ausgelöst werden. Niemand weiß, ob im Nahen Osten noch ein Stein auf dem anderen bleibt, wenn dort in diese hochbrisante Situation jetzt auch noch von außen militärisch eingegriffen wird.
Ist eine Strafaktion, die nicht auf Regimewechsel abzielt, überhaupt sinnvoll?
Sie trägt jedenfalls das Risiko in sich, dass die Machtbasis des zynischen, syrischen Regimes noch weiter gestärkt wird. Selbst chirurgische Eingriffe, wie sie von den USA jetzt befürwortet werden, werden am Ende nicht verhindern können, dass es zivile Opfer gibt. Jedes zivile Opfer wird eine Rechtfertigung für Assad und sein schändliches Tun bedeuten.
Was vermissen Sie bei Frau Merkel und Herrn Westerwelle?
Ich glaube, in diesen Tagen ist zu spüren, dass die Fehler nicht in der augenblicklichen Stunde liegen, sondern in den letzten vier Jahren, in denen wir an Gewicht verloren haben, sowohl in Washington, aber auch in Moskau. Und weil das so ist, können Merkel und Westerwelle die Rolle nicht ausfüllen, die Deutschland eigentlich traditionell zukam, nämlich Brückenbauer zu sein zwischen Washington und Moskau, wenn die Verhältnisse gerade nicht stimmten.
Das merkt man auch an der Verlegenheit, mit der beide jetzt agieren. Noch vor Tagen war es so, dass sie härteste Sanktionen, notfalls auch den Militärschlag unterstützten, der von anderen verantwortet wird. Nach der Entscheidung in Großbritannien, dem klaren Nein des britischen Unterhauses, scheint man sich unsicher geworden zu sein und setzt jetzt doch wieder auf das Vorgehen im Sicherheitsrat. Besonders gradlinig und glaubwürdig ist das nicht.
Geht Ihnen das als früherer Außenminister besonders nahe?
Dass wir an Gewicht einbüßen, sage ich nicht in der Syrien- Krise das erste Mal. Das geschieht schon über längere Zeit hinweg. Ich finde, das größte Land in der europäischen Union mit 82 Millionen Menschen und der stärksten Volkswirtschaft in Europa muss sich seiner Verantwortung gegenüber der Welt auch außerhalb der deutschen Grenzen bewusst sein. Von uns wird mehr erwartet als Betroffenheit und Bedauern.
Stichwort Außenminister. Können Sie sich vorstellen, noch einmal Außenminister unter Frau Merkel zu werden? Eine große Koalition ist ja nach den Umfragen so unwahrscheinlich nicht.
Ich finde, wir sollten jetzt mal die Umfragen Umfragen sein lassen, zumal die heute so und morgen so sind. Sondern davon ausgehen, dass das Rennen offen ist, dass die Parteien um die besseren Konzepte und Ideen streiten. Und dass jetzt nach Ende der Ferienzeit viele Menschen und Familien erst offen sind, um sich mit Politik zu beschäftigen. Ich spüre jetzt gerade auch in Bayern und Baden-Württemberg, dass die Veranstaltungen voller werden, die Menschen neugieriger. Die politische Hitze steigt, und deshalb bin ich auch ganz und gar nicht der Meinung, dass dieser Wahlkampf langweiliger ist im Verhältnis zu früheren Wahlkämpfen. Bei den beiden großen Parteien befinden sich unter derselben Überschrift ganz andere Angebote und Konzepte.
Sie sind schon 2009 zum TV-Duell gegen Angela Merkel angetreten. Was wären Ihre letzten Tipps, die sie Peer Steinbrück noch ins Ohr flüstern würden, bevor er die Bühne betritt?
Als jemand, der die Hauptlast trägt in einem solchen Wahlkampf, muss man sich bewusst sein, dass Wahlkampf ein Marathonlauf ist. Der wird nicht bei jeder Zeitnahme entschieden. Trotzdem: Das TV-Duell ist eine wichtige Zwischenzeit. Und ich bin ganz sicher, dass dies eine Gelegenheit sein wird, um Frau Merkel in einen Wahlkampf zu ziehen, den sie bisher vermeidet. Sie zu zwingen, auch Farbe zu bekennen zu Themen vor denen sie im Augenblick wegläuft – Europa zum Beispiel; ihre Weigerung, den Deutschen zu sagen, welche Lasten aus der europäischen Krise auf uns zukommen. Und es wird eine Gelegenheit sein für den Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, deutlich zu machen, dass Klartext zu reden, wie nur er das kann, kein Nachteil für die Deutschen ist. Die Bereitschaft zur Wahrheit in der Politik ist ein Vorteil.
Wird es die Troika Gabriel, Steinmeier, Steinbrück auch nach dem 22. September noch geben?
Steinmeier: Ich glaube, bei der ganzen Berichterstattung, die ich dazu gelesen habe, liegt ein großes Missverständnis zugrunde. Die Troika hatte ihren Sinn, und ich stehe dazu. Aber in einer Situation, in der eine Partei über den Kanzlerkandidaten entscheidet, können nicht mehr drei gleichzeitig auf Augenhöhe vorne sein. Wenn über den Kanzlerkandidaten entschieden ist, dann muss er auch Führung übernehmen. Das ist geschehen, und deshalb ist aus der Troika ein Dreieck geworden mit Peer Steinbrück an der Spitze und Sigmar Gabriel und mir nachgeordnet in unterschiedlichen unterstützenden Funktionen. Dass wir gut zusammenarbeiten hat sich gerade ja auch in den letzten Tagen gezeigt. Ich kann nur raten, da nicht soviel hineinzuspekulieren. Die Rollenverteilung in einem Wahlkampf ist klar und geklärt.