AFP: Anfang Januar beginnen die Sondierungen mit der Union. Bedeutet das, dass die Agenda der SPD im Bundestag erstmal auf Eis liegt?
Schneider: Nein. Wir haben im Bundestag verschiedene politische Initiativen und Gesetzentwürfe eingebracht. Neben einem Einwanderungsgesetz zum Beispiel auch die Änderung der Geschäftsordnung. Wir wollen, dass sich die Kanzlerin dem Parlament regelmäßig stellen muss und das der Bundestag lebendiger wird. Dazu werden wir jetzt zügig Gespräche mit den anderen Fraktionen aufnehmen. Das alles passiert parallel.
AFP: Ist die Änderung der Geschäftsordnung auch bei den anstehenden Gesprächen mit der Union eine Priorität?
Schneider: Ja ist es, das hat absolute Priorität. Das Parlament muss selbstbewusster werden und mit Orientierungsdebatten bei den großen Themen künftig stärker den Kurs der Regierung beeinflussen. Das ist meines Erachtens eine der Lehren aus der letzten Legislaturperiode, dass durch die große Mehrheit der großen Koalition die Kontroverse gefehlt hat. Ein wichtiger Beitrag dazu sind die Änderungsvorschläge, die wir zur Fragestunde und auch zur Kanzlerbefragung gemacht haben. Ich setze mich dafür ein, dass das so durchgesetzt wird.
AFP: Die Union hat auf die Vorschläge zunächst skeptisch reagiert - erkennen Sie Signale für ein Entgegenkommen?
Schneider: Auch die Union hat bei der Debatte im Bundestag zu diesem Thema gesagt, dass sie sich vorstellen könnte, Grundzüge zu verändern. Ich glaube, dass man in den ersten Monaten des neuen Jahres zu einer Einigung kommen kann. Auch die CDU muss ein Interesse daran haben, dass das Parlament in seiner Rolle als zentraler Debattenort des Landes gestärkt wird. Ich hoffe, dass die Bundeskanzlerin bereit ist, sich im Parlament mindestens alle Vierteljahre Fragen der gewählten Abgeordneten zu stellen und nicht nur den Fragen von Journalisten in der Bundespressekonferenz.
AFP: Ein weiterer SPD-Gesetzentwurf befasst sich mit der Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche. Würden Sie Paragraf 219a notfalls auch gegen die Union mit anderen Mehrheiten im Parlament streichen?
Schneider: Wir haben diesen Gesetzentwurf ja nicht ohne Grund eingebracht. Wir halten die Regelung für überhaupt nicht mehr zeitgemäß und akzeptabel. Das geht jetzt in die Ausschüsse und wir werden das intensiv beraten - und dann hoffen wir, dass wir auch Mehrheiten mit anderen Fraktionen dazu bekommen.
AFP: Wäre die SPD bereit, die im Frühjahr auslaufenden Bundeswehrmandate zeitnah zu verlängern?
Schneider: Natürlich ist es so, dass die Mandate jetzt früher auslaufen als eine Regierungsbildung wahrscheinlich ist. Bei den Debatten im Bundestag ist klar geworden, dass es bei einigen Einsätzen, etwa Afghanistan, eine neue Lageeinschätzung braucht. Und da werden wir uns im Parlament unabhängig eine Meinung bilden.
AFP: Kann sich die SPD im Bundestag vorstellen, eine Übergangsregelung bei der Aussetzung des Familiennachzugs mitzutragen?
Schneider: Da laufen derzeit die Gespräche, und ich will dem jetzt nicht vorgreifen.
AFP: Was ist eigentlich die höhere Hürde bei dem internen Zustimmungsprozess der SPD für ein mögliches Bündnis mit der Union - der Sonderparteitag oder das Mitgliedervotum?
Schneider: In beiden Entscheidungen wird es auf die Inhalte ankommen. Die Mitglieder genauso wie die Delegierten auf dem Bundesparteitag werden nach den Gesprächen mit der Union bewerten, ob das, was die SPD sich vorgenommen hat, in ausreichendem Maße umsetzbar ist. Für die SPD ist das Regieren kein Selbstzweck, im Gegenteil: Es muss schon eine wirkliche Verbesserung für die Leistungsträger des Alltags mit sich bringen. Also dass für ganz normale Menschen, die ihren Job machen, ihre Kinder erziehen oder sich um ihre Eltern kümmern, das Leben besser wird. Ob die Union dazu bereit ist, das werden die Gespräche zeigen.
AFP: Teile der Partei scheinen eine Neuauflage der großen Koalition aber auf keinen Fall mittragen zu wollen.
Schneider: Das ist angesichts des Ergebnisses bei der Bundestagswahl auch nicht überraschend. Entscheidend wird sein, dass die Inhalte ankommen und nichts anderes. Ich finde, die SPD sollte immer anstreben, auch zu regieren und Deutschland ein Stück besser zu machen. Die SPD steht für ein Weiter-so der letzten großen Koalition nicht zur Verfügung. Es würde sich vieles ändern müssen, auch im Stil und Umgang. Das gilt auch für die offene Debatte im Parlament, damit beide großen Parteien ihr Profil nicht verlieren. Streit gehört zur Demokratie.
AFP: Wie bewerten Sie die Vertrauensbasis für die anstehenden Sondierungen mit der Union?
Schneider: Die Glyphosat-Entscheidung von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt war ein Tritt in die Kniekehlen, übrigens auch in die Kniekehlen der Kanzlerin. Wir brauchen keine Inszenierungen bei den Verhandlungen, wie das bei Jamaika der Fall war, sondern wir setzen uns zusammen und dann werden wir sehen, ob das geht oder nicht geht. Die verschiedenen Optionen liegen weiter auf dem Tisch. Wenn wir den Zusammenhalt in Deutschland und Europa stärken können, gibt es die Chance auf ein stabiles Bündnis.