SPIEGEL ONLINE: Sie stimmen gegen das Somalia-Mandat, Sie mauern bei Steuersenkungen und Fiskalpakt - verabschiedet sich die SPD gerade von der Regierungsfähigkeit?

Oppermann: Es ist die Aufgabe der Opposition, auf schwere Fehler der Regierung hinzuweisen. Das müssen wir bei Merkels Koalition sehr oft tun. Und das mindert nicht, sondern stärkt die Regierungsfähigkeit der SPD. Wir fühlen uns stark genug – auch als Opposition – Mitverantwortung zu übernehmen, wenn sie aus dem Interesse des Landes, der Wirtschaft und der Arbeitsplätze geboten ist.

SPIEGEL ONLINE: Viele Sozialdemokraten sind enttäuscht vom Abschneiden bei den jüngsten Landtagswahlen und drängen auf klarere Kante gegen die Kanzlerin. Ist das der richtige Weg mit Blick auf die Bundestagswahl 2013?

Oppermann: Ja. Klare Kante ist schon jetzt unsere Strategie. Und die SPD hat mit dieser Linie Erfolg: Wir haben jetzt wieder mehr Ministerpräsidenten als Merkels Union und können unsere Stimmen im Bundesrat nutzen, um die schädliche Politik der Regierung in Grenzen zu halten. Wir sagen Nein zu Steuersenkungen auf Pump. Wir sagen Nein zu einem bildungsfeindlichen Betreuungsgeld. Wir sagen Nein zum ungerechten Steuerabkommen mit der Schweiz.

SPIEGEL ONLINE: Was würde ein Wahlsieg in NRW am Sonntag für den Kurs der SPD bedeuten?

Oppermann: Ein Wahlsieg von Hannelore Kraft in NRW würde enormen Rückenwind für die SPD auf Bundesebene bedeuten. Wir können damit zeigen, dass Rot-Grün anders als Schwarz-Gelb in Deutschland mehrheitsfähig ist. Strategisch sendet NRW das klare Signal: Unsere Möglichkeiten werden immer größer, Merkels Möglichkeiten werden immer kleiner.

SPIEGEL ONLINE: In Umfragen liegt die Kanzlerin aber weit vorne. Fehlt Ihnen die richtige Strategie?

Oppermann: Nein. Unsere Strategie ist gut. Die Kanzlerin verdient nicht die geringste Schonung. Wir werden uns dabei stets an Sachfragen orientieren. Bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr oder bei Rettungsmaßnahmen für den Euro ist es mitunter geboten, im Interesse der Sicherheit Deutschlands, der Arbeitsplätze und der Wirtschaftskraft bestimmte Maßnahmen mitzutragen. Das ist mit einer konsequenten Oppositionspolitik, die echte Alternativen zum Streit und Stillstand in Merkels Koalition entwickelt, gut vereinbar. Wir richten uns nicht auf zehn Jahre Opposition ein. Wir wollen in spätestens sechzehn Monaten regieren.

SPIEGEL ONLINE: Die SPD bejubelt den Sieg von Francois Hollande in Frankreich. Er will eine Reichensteuer von 75 Prozent und zurück zur Rente mit 60. Taugt er als Vorbild für Ihre Partei?

Oppermann: Hollande bringt neuen Schwung nach Frankreich. Das Land leidet seit Jahren unter politischem Leerlauf. Hollande setzt wie die SPD auf Wachstum in Europa. Davon wird am Ende auch Deutschland profitieren. Aber ich glaube, Hollande weiß, dass er in Frankreich auch Strukturreformen durchführen muss. Ohne Reformen, wie wir sie in Deutschland gemacht haben, werden die Franzosen ihre Probleme nicht lösen können.

SPIEGEL ONLINE: Hollande will den Fiskalpakt aufbrechen. Auch die SPD lehnt ihn in der derzeitigen Form ab. Was ist so falsch daran, Europa auf einen Sparkurs zu verpflichten?

Oppermann: Sparen ist gut und richtig. Aber: Wer wirklich die Haushalte konsolidieren und die Schulden abbauen will, der muss nicht nur an den Ausgaben, sondern auch an den Einnahmen arbeiten.

SPIEGEL ONLINE: Was fordern Sie konkret für Zustimmung beim Fiskalpakt?

Oppermann: Wir fordern die Besteuerung der Finanzmärkte. Die Einnahmen aus dieser Transaktionssteuer wollen wir zur Finanzierung eines Wachstumspaktes nutzen. Ohne deutliche Zugeständnisse bei unseren Forderungen wird es keine Zustimmung der SPD geben. Wir sind jederzeit bereit zu Verhandlungen. Es ist Frau Merkel, die bislang viel Zeit ungenutzt hat verstreichen lassen.

SPIEGEL ONLINE: Angela Merkel will Euro-Rettungsschirm ESM und den Fiskalpakt noch vor der Sommerpause beschließen. Ist das zu schaffen?

Oppermann: Eine Abstimmung vor der Sommerpause ist nicht unmöglich, aber wenig realistisch. Wann wir entscheiden können, hängt im Wesentlichen davon ab, wie schnell sich Frau Merkel inhaltlich auf die Positionen der SPD zu bewegt. Für reine Lippenbekenntnisse helfen wir der Kanzlerin nicht aus der Patsche.

SPIEGEL ONLINE: Müssen aus Ihrer Sicht Rettungsschirm und Fiskalpakt parallel im Bundestag abgestimmt werden?

Oppermann: Nein. Wir wären in der Lage, eine Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm ESM schneller auf die Tagesordnung zu setzen. Zum Fiskalpakt werden wir mit Sicherheit noch mehr Beratungen benötigen - auch darüber, wie die Kommunen und die Länder vom Fiskalpakt betroffen sind.

SPIEGEL ONLINE: Ist die Finanzmarktsteuer eine Bedingung für die Zustimmung der SPD, oder nicht?

Oppermann:  Wir fordern die Steuer seit langem. Wer die Krise verursacht hat, soll auch seinen Beitrag leisten. Das halten wir für gerecht. Und: Mit den Einnahmen aus der Steuer können wir die erforderlichen Wachstumsimpulse finanzieren. Frau Merkel wird zur Schuldenkönigin Europas, wenn sie sich nicht mit uns um solide Einnahmen kümmert.

SPIEGEL ONLINE: Viele meinen, die SPD könne sich ein Nein zum Fiskalpakt kaum leisten, wäre dann doch die europapolitische Glaubwürdigkeit dahin. Führen Sie ein Scheingefecht mit der Kanzlerin?

Oppermann: Nein. Wir haben harte Verhandlungen vor uns. Die Kanzlerin braucht die Stimmen der SPD, sonst gibt es keine Zweidrittelmehrheit. Wir nutzen diese Lage, um den auf reine Sparpolitik angelegten Fiskalpakt zu ergänzen. Europa ist an der Schwelle zu einer Rezession und braucht dringend strukturelles  Wachstum. Nur so werden wir Wirtschaft und Arbeitsplätze in Deutschland schützen können.