BamS: Jahrelang konnte eine rechtsterroristische Gruppe in Deutschland unerkannt morden und Anschläge verüben. Sehen Sie ein komplettes Versagen der Sicherheitsbehörden?
Ich sehe schwere Versäumnisse, eine Kette von Fehlern. Mal handelten die Sicherheitsbehörden fahrlässig, mal unentschlossen, mal pflichtvergessen.
BamS: Reicht der heute von Innenminister Friedrich und Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger vorgestellte Maßnahmenkatalog aus?
Nein. Aber es sind Schritte in die richtige Richtung. Die Neonazi-Datei und das Abwehrzentrum Rechts werden den Sicherheitsbehörden helfen, gemeinsam drohende Gefahren zu erkennen. Was wir alle brauchen, ist mehr Wachsamkeit und Zivilcourage gegen menschenverachtende rechtsextremistische Äußerungen in unserer Gesellschaft.
BamS: Wird es ein NPD-Verbot geben?
Wir brauchen jetzt eine härtere Gangart gegen die NPD. Die NPD ist ausländerfeindlich, antisemitisch und in Teilen gewaltbereit. Sie ermuntert rechte Gewalttäter und bietet ihnen einen geistigen Nährboden. Ich wünsche mir, dass wir schnell einen neuen Verbotsantrag stellen. Wir brauchen keine V-Leute, um zu belegen, dass die NPD verfassungsfeindlich ist.
Rheinland-Pfalz hat alle V-Leute aus der NPD abgezogen, ohne dass die Sicherheit beeinträchtigt wurde. V-Leute sind manchmal nützlich, aber immer gefährlich. Außerhalb der NPD, bei den rechtsradikalen Kameradschaften werden wir aus Sicherheitsgründen aber nicht ganz auf V-Leute verzichten können.
BamS: Nach Berichten von Süddeutscher Zeitung und Spiegel gab es V-Leute im Umfeld des Terror-Trios. Darüber ist Steuergeld an die Terrorzelle geflossen. Stellt das das gesamte V-Mann-System in Frage?
Sollte es eine mittelbare Unterstützung der Terorrleute durch V-Leute gegeben haben, hätte der Staat eine rote Linie überschritten. Der Einsatz von V-Leuten darf niemals dazu führen, dass wir das System der Rechtsextremisten stabilisieren oder sogar finanzieren. Das scheint in Thüringen passiert zu sein.
Ich halte für unvertretbar, dass V-Leute als neonazistische Scharfmacher in Führungspositionen vom Staat Geld bekommen.
Wir müssen die Regeln für den Einsatz von V-Leuten generell neu überdenken.
BamS: Das Bekennervideo der Terrorzelle war sehr professionell hergestellt. Dazu konnten die drei Täter 13 Jahre im Untergrund leben. Das deutet auf weitere Helfer hin. Rechnen Sie mit der Enttarnung weiterer Unterstützer und mit weiteren Verhaftungen über die bisher bekannten Fälle hinaus?
Das Terror-Trio hatte weitere Helfer, ohne die ein Leben 13 Jahre im Untergrund nicht möglich gewesen wäre. Es gibt noch eine Reihe weiterer Verdächtiger. Ich rechne daher mit weiteren Festnahmen.
BamS: Warum ist Matthias Dienelt, der die Wohnung für die drei Terroristen angemietet hat, noch auf freiem Fuß?
Ich nehme an, dass das BKA dafür ermittlungstaktische Gründe hat.
BamS: Gibt es noch andere rechtsterroristische Zellen in Deutschland?
Es gibt eine vielfältige Szene von so genannten freien Kräften und Kameradschaften, in denen eine aggressive, menschenverachtende Gesinnung herrscht. Und die aus meiner Sicht das Potenzial haben, in rechten Terror umzuschlagen.
BamS: Gibt es gesicherte Erkenntnisse wie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gestorben sind?
Die Selbsttötung ist die Arbeitshypo-these der Ermittler. Wir müssen das Ergebnis der Untersuchungen abwarten.
BamS: Wie realistisch ist die Annahme, dass die beiden schwer bewaffneten Männer nach einem erfolgreichen Banküberfall in einem Wohnmobil Selbstmord begangen haben, weil eine Polizeistreife sich näherte?
Das Ende der Täter bleibt für mich rätselhaft – wie viele andere Begleiterscheinungen dieser Mordserie auch.
BamS: Ein Verfassungsschutzmitarbeiter aus Hessen war 2006 eine Minute vor einem der Morde in dem Internet-Cafe in Kassel. Welche Verbindungen gibt es zwischen der Terrorgruppe “Nationalsozialistischer Untergrund” (NSU) und dem Verfassungsschutz?
Bisher sind diese Verbindungen nicht belegt. Es übersteigt meine Vorstellungskraft, dass Verfassungsschützer mit den Verbrechern kooperiert haben. Das wäre im Übrigen als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung strafbar.
BamS: Danach brach die Mordserie an Migranten ab, obwohl die Zelle noch aktiv war. Halten Sie das für einen Zufall oder könnte es einen Zusammenhang mit dem Verfassungsschutzmitarbeiter geben?
Es ist eine weitere Merkwürdigkeit, dass plötzlich Schluss war. Ebenso eigenartig ist, dass ein rechtsradikal gesonnener Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes das Internetcafe wenige Sekunde vor dem Mord verlassen haben will. Dass das BKA diesen Vorgang noch einmal genau nachermittelt, erscheint mir sehr dringlich.
BamS: Gibt es eine Erklärung, warum sich die NSU zuvor nie zu ihren Taten bekannt hat?
Möglicherweise war das ein ganz perfide Strategie, um den Verdacht gegen die Ausländer zu lenken und ungestört weiter morden zu können. Letzte Klarheit könnte wohl nur eine Aussage von Beate Zschäpe bringen.
BamS: Beate Zschäpe will eine Kronzeugenregelung, um eine weitgehende Straffreiheit für sich zu erreichen. Ist das angesichts von mindestens zehn Morden zu rechtfertigen?
Ich halte eine Kronzeugenregelung in diesem Fall für erwägenswert. Die Strafverfolger werden die Tatbeiträge von Frau Zschäpe genau beurteilen müssen, bevor sie eine entsprechende Entscheidung treffen. Es besteht aber ein herausragendes öffentliches Interesse, die Struktur der Terrorzelle und ihrer Helfer genau aufzuklären. Auch die Angehörigen wollen wissen, warum die Opfer sterben mussten.
BamS: War es wirklich so unmöglich bei einer Mordserie an acht Türken und einem Griechen auf ein rechtsextremes Tatmotiv zu kommen?
Dass die Ermittler Rassismus und politische Hintergründe als Tatmotiv nicht näher erwogen haben, möchte ich ihnen wegen der fehlenden Bekennerschreiben nicht zum Vorwurf machen. Aber es ist ganz sicher Ausdruck der systematischen Unterschätzung des Rechtsextremismus in Deutschland.
BamS: Bundespräsident Wulff lädt die Angehörigen der Opfer ein, um mit ihnen über eine Trauerfeier zu reden. Reicht das als Wiedergutmachung oder braucht es einen Hilfsfonds?
Wir müssen den Opfern ein Zeichen geben, die Einladung des Bundespräsidenten ist ein guter erster Schritt.
Die Angehörigen der Opfer eines der schwersten Verbrechen, das in der Bundesrepublik passiert ist, haben auch Anspruch auf Unterstützung und Entschädigung.
BamS: Bei der Neonazi-Mörderbande aus Zwickau gab es zahlreiche Ermittlungspannen. Muss der Verfassungsschutz umgebaut werden und braucht Deutschland 16 Landesverfassungsschutzämter?
Darunter gibt es sehr kleine Ämter, für die es schwer ist, die nötige Professionalität und Spezialisierung vorzuhalten. Auf Feldkenntnisse vor Ort können wir aber nicht verzichten. Deshalb: keine voreiligen Beschlüsse. Klar ist: wir brauchen eine bessere Zusammenarbeit der Ämter.
BamS: Richtet der Verfassungsschutz in seiner jetzigen Struktur mehr Schaden oder Nutzen an?
Wir brauchen einen wachsamen Verfassungsschutz. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird nach meinem Eindruck sehr professionell geführt. Das kann man aber leider nicht von allen Landesämtern sagen.
BamS: Wird es personelle Konsequenzen geben?
Die müsste es eigentlich geben. Aber: Die Vorgänge liegen solange zurück, dass die meisten Verantwortlichen nicht mehr in ihren Ämtern sind.
BamS: Sollte der Bundestag einen Untersuchungssausschuss einrichten?
Ich bin sicher, dass es entweder einen Untersuchungsausschuss, einen Sonderbeauftragten oder eine Expertenkommission geben wird.
BamS: Werden wir jemals die ganze Wahrheit über die Rechtsterroristen erfahren?
Das hoffe ich vor allem für die Ange-hörigen der Opfer sehr. Dieses Verbrechen hat die Menschen in Deutschland tief erschüttert. Nur die Wahrheit kann das Vertrauen in unsere wehrhafte Demokratie und in einen Staat, der seine Bürger schützen kann, wieder herstellen.